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SOS: Bergbauern!

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Die Arbeits- und Lebensbedingungen auf jenen Bergbauernhöfen, die dem Verkehrsnetz und damit dem Markt nicht oder ungenügend angeschlossen sind, bleiben immer mehr hinter der allgemeinen wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung zurück, die durch die technischen Errungenschaften rasch vorwärtsschreitet. Der Abstand des unerschlossenen Berglandes und seiner Menschen vom allgemeinen Lebensstandard wird immer größer. Die Konjunktur, an der sie am wenigsten Anteil haben, verschärft diese Unterschiede. Die wirtschaftliche Abschnürung bedroht daher auf die Dauer den Fortbestand dieser Bauernhöfe.

Bevor wir daher vom Standpunkt der Landwirtschaft an eine europäische Integration denken können, müssen mit öffentlicher Hilfe diese mehr oder weniger von der Isolierung bedrohten und daher unterentwickelten Gebiete unserem Wirtschaftsleben, dem österreichischen Markt, angeschlossen werden.

Dieser großen Aufgabe sind die allgemein üblichen Förderungsmethoden nicht gewachsen. Sie bestehen im wesentlichen darin, daß Förderungsaktionen ausgeschrieben und durchgeführt wurden, an denen sich die fortschrittswilligen Bauern beteiligen. Diese Einzel iktionen konnten nie den ganzen Hof und seine besonderen betriebswirtschaftlichen Probleme erfassen und mußten sich auf Einzelaufgaben, wie die Verbesserung der Düngerwirtschaft, des Futterbaues usw. beschränken Gerade in den wirtschaftlich zurückgebliebenen Bergbauerngebieten konnte daher mit diesen Einzelmaßnahmen keine entscheidende Verbesserung erzielt werden.

Die Landeskammer für Land- und Forstwirtschaft in Steiermark hat sich daher schon im

Jahre 1953 zu einem völlig neuen Weg entschlossen, der auf folgenden Gedankengängen beruht:

• Die Bergbauern sind in ihrer Abgelegenheit nachbarschaftlich aufeinander angewiesen. Manche Verbesserungsmaßnahmen — wie der Wegebau, die Wasserversorgung oder die Errichtung von Seilwegen — lassen sich nur gemeinsam durchführen.

• Der Wille zur Selbsthilfe ist die unerläßliche Voraussetzung für einen wirksamen Einsatz der öffentlichen Mittel. Die freiwillige positive Mitarbeit eines möglichst großen Teiles der Bauern eines solchen Gebietes ist der Schlüssel zum Erfolg.

• Die Bauern müssen zur Planung und Gestaltung des wirtschaftlichen Aufbaues selbstverantwortlich herangezogen werden, um das Bewußtsein zu stärken, daß sie nicht Objekt, sondern Subjekt der Förderungsmaßnahmen sind.

Diese Grundsätze haben zur Bildung von Arbeitsgemeinschaften in den Aufbau- oder Umstellungsgebieten in Form von Vereinen mit einem Vorstand und Aufsichtsrat geführt. Die Organisationsform hat sich durchaus bewährt. Zur Zeit bestehen in der Steiermark in 145 Gemeinden 22 solcher Arbeitsgemeinschaften, denen zusammen mehr als 4000 Betriebe angehören. Eine Arbeitsgemeinschaft umfaßt daher im Durchschnitt rund 200 Betriebe. Ein großer Teil des steirischen Berglandes und der bergigen Grenzgebiete gegen Jugoslawien ist bereits in diese Aufbauförderung einbezogen.

Die Arbeitsgemeinschaften in den Umstellungsgebieten sind der äußere Rahmen für ein neues System der Landwirtschaftsförderung, das auf folgenden Erwägungen beruht:

1. Der bäuerliche Betrieb mit Haus und Hof, Feld und Wald muß als eine Einheit befrachtet, beraten und gefördert werden. Die crüheren Spezialberater für Tierzucht, Pflanzenbau und so weiter wurden daher durch einen betriebswirtschaftlich geschulten und erfahrenen all gemeinen Wirtschaftsberater abgelöst. Er ist dafür verantwortlich, daß alle erforderlichen Maßnahmen darnach ausgerichtet werden, den ganzen Hof auf die heute gegebenen Markt- und Absatzverhältnisse auszurichten. Dazu bedarf es vielfach einer weitgehenden Umstellung der bisherigen Wirtschaftsweise. Selbstversorgung und Selbstgenügsamkeit auf den Bergbauemhöfen müssen immer mehr der Marktwirtschaft weichen. Die Möglichkeiten des Fremdenverkehrs sollen ausgenützt werden, um Bargeld auf den Hof zu bringen.

2. Die erste Voraussetzung aller baulichen Verbesserungsmaßnahmen, der Einführung des mineralischen Handelsdüngers und des Marktanschlusses ist der Wegebau. In allen Aufbaugebieten wird daher als erste Maßnahme ein Gesamtwegeprojekt durch einen Fachmann der Kammer erstellt. Güterwege, Forstaufschlie- ßungswege und Hofzufahrtswege zum Anschluß an dieses Netz werden gebaut.

3. Da die landwirtschaftlichen Einnahmen in unseren Berggebieten zum weitaus überwiegenden Teil aus der Viehwirtschaft stammen, dienen die ersten Verbesserungsmaßnahmen in der Regel der Verbesserung des Futterbaues und der Umstellung der Viehwirtschaft auf die gegebenen Markt- und Absatzmöglichkeiten.

4. Der Wald muß vielfach die ersten Barmittel liefern, um den Wegebau, die Errichtung von Düngersammelanlagen, Gärfuttersilos und so weiter zu finanzieren. Er soll aber auch in Zukunft das Rückgrat der Bergbauernhöfe in Zeiten der Not bilden. Der vorhandene Holz vorrat ist zumeist gering. Es gilt daher, die Waldlücken zu schließen und die Ordnung von Wald und Weide herzustellen.

Der bäuerliche Betrieb umfaßt Land- und forstwirtschaftliche Flächen und kann daher nur als eine Einheit bewirtschaftet werden. Diese Einheit wurde auch in der Beratung durch die enge Zusammenarbeit des Forstmannes der Kammer mit dem Betriebsberater verwirklicht.

5. Die heutige Bergbauemgeneration hat in den hauswirtschaftlichen Einrichtungen ein vielfach sehr trauriges Erbe übernommen. Der Zustand der Wohn- und Wirtschaftsgebäude ist häufig trostlos und entspricht in keiner Weise den Anforderungen der Hygiene und der Arbeitserleichterung. Hauswasserversorgung, Kücheneinrichtung usw. bedürfen daher der Anpassung an unsere Zeit. Dem Betriebsberater steht daher für jede Aufbaugemeinschaft eine Hauswirtschaftsberaterin zur Seite.

Zusammenfassend ergibt sich daraus die Konzentration der Beratung auf einen Schwerpunkt, eben auf das beschränkte Gebiet einer Umstel- lungsgemeinschaft, in dem ein Betriebswirtschaftler, eine hauswirtschaftliche Beraterin und ein Forstingenieur zum Wohle der angeschlossenen Gemeinden und Betriebe Zusammenwirken.

Die Erfolge sind nicht ausgeblieben. So wurden zum Beispiel im Jahre 1960 in den Aufbaugebieten 259 Silos gebaut, 35 Heubelüftungsanlagen errichtet, 169 Melkmaschinen angeschafft, 344 Hauswasserversorgungsanlagen gebaut, 209 wertvolle weibliche Rinder zur Verbesserung des Zuchtviehbestandes angeschafft, in 168 Betrieben auf 572 Hektar die Trennung von Wald und Weide durchgeführt und 133 Kilometer allein an Hofzufahrtswegen gebaut. Bisher wurden in den Aufbaugebieten insgesamt 608 Kilometer Wege gebaut. Die Milchleistungen, die früher weit unter dem allgemeinen österreichischen Durchschnitt lagen, konnten dank der obligatorischen Leistungsprüfung und der Verbesserungen im Futterbau auf Erträge gesteigert werden, die nunmehr den Bundesdurchschnitt übersteigen. Der Handelsdüngeraufwand hat sich gegenüber früher vervielfacht.

Die in den steirischen Umstellungsgebieten und ihren Arbeitsgemeinschaften erstmals durchgeführte regionale Schwerpunktbildung in der Landwirtschaftsförderung hat sich bewährt. Sie hat auch bei Fachleuten des In- und Auslandes Anerkennung gefunden. Wir sind überzeugt davon, daß die Förderung und Besitzfestigung der Bergbauern auch in Zukunft auf diesen Erfahrungen fortgesetzt und ausgebaut werden muß.

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