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Die Flut und der sterbende Wald

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Lange noch, bevor die schweren Schäden des Jahres 1951 in Norditalien behoben sind, haben neue Ueberschwemmungen in Süd-und Mittelitalien Mensch und Tier vernichtet und zahlreiche Siedlungen zerstört. Diese Schäden sind aber, da sie ja in mehrjähriger Arbeit doch wieder behoben werden können, gering gegenüber jenen, die kaum jemals mehr wieder gutgemacht werden können: Das Gestein, das bisher mit einer dürftigen Erdschichte bedeckt gewesen war, nun aber kahlgeschwemmt wurde, wird kaum noch Ernten liefern, während die in den Tälern abgelagerte Erde die Flußbette ausfüllt, den Ablauf des Wassers zum Meer verhindert und dort, wo bisher gute Felder waren, Sümpfe bildet. Der schmale Tisch, der das übervölkerte Italien schon lange nur noch unzulänglich ernährt, wird noch kleiner, die Not der Bauern noch weiter verschärft. Das Klima wird noch ungünstiger, der Wechsel zwischen Trockenheit und Feuchtigkeit noch schärfer.

Die Ursachen für diese Entwicklung sind bekannt.

Die antiken Bauten, die zu den berühmtesten der Welt gehören, erforderten einst zu ihrer Herstellung vieles und bestes Holz; allein für das Brennen der Milliarden Ziegel, die den Sturm von Jahrtausenden überstanden haben, dürften die Wälder ganzer Provinzen verwendet worden sein. Man hat es auch immer unterlassen, die Schläge wiederaufzuforsten und den spärlichen Waldanflug zu schonen oder auch nur die Ziegen und Schafe von diesem fernzuhalten. Die Plenterungen, die auf den steilen, steinigen, südschauenden Hängen des oberen Tagliamentotales vorgenommen werden — jeder Italienreisende kann sie südlich von Tarvis beobachten —, lassen erkennen, daß das Verständnis für den Wald noch herzlich gering ist.

Man ist aber heute wenigstens schon bemüht, das Entstehen von Hochwässern zu verhindern. Man baut in den Bergen Staumauern, die das Wasser der Wolkenbrüche zurückhalten und nur langsam zum Abfluß bringen. Ja. man denkt sogar daran, in besonders gefährdeten Gegenden, besonders in der Poebene, große Becken zu schaffen, in denen — ähnlich wie in den Sammelbehältern an der Wien nächst Hütteldorf — die Wassermassen gesammelt werden. Nach einem Plan soll der Gardasee zur Aufnahme der Hochwässer der Etsch und der Sarca herangezogen werden.

Zugleich wird aber auch viel'unternommen, um dem Uebel an der Wurzel zu begegnen: Man stößt an vielen Orten, besonders in der Umgebung von Florenz, dem Standort der forstlichen Hochschule, ja selbst auf den Abhängen des Aetna auf umfangreiche Kultivierungen, die mit sehr viel Sorgfalt und Geduld gepflegt werden und eine frohe Entwicklung erhoffen lassen. Besonderes Augenmerk schenkt man der raschwüchsigen Pappel, die heute an vielen Grundstückgrenzen und Wegen als Nutz- und Brennholz und zugleich zum Schutz der Kulturen vor dem Winde, gezogen wird. Im „Istituto di Speri-ment per la Pioppicoltura in Casalo Mon-ferrato“, dem große Ländereien zur Verfügung stehen, werden verschiedene, für die besonderen Verhältnisse der einzelnen Provinzen geeignete Spielarten der Pappel gezüchtet.

In versumpften Gegenden sucht man den Eukalyptusbaum zu verbreiten, der nicht nur große Mengen Holz hervorbringt, sondern auch wegen seines großen Wasserverbrauchs wirksam zur Entwässerung dieser Flächen beiträgt. An anderen Orten wieder schenkt man — unter Bedachtnahme auf die Eigenart des Bodens und des Klimas — der Eiche, der Mimose, der Strandföhre und anderen Nadelbäumen besondere Beachtung und versucht die Bevölkerung zu einer verständnisvolleren und freundlicheren Einstellung zum Wald umzuerziehen. Zugleich bemüht man sich um die Zucht anderer Pflanzen, die große Mengen an Zellulose für Zellstoff und Papier liefern. Da diese Pflanzen, wie besonders der schilfartige Arundo, große Ernten liefern, wird es Italien in absehbarer Zeit möglich sein, seinen Bedarf an Papier aus der eigenen Erzeugung zu decken.

Italien wird somit — freilich erst nach vielen Jahren und nach großen Aufwendungen und Opfern — wieder über Baumbestände und geschlossene Wälder verfügen, und es ist zu erwarten, daß sich dann auch wieder die schroffen Gegensätze des Klimas mildern werden. Freilich, die Folgen der Sünden der vergangenen Jahrtausende werden sich niemals wieder ganz gut machen lassen.

Wie liegt nun die Sache bei uns irrOeste<r reich?

Mit Genugtuung stellen wir fest: wir haben noch Wälder, noch einigermaßen über das ganze Jahr hindurch gut verteilte Niederschläge, noch eine genügende Wasserversorgung, noch immer nur wenige Wolkenbrüche und noch wenige verkarstete Flächen. Vieles aber gibt zur Sorge Anlaß: so die Steinwüsten auf dem Schneeberg und der Rax, die noch vor 150 Jahren Hochwald trugen, die allenthalben sinkenden Grundwasserstände, der Rückgang der Schüttung vieler Quellen, die Häufung katastrophaler Hagelschläge, die kennzeichnend in waldigen Gebieten nur äußerst selten vorkommen usw.

Und weil eben noch alles einigermaßen in Ordnung ist, weil die Verhältnisse noch nicht ganz schlimm geworden sind, weil es noch immer Wälder gibt, deren Holzvorräte erst jetzt nach und nach, entsprechend den Fortschritten der Technik der Holzbringung, erschlossen werden, wird dem Wald und seiner Erhaltung lange nicht die nötige Fürsorge geschenkt.

Gewiß ist schon vieles besser geworden: es werden hunderte Hektare aufgeforstet (freilich zu gleicher Zeit oft auch tausende geschlagen), die Jungkulturen auf großen Flächen geschont (aber aus „Ersparungs-gründen“ nicht immer durchforstet), die gefährlichsten Feinde des Waldes — gelegentlich sogar vom Flugzeug aus — bekämpft, und es wird auch viel von der Beförsterung der Bauernwälder sowie der Anpassung des einhundertjährigen Forstgesetzes an die Erfordernisse der Zeit, also von Dingen, die keinen Aufschub vertragen, gesprochen. Nach den Angaben des Bundesministeriums für Land-und Forstwirtschaft blieben im Jahre 1952 sogar zum ersten Male wieder die Schlägerungen hinter jenen der Vorjahre zurück und man errechnete — wohl mit mehrfachen Vorbehalten —, daß in diesem Jahr der Zuwachs, also die Bildung neuer Holzmasse, sogar um ein Prozent größer war als die Masse des geschlagenen Holzes.

Aber unsere Papierfabriken wurden eben in wahrhaft gigantischer Weise aufgebaut, neue, sehr leistungsfähige Sägen errichtet, und alles wird getan, um den Export von Holz und aus Holz hergestellten Erzeugnisse zu fördern, der immer mehr zur tragenden Säule unserer Handels- und Zahlungsbilanz wird*.

Während wir also unser „grünes Gold“ in steigendem Umfang versilbern und uns gegen ein Linsengericht jener Reserven begeben, die in der in Kürze zu erwartenden Weltholzknappheit wahren Seltenheitswert besitzen werden, denken wir auch gar nicht daran, den „sonstigen“ Holzverbrauch zu drosseln. Nach wie vor vergeuden wir, um nur eines zu erwähnen, alljährlich tausende Festmeter Nutzholz in Oefen nur deshalb, weil wir es unterlassen, diese umzubauen und der „falschen Luft“ den Zustrom zum Feuer zu verwehren, wodurch ein erheblicher Teil der beim Verbrennen erzeugten Wärme unausgenützt bleibt. Wir machen uns wenig Gedanken darüber, wie man — um Holz zu sparen — Ersatzstoffe für die Herstellung von Papier verwenden könnte. Die Anbauversuche mit der Arundo wurden beispielsweise sofort aufgegeben, als die Pflanzen im ersten Winter zum Großteil erfroren, anstatt mit den kältewiderstandsfähigen Pflanzen planmäßig fort-zuexperimentieren. An die aussichtsreichere Erzeugung von Papier aus Stroh will man nicht herantreten, weil man dieses für die Düngung der Felder unbedingt nötig hält — es gibt aber Gegenden, die auf diese Weise einen recht erheblichen Teil ihres Strohüberschusses gut verwerten könnten. (In Holland, wo die Landwirtschaft auf einer anerkannt hohen Stufe steht, werden seit Jahrzehnten große Mengen Stroh zu Papier verarbeitet.)

Oesterreich ist dank seiner Wälder und der Waldwirtschaft früherer Generationen in einer weit glücklicheren Lage als Italien. Noch! An uns ist es, alles zu tun, daß dieser Zustand, der leider schon ein wenig erschüttert ist, erhalten bleibt. Die uns folgenden Generationen werden es uns danken.

Für das eiste Halbjahr 1953 wird der Wert der statistisch erfaßten Ausfuhr von Holz und der aus diesem hergestellten Erzeugnisse mit 1633 Millionen Schilling angegeben, bei einem Wert der Gesamtausfuhr von 5669 Millionen Schilling.

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