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Olkolloquien in Bochum und Wien

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Eine Reihe von Fachjoumalisten aus Westdeutschland und Österreich nahm Ende Juni an einer Presseinformation der Aral in Bochum teil. In einem wohlorganisierten Rahmen kamen leitende Funktionäre der größten deutschen Vertriebsgesellschaft für Vergaserstoffe zur Sprache und behandelten das Gebiet der Schmierstoffe sowohl vom Standpunkt der Marktforschung und Werbung, als auch von dem der Erzeugung, der Forschung und der Praxis des Alltags. H. Hach von der Schmierstoffabteilung der Aral-AG in Bochum teilte die Besitzer von Personenwagen in solche, die von der Wahl der richtigen ölmarke überzeugt und in solche, die an ihr wenig oder überhaupt nicht Interessiert sind. Auf Grund von Marktforschungen und umfangreichen Untersuchungen ergab sich, daß viele Besitzer nicht nur nicht wußten, ob ihr Motor mit einem Mehrbereichsöl oder einem Einheitsöl geschmiert ist, ja, sie konnten nicht einmal die Marke langeben und über die Ölwechselzeiten herrschten auch die verschiedensten Ansichten. Zum Teil gab der Vortragende den Automobilfabriken die Schuld daran, daß sie in ihren Betriebsanleitungen dem Verbraucher kein klares Bild vermitteln — • in Amerika sei das anders —, außerdem sei das Angebot bei uns sehr weit gefächert, für den Normalverbraucher kaum übersehbar, und dazu kommt noch, daß die Werbung selbst einfache Produkte in höchsten Tönen herausstellt.

Hach gab einige interessante Ziffern von der Aral-AG bekannt: Man habe sich durch Stärkung der inneren Ertragsstruktur, durch Konzentration auf das Tankstellen- und ‘Großverbrauchergeschäft wertmäßig weiterhin auf 3,4 Milliarden DM im Jahr 1965 verbessern können, mengenmäßig allerdings sei ein Rückgang von 5 Prozent auf rund 5,9 Millionen Tonnen gegenüber dem Vorjahr zu verzeichnen. Der Absatz von Supertredb- stoff konnte allerdings beträchtlich erhöht werden, das Tankstellennetz ist mit 6800 Anlagen das größte in Westdeutschland, dm übrigen Europa sind es augenblicklich rund 2500 Tankstellen, die Aral-Produkte vertreiben. Der Inlandsverbrauch an Auto- und Industrieschmierstoffen betrug 1965 in der BRD 836.000 Tonnen.

Von der wissenschaftlich-chemischen Abteilung beleuchtete Dr. H. Kahlenbom die Probleme der Schmierstofforschung. Aus seinem Vortrag ging hervor, daß Forschungen auf diesem Gebiete weit mehr als ein Werbeargument sind. Der Vortragende gab einen geschichtlichen Überblick über die Entwicklung von den früheren Fettölen über die mineralischen und synthetischen Schmiermittel und verbreitete sich speziell über die im und nach dem zweiten Weltkrieg einsetzende Technik der Scbmierölzusätze, die dem Grundöl beigegeben werden, um spezifische Eigenschaften in gezielter Richtung zu verbessern oder auch sogenannte „nichtöltypische“ Eigenschaften hervorzurufen. Sehr klar kamen in diesem Vortrag, ebenso wie in den Ausführungen des Oberingenieurs Diplomingenieur G. Seidel, der vom Standpunkt des praktischen Ingenieurs sprach, die verschiedenen Funktionen der Ölzusätze den Hörern zum Bewußtsein. Da gibt es Stockpunkterniedriger, die den Einsatz bei tiefen Temperaturen ermöglichen, VI-Verbesserer, welche die Temperaturabhängigkeit der Ölviskosität verringern (Viskositätsindex) und daher erst die Herstellung von Mehrbereichsölen ermöglichten, richtiggehende Waschmittel (Detergents genannt), die unlösliche Verschmutzungen, wie etwa Ruß und Alterungsprodukte durch Feinstverteilung in Schwebe halten und deren Niederschlag im Motor verhindern. Dieses Schweben nennt man Dispergierung und diese Gruppe von Additiven daher DD-Zusätze. Oxydatlonsvarhinderer (Inhibitoren) werden gegen die Bildung von Harz, Asphalt und Säure eingesetzt, andere Additive setzen den Verschleiß und die Korrosion herab und neutralisieren saure Produkte, und schließlich gibt es Antdschaummit- tel, welche die Grenzflächenspannung zwischen öl und Luft verändern und stabile Schaumbdldung verhindern.

Während einige der Zusätze seit Jahrzehnten bekannt sind, kamen andere erst dn den vierziger Jahren auf, die dem Schmieröl Eigenschaften verleihen, welche das öl auf Grund seiner chemischen Konstitution gar nicht mitbringen kann. Diese Zusätze, eben die Detergents, führten zu einem neuen Qualitätsniveau der Motorenöle, die als HD-

öle (Heavy Duty) bekannt wurden. Lange Versuchsreihen sind notwendig, um die Verträglichkeit der Zusätze mit verschiedenen Grundöltypen sicherzustellen und eine Beeinträchtigung durch andere Additive auszuschließen. Herstellungsfragen und finanzielle Überlegungen, Gesetze der praktischen Anwendung, aber auch Fragen der Lagerbestän digkeit müssen gelöst werden, bevor aus einer Reihe von hunderten neuen Verbindungen jene ins strenge Examen der Praxis gehen, die einen echten Fortschritt bedeuten.

Der Vortrag des Leiters der wissenschaftlich-technischen Abteilung, Dip.-Ing. G. Seidel und des Dip.-Ing. H. Brammertz lösten zahlreiche Diskussionsfragen aus, da deren Vorträge bereits in die Praxis des Alltags hineinspielten. Fragen der verlängerten Ölwechselintervalle, der Wahl des richtigen Öles für bestimmte Zwecke, Einlaufvorgänge bei neuen Fahrzeugen, Ölverbrauch und das Verhalten verschiedener ölsorten bei verschiedenen Temperaturen und unter wechselnden Betriebsbedingungen, das Nachfüllen verbrauchten Öls, die Mischbarkeit verschiedener ölsorten kamen ebenso zur Sprache wie moderne Konstruktionstendenzen, etwa die Anwendung ein und derselben ölsorte für Motor, automatische Kupplung und Getriebe (ein außerordentlich komplexes Gebiet) oder aber die Schmierung von hypaidverzahnten Kraftübertragungen u. v. a. m.

Bei diesen Vorträgen, respektive bei den darauffolgenden Diskussionen ging es insofern hart auf hart, als die Experten sehr präzise Fragen stellten, auf die es nicht immer präzise Antworten geben konnte, dazu ist das Gebiet viel zu komplex. Zu viele Gesichtspunkte technischer, kommerzieller und produktionsbedingter Art spielen eine entscheidende Rolle, immerhin konnten die Zuhörer einige Ratschläge für die Praxis mit nach Hause nehmen: Das öl im Motor sollte immer unter streng vergleichbaren Bedingungen gemessen werden, etwa morgens, vor dem Abfahren. Bei einigen Motortypen, etwa beim VW 1500, genügen wenige Grad Schräglage des Wagens, um eine Ölstandsdifferenz von einem halben bis zu einem Liter vorzutäuschen.

Zwar ist nach den geltenden Vorschriften (Militärspezifikationen) bei allen Markenölen die Mischbarkeit verschiedener Sorten und deren Verträglichkeit gegeben, es passiert wenig, wenn man Öle mischt, nur hat jede Marke ihre eigene Rezeptur durch optimale Kombination ihrer Grundöle und ihrer Zusätze, und eine so wohlausgewogene Komposition sollte nicht ohne Not gestört werden. Wenn mehr als die Hälfte der Ölfüllung mit anderem öl ergänzt werden müßte, empfiehlt sich ein Ölwechsel, wobei das alte öl möglichst heiß und dadurch vollständig aus- laufen soll. Hier ergibt sich die Schwierigkeit, daß Werkstätten aus zweierlei Gründen diese wichtige Forderung nicht erfüllen: Das Nachstellen von Ventilen geschieht bekanntlich bei kalter Maschine, und welche Werkstatt ist beim heutigen Personal- und Platzmangel in der Lage, einen Wagen sofort nach der Ankunft, solange die Maschine noch warm ist, in Arbeit zu nehmen? Da bietet sich von selbst die Fahrt zum Stammtankwart an, der meist in der Lage ist, den Ölwechsel sofort vorzunehmen. Es kam auch die Frage zur Sprache, ob man sich insbesondere im Hinblick auf die ohnedies verlängerten Ölwechselzeiten, die Erneuerung des Öles nicht etwa dadurch ersparen könnte, daß man einfach gewissenhaft immer die verbrauchte Ölmenge durch Frischöl ersetzt. Die Antwort war ein klares Nein, denn in alten Ölen bilden sich Stoffe, welche die Alterung beschleunigen, durch Frischölzusatz ist die ursprüngliche Qualität nie mehr wieder herstellbar und durch Filter kann man zwar mechanische Verunreinigungen entfernen, aber chemische Veränderungen nicht beseitigen. Die modernen Startvergaser können starke Ölverdünnungen zur Folge haben, und so konnte, wie erwähnt, auf manche präzise Frage schon deshalb nicht ebenso geantwortet werden, weil die Verhältnisse typenabhängig und daher sehr vielseitig sind.

Bei sportlich eingestellten Kraftfahrern ist Castrol als ölmarke seit vielen Jahren be kannt. Man nennt es das Öl der Rennen, Rallyes und Rekorde. Darüber hinaus erzeugt dieser große englische Konzern zahlreiche Produkte für den Betrieb, die Wartung und die Pflege von Kraftfahrzeugen, betreibt dabei auch umfangreiche Forschungen. Er nimmt in der Mineralölbranche insofern eine Sonderstellung ein, als er von sich behaupten kann, „der Welt größter, unabhängiger ölkonzem“ zu sein, wenn man das Wort „unabhängig“ richtig versteht. Er hat keine Bohrlizenzen an irgendwelchen ölfeldem, wie die anderen Großen dieser Branche, er ist also von der Qualität der erbohrten Rohöle unabhängig und kann daher die für seine Forschungsund Vertriebszwecke geeigneten Basisöle dort kaufen, wo es am günstigsten ist. Castrol ist in 60 Ländern der Erde, seit 1923 auch in Österreich vertreten. Gegründet wurde die Firma 1899 von Lord C. C. Wakefield, sie ist Inhaberin zahlreicher Patente und trat als erste einschlägige Firma seinerzeit mit den heute nicht mehr wegdenkbaren chemischen

Zusätzen (Additiven) auf. Auch in der Richtung auf „leichtere Ölgrade“, aus denen die heutigen Mehrbereichsöle hervorgegangen sind, haben die Forscher dieses Konzerns Pionierarbeit geleistet.

Anläßlich der Einführung eines neuen Ölzusatzes, von dem die Castrol-Leute behaupten, er sei eine technologische Revolution, wurde in Wien eine Pressekonferenz abgehalten, die eine Art Miniaturkolloquium war, denn es kamen dabei Techniker und Forscher, Kaufleute und Werbefachleute der österreichischen Vertretung ebenso zu Worte, wie ein unabhängiger Wissenschaftler der Technischen Hochschule Wien und ein Gast des englischen Stammhauses. Die Vortragenden gaben zuerst einen Überblick über die Ent-Wicklung der Kraftfahrzeugtechnik innerhalb der letzten 20 Jahre und wiesen auf die bekannten Leistungssteigerungen und Anforderungen im Kraftfahrzeugbau und in der Schmiertechnik hin. So haben sich die Motor- drehzahden um mehr als 50 Prozent, die Verdichtungen um mehr als 40 Prozent und die Literledstungen sogar um iriehr als 100 Prozent erhöht. Dazu kommt der völlig veränderte Rhythmus im heutigen Verkehrsgeschehen, der zwischen dem extrem langsamen Stadtverkehr, in welchem die Maschinen nicht einmal im Sommer die optimale Betriebstemperatur erreichen, und dem forcierten Autobahnverkehr schwankt.

Beim Castrol-Kolloquium wurde insbesondere der Zustand der Grenzreibung behandelt, jener Zustand, in welchem der Ölfilm wegen des abnehmenden Druckes beim Abstellen eines Motors und des nicht vorhandenen Druckes bei jedem Start bereits durch die Eigenlast der Bauteile weggedrückt wird und somit mikroskopisch kleinste Erhebungen der Oberfläche der im normalen Betrieb geschmierten Teile in direkte Berührung kommen. Durch das Fehlen eines entsprechenden druckfesten Ölfilms kommt es in diesem Zustand der Reibung zu Materialabscherungen. Das Gleiten zweier durch eine Schmierschdchte getrennter Flächen fester Körper erfordert ein Haften der Schmierschdchte, die nicht nur vom öl, sondern auch von der Beschaffenheit der Oberfläche abhängt Die Forschungsingenieure bei Castrol gingen von der Idee aus, daß die bekannten reibungsmdndemden Additive nicht nur segensreiche Eigenschaften, sondern auch den Nachteil aufweisen, Material an hochbeanspruchten Stellen langsam abzutragen. Bei den gebräuchlichen Zusätzen bewirkt der an winzigen Stellen bei der Gremzredfoung auftretende Druck chemische Reaktionen zwischen den Ölzusätzen und der Metalloberfläche, die zwar anfangs noch schmierende Verbindungen ergeben, allmählich jedoch verschwinden und der Korrosion Tür und Tor öffnen.

Man hat diesen Nachteil zwar durch den Zusatz von Festschmierstoffen zu verhindern gesucht, unter gewissen Bedingungen aber können selbst diese feinst verteilten Stoffe Zusaimmenballungen ergeben, welche ölfilter und Bohrungen verstopfen. Nun ist es gelungen, durch einen flüssigen Wolfram-Zusatz, der zum Unterschied von anderen Festschmierstoffen in öl vollkommen klar gelöst werden kann, und durch einen weiteren, ebenfalls öliösllchen Zusatz die genannten Reaktionen nur auf jene Stellen zu beschrän ken, wo höchste- Beanspruchung, also Druck an mikroskopisch kleinen Oberflächen, Temperaturen entstehen läßt, die ausreichen, um den beiden reagierenden Additiven gerade an diesen Stellen eine Plattierung des Wolf- ramdisulflds zu bewirken. Die Plättchenbildung erfolgt so Lange, bis die dadurch verminderte Reibung und damit die Temperatur zurückgehen. Es entsteht ein ständig fluktuierendes Gleichgewicht in der Dicke der Plat tierung, es bilden sich auf kleinsten Flächen auch nur geringste Mengen von Stoffen, welche eine Verschmutzung des Öls oder eine Verstopfung von Bohrungen und Filtern zur Folge haben könnten. Der Effekt ist, daß der Reibungskoeffizient dieses „Super“ genannten Öles nur 0,075 gegenüber dem eines handelsüblichen HD-Öles ohne Wolframzusatz von 0,12 beträgt. Die Verminderung der Reibung und des Abriebes betragen beim neuen öl rund ein Drittel, was den etwas erhöhten Preis von 27 Schilling pro Liter gegenüber dem normalen Mehrbereichsöl dieser Marke (24.50 Schilling) durchaus rechtfertigt. Abschließend sei vermerkt, daß diese Ergebnisse auf ausgedehnten Laboratoriums- und Straßentests erzielt wurden. Mit 35.000 Fahrzeugen aller Altersklassen und Typen wurden Fahrstrecken von 320 Millionen Kilometern zurückgelegt.

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