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Atomenergie, Atombombe, Atommotor

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Ein kurzer Überblick über das Wesen der Atomenergie und deren praktische Anwendung.

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Ein kurzer Überblick über das Wesen der Atomenergie und deren praktische Anwendung.

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Unter den neuen Waffen, die der letzte Krieg brachte, war die Atombombe für dessen Beendigung von entscheidendem Einfluß. Darüber hinaus sind die naturwissenschaftlichen Erkenntnisse, die zu ihrer Entwicklung führten, von überragender Bedeutung nicht nur für das physikalische Weltbild, sondern ebenso für die kommende technische Anwendung derselben, aber auch für die künftige Struktur der Völkerbeziehungen, so daß es sich als nötig erwies, die UNO mit der Aufsicht über die weitere Entwicklung zu betrauen. Ein kurzer Überblick über das Wesen der Atomenergie und deren praktische Anwendung, soweit darüber das Geheimnis gelüftet wurde, ist daher von allgemeinem Interesse.

Zwei Grundgesetze beherrschten die klassische Physik: das Gesetz von der Erhaltung der Materie und das Gesetz von der Erhaltung der Energie. Diese beiden Gesetze sagen aus, daß kein Staubkörnchen jemals zum Verschwinden gebracht oder neu geschaffen werden kann, nur Stoffumwandlungen sind bekannt und deren Gesetze erforscht worden; und daß andererseits die Energie der Welt als konstant angesehen werden muß, weil keine Vorgänge bekannt geworden waren, bei welchen Energie neu gewonnen oder verlorengehen kann, auch hier sind nur Umwandlungen von der einen Form in eine andere, zum Beispiel von elektrischem Strom in Wärme möglich.

Alle Beobachtungen und Erfahrungen schienen zu lehren, daß sowohl der Energievorrat als auch der Massenvorrat der Welt in dem unserer Beobachtung zugänglichen Raum- und Zeitabschnitt konstant seien, sowohl im Hinblick auf kleine als auch kosmische Betrachtungsmaße. Soweit dann in den letzten Jahrzehnten Erscheinungen bekannt wurden, die — wie der radioaktive Zerfall — mit den beiden Fundamentalsätzen nicht vereinbar schienen, ging das Bestreben dahin, Erklärungen zu suchen, welche die Widersprüche zu vermeiden erlauben.

Einstein, der Schöpfer der Relativitätstheorie, hat zuerst diese beiden Grundgesetze aufgegeben, beziehungsweise genauer formuliert, insofern als er beide in ein Gesetz zusammengezogen hat, demzufolge Masse und Energie ineinander umwandelbar sein müssen, nach der Beziehung, daß bei jedem in der Natur möglichen Vorgang der Quotient aus Energie dividiert durch Masse konstant ist, nämlich gleich dem Quadrat der Lichtgeschwindigkeit. Wie in seiner Relativitätstheorie spielt auch hier die Lichtgeschwindigkeit eine besondere Rolle als universeller Grenzwert, als eine kosmische Konstante, die zusammen mit einigen wenigen anderen für die nächste Zeit einen Grundpfeiler für das jetzt geltende physikalische Weltbild bilden wird, solange nämlich, bis etwa neu beobachtete Erscheinungen auf keine Weise durch dieses Weltbild erklärbar sind, so daß neue Grundannahmen notwendig werden.

Die Einsteinsche Beziehung lehrt also, daß Masse verschwinden kann und dabei für unsere gewöhnlichen Begriffe außerordentliche Energiemengen frei werden, ohne daß zunächst erkennbar war, wo diese herrühren. Denn die ziffernmäßige Auswertung ergibt zum Beispiel, daß die völlige Umwandlung von 1 Kilogramm Masse eine Arbeit von 25 Milliarden Kilowattstunden freisetzt. Da Wien gegenwärtig einen Jahresbedarf von 0,7 Milliarden Kilowattstunden hat, so könnte dieser theoretisch durch 35 Jahre gedeckt werden, wenn der Massen-Energie-Umwandlungsprozeß ohne Nutzungsverluste durchgeführt und nach dem jeweils anfallenden Energiebedarf geregelt werden könnte. Andererseits ist klar, daß das plötzliche explosionsartige Freimachen so großer, vor der Umwandlung in denkbar konzentrierter Form verfügbarer Energiemengen eine furchtbare Zerstörungswaffe darstellen muß, und es ist daher verständlich, daß alle kriegführenden Großmächte sich mit der Entwicklung einer solchen Waffe beschäftigten, weil gerade etwa zu Beginn des Krieges ausreichende Kenntnisse und Laboratoriumserfahrungen verfügbar waren, die es als immerhin möglich erscheinen ließen, die Masse - Energie - Wandlung durch „Kernverbrennung“ zu verwirklichen. Die frei werdende Energie stammt nämlich, wie seither erkannt wurde, aus der Zertrümmerung von Atomkernen.

Die geltenden Anschauungen über die Feinstruktur

der Materie machen das Atom — vorstellbar als eine Kugel von etwa ein zehnmillionstel Millimeter Radius — als kleinstes Quantum chemischer Elemente seinerseits von einer Art planetarem Aufbau, das heißt aus einem positiven Atomkern und einer Anzahl diesen Kern umkreisender Elektronen (das sind negative Elektrizitätsteilchen) bestehend, gedacht. Die elektrischen Ladungen des Kernes und der Hüllenelektronen halten einander das Gleichgewicht. Die nach hundertmilliardstel Millimeter messenden Atomkerne bestehen ihrerseits aus positiven Protonen (Wasserstoffkernen) und unelektrischen Neutronen. Alle chemischen und optischen Erscheinungen spielen sich im Bereich der Hüllenelektronen ab, der Kern ist nicht daran beteiligt. Die positiven Kernprotonen müßten einander eigentlich elektrisch abstoßen, da sie dies nicht tun, so wird angnommen, daß im Kerninnern diese abstoßenden elektrischen Kräfte nicht wirksam sind, vielmehr sehr starke Anziehungskräfte zwischen den Kernbausteinen. Diese Nahe-Wirkungskräfte unbekannter Natur, deren Wirkungsbereich nur nach billionstel Millimeter zählt, die in diesem Bereich aber ungeheuer groß sind, sind es offenbar, welche bei jedem Massenschwund freigesetzt werden und die Quelle der Atomenergie sind. Diese hohen Bindungskräfte zwischen den Kernbausteinen sind auch die Ursache für die große Schwierigkeit, das Gefüge des Kernes durch äußere Kräfte zu erschüttern. Nur der spontane, durch keinerlei äußere Mittel irgendwie in seinem Ablauf beeinflußbare Atomzerfall der radioaktiven Elemente ist seit langem bekannt.

Als erster vermochte der Engländer Rutherford 1911 durch Beschießung von Stickstoffkernen mit den beim radioaktiven Zerfall auftretenden Alphateilchen (das sind Heliumkerne) als passenden Projektilen solche Stickstoffkerne unter Freiwerden eines Protons in Sauerstoffkerne zu verwandeln. Chadwick (USA) gelang es dann 1932, durch Beschießung von Beryllium mit Alphateilchen zum erstenmal das Neutron aus dem Kernverband freizusetzen, bei Umwandlung des Berylliumkernes in Kohlenstoff. Er stellte damit neuartige, höchst aktive Geschoße für weitere Kernzertrümmerungsversuche zur Verfügung, besonders hiefür geeignet deshalb, weil diese Neutronen keine elektrische Ladung haben (daher der Name) und deshalb ohne die Notwendigkeit der Überwindung elektrischer Abstoßungskräfte unmittelbar an den Atomkern herangelangen können. Das Neutron ist außerhalb des Kernverbandes sehr wahrscheinlich nicht stabil, es wird als das leichteste radioaktive Element angesehen von einer Lebensdauer von etwa einer Stunde, und besteht aus einem Proton und einem Elektron. Mit solchen Neutronen hat dann der Italiener Fermi 1934 den Kern des schwersten chemischen Elementes Uran (Atomgewicht 238) bombardiert und geglaubt, dabei Transurane (also neue Elemente schwerer als Uran) geschaffen zu haben. Hahn und Straßmann (Berlin) gelang aber 1939 der Nachweis, daß dabei auch ein Bariumisotop entsteht, ein Element von etwa dem halben Atomgewicht des Urans, daß der Urankern also bei der Zertrümmerung durch das Neutron etwa halbiert wird, eine fundamentale Erkenntnis.

Frisch und Lise Meitner (bei Bohr in Kopenhagen) zeigten kurz darauf, daß bei dieser „Kernspaltung“ im Sinne der Einsteinschen Formel für den Massenschwund sehr erhebliche Energiemengen freigesetzt werden. Schließlich machte im Frühjahr 1939 Joliot in Paris die folgenschwere Entdeckung, daß bei einer Kernspaltung am Uranisotop U 235 durch ein stoßendes Neutron je drei Neutronen von großer Anfangsgeschwindigkeit aus dem zertrümmerten Kern freigesetzt werden, die ihrerseits wieder weitere Urankerne spalten können, daß also unter geeigneten Versuchsbedingungen der einmal eingeleitete Kernspaltungsprozeß in dieser Substanz sich selbst immer mehr anfacht, ein Vorgang, der als Kettenreaktion bezeichnet wird (viele chemische Elemente, so auch das Uran, sind nicht einheitlich, sondern ein Gemisch von Substanzen, deren Atomgewicht nur wenig voneinander verschieden ist; man nennt die Bestandteile des Gemisches Isotope, sie unterscheiden sich chemisch und spektroskopisch in keiner Weise und können daher auch durch chemische Verfahren nicht voneinander getrennt werden).

Kaum vorstellbare Dimensionen

Bei allen bisher erwähnten Versuchen wird mit Beobachtungen an einzelnen Zusammenstößen, also in kleinstem Maßstab gearbeitet, wofür vorzügliche Beobachtungsgeräte verfügbar sind (Wilson-Nebelkammer, Geigersches Zählrohr). Man muß sich die in Frage kommenden Dimensionen zu vergegenwärtigen suchen, nämlich daß bei einem Kerndurchmesser von einem hundertmilliardstel Millimeter der Kern nur etwa ein zehntausendstel des Atomvolumens erfüllt, der Kern also in seinem Atomraum recht einsam ist, ein Neutronengeschoß daher ungestört Hunderte von Millionen von Atomen durchfliegt, ehe es zum Zusammenstoß mit einem Kern und zu dessen Zerspaltung kommt, ein Vorgang höchst brisanter Natur in dieser Mikrowelt, weil eben dann dabei die riesigen Bindungskräfte der Kernbausteine frei werden. Das Projektil hat daher bis zum Zusammenstoß mit einem Atomkern eine „mittlere freie Weglänge“ zu durchfliegen, die beim Uranisotop U 235 etwa 5 Zentimeter beträgt, so daß auch nur in einer Uranprobe von etwas größeren linearen Ausmaßen eine Kettenreaktion sich einige Zeit aufrechtzuerhalten vermag. Damit der größere Teil des aktiven Materials von ihr erfaßt wird, ist nämlich der Aufbau von 70 bis 80 Neutronengenerationen notwendig, der in etwa einmillionstel Sekunde, also explosionsartig vor sich geht. Da diese Kettenreaktion in reinem U 235 mit ungeheurer Hitze-, Druck- und Strahlungsentwicklung (mehreren Millionen Grad Celsius und mehreren Millionen Atmosphären) verbunden ist, so dehnt sich das „gezündete“ System sehr rasch aus, was eine schnelle Vergrößerung der freien Weglänge und damit wegen zu hoher Neutronendurchlässigkeit schließlich ein selbsttätiges Absterben der Kettenreaktion zur Folge hat, weil dann die Mehrzahl der Neutronen ohne Kernzusammenstoß aus der U-235-Probe (Bombe) entweichen kann. Das ist im wesentlichen das, was in der Atombombe vor sich geht, und dies alles war etwa zu Kriegsbeginn auch bekannt, allerdings, wie schon erwähnt, erschlossen aus Laborbeobachtungen an atomaren Einzelvorgängen. Wege zur Herstellung ausreichender Mindestmengen des für Bomben geeigneten Uranisotops U 235 waren nicht bekannt und daher bis zur Zündung der ersten Versuchsbombe in Los Alamos (New Mexiko) am 16. Juli 1945 noch ein sehr weiter Weg, für welchen die USA in etwas mehr als zwei Jahren mehr als eine Milliarde Dollar aufgewendet haben.

Das Uranisotop U 235

Bemerkenswerterweise hat Bohr schon 1939 auf Grund theoretischer Erwägungen vorausgesagt, daß gerade das Uranisotop U 235 durch vergleichsweise langsame Neutronen leicht zur Kernspaltung gebracht werden kann, daß aber das im gewöhnlichen Uran weitaus überwiegende Isotop U 238 hiefür höchstbeschleunigter Projektile bedarf. Dazwischen gibt es eine bestimmte kritische Geschwindigkeit, die sogenannte Resonanzgeschwindigkeit, bei welcher ein anderer bemerkenswerter Vorgang auftritt, nämlich daß der Kern von U 238 das Beschußneutron ohne Kernspaltung verschluckt, in seinen Verband aufnimmt und einbaut, wobei unter Freiwerden von Elektronen neue Elemente schwerer als Uran (Transurane) in zwei Stufen entstehen, und zwar zuerst Neptunium und dann als Endstufe das Plutonium (Atomgewicht 239). Dieses Transuran-Plutonium ist ein neugeschaffenes Element, das in der Natur gar nicht vorkommt und ähnlich wie das Uranisotop 235 durch langsame Neutronen zur Kernspaltung zu bringen und zum Aufbau einer schnellen Kettenreaktion, also auch als Bombenmaterial geeignet ist.

In der Tat bestand je eine der beiden im August 1945 auf Hiroshima und Nagasaki geworfenen Atombomben (von wenigen Kilogramm Gewicht) aus Uran 235 und eine aus Plutonium Die wirksamere von beiden vernichtete am 5. August in einem Augenblick 60 Prozent der Fläche der Stadt Hiroshima (6,5 Quadratkilometer) vollkommen. Die Wirkungen der Explosion im Nahbereich sind unvorstellbar, gemessen an allem bisher Bekannten, die Nachrichten darüber daher von großer Zurückhaltung.

Die Herstellung der Bombe

Über den Herstellungsprozeß der beiden Bombenmaterialien, des Uranisotops 235 und des Plutoniums sind jetzt einige Einzelheiten bekanntgeworden. In den USA sind hiefür drei Mammutanlagen errichtet worden, zwei in Clinton im Staate Tennessee (Oak-Ridge) und eine in Hanford, Washington. Daneben die schon erwähnte Bomben- und Rohmaterialversuchsanlage in der Wüste Los Alamos in New Mexico. Über die Wirkung der Versuchsbombe vom 16. Juli 1945, deren Explosion aus 13 Kilometer Entfernung kinematographisch aufgenommen wurde, wird mitgeteilt, daß die Druckwelle im Umkreis von 400 Kilometer fühlbar wurde und weiter, daß auch die Strahlungswirkung (durch Beta-Strahlen, das sind Elektronen) außerordentlich weitreichend war. Zwei Kodak-Fabriken, 800 Kilometer voneinander entfernt, haben zuerst unverständliche Beschwerden über Filmschleier schließlich auf die Wirkung der Versuchsbombe-zurückgeführt und die Marineakademie in Anapolis im Staate Maryland in mehr ab 3000 Kilometer Entfernung von der Explosionsstätte konnte eine erhöhte Ionisation der Luft mit einem Maximum am 18. Juli, zwei Tage nach der Explosion, messen.

Der Ort für die Fabriken ist bestimmt durch den ungeheuren Bedarf an elektrischer Energie und sehr reinem Kühlwasser. Wird doch berichtet, daß die Plutoniumanlage in Hanford im Vollbetrieb für mehr als eine Million Kilowatt Wärmeenergie an das aus dem Columbiafluß bezogene Kühlwasser — zunächst nutzlos als Verlust — abgibt. Gerade diese bei der Plutoniumherstellung frei werdende Wärmemenge ergibt übrigens derzeit die einzige praktische Möglichkeit, die Kernenergie für Atomkraftanlagen („Atommotor“) zu verwerten.

Ausgangsmaterial ist kanadische oder kalifornische Pechblende, aus der schwarzes Uranoxyd gewonnen wird. Dieses wird chemisch in Urantetrafluorid umgewandelt und daraus durch Elektrolyse ein sehr reines Uran gewonnen. Zur Gewinnung des Isotops U 235 aus dem sogenannten Uran (ein Gemisch von 99,3 Prozent U 238 und 0,7 Prozent U 235) sind nur physikalische Methoden geeignet, da Isotype chemisch identisch sind. Man verwandelt deshalb das Uran in Uranhexafluorid, welches bei leicht erhöhter Temperatur gasförmig ist, und nun kann die Isotopentrennung zum Beispiel nach einer Diffusionsmethode • erfolgen. Diese beruht darauf, daß zwei. Gase von verschiedener Dichte verschieden schnell durch eine poröse Membran hindurchgehen, nämlich das leichtere Gas schneller. In einer Diffusionskaskade von 4000 Stufen wird aus dem gasförmigen Isotopengemisch schließlich ein U-235-Hexa-fluorid von 99 Prozent Reinheit gewonnen und chemisch durch Entzug des Fluors in metallisches U 235 rückverwandelt.

Das elektrolytisch gewonnene Uran ist auch das Ausgangsprodukt für die friedliche Nutzung der Atomenergie.

Diese beruht darauf, daß man auch in dem natürlichen Uran eine einmal gezündete langsame, also nicht explosionsartig verlaufende Kettenreaktion dauernd aufrecht erhalten kann, ohne die Isotope vorher trennen zu müssen, wenn das Uran mit Dämpfungsmaterialien, sogenannten Moderatoren, in Verbindung gebracht wird, welche die Stoßneutronen durch wiederholten elastischen Stoß ohne Kernspaltung verlangsamen. Als geeignet erwiesen sich hiefür „schweres“ “Wasser, Beryllium, Helium und Graphit. Die Plutoniumanlagen in Hanford arbeiten mit Graphitblöcken, welche mit Bohrungen versehen sind und in diese werden Taschen aus reinstem Aluminium eingeführt, die mit Uranschrott gefüllt sind. Diese Graphitreaktionssäulen, in welchen die langsame Kettenreaktion unter riesiger Wärmeentwicklung abläuft, erzeugen durch den früher erwähnten Prozeß der Absorption von Neutronen einer gewissen kritischen Geschwindigkeit aus dem Isotopkern U 238 das Plutonium. Der Prozeß vermag sich — einmal durch eine Alpha-Beryllium-Neutronen-Quelle gezündet — selbsttätig aufrechtzuerhalten, wobei die Kernspaltung an den viel selteneren U 235er Atomen die Quelle für die Nachlieferung der Beschußneutronen ist, welche die langsame Kettenreaktion aufrechterhalten. Sie werden in der Mehrzahl durch inaktive elastische Stöße mit den Kernen der Moderatorsubstanz gebremst bis auf den kritischen Resonanzbetrag, der für die Aufnahme in dem Kernverband von U 238 zur Bildung von Plutonium notwendig ist, während vereinzelte Stöße an U 235 durch Kernspaltung weitere Beschußneutronen frei machen und so den Ablauf der Reaktion nähren. Diese Graphit-Uran-Säulen, deren Kühlung große Schwierigkeiten bereitet, reichern sich so allmählich an Plutonium an, daneben entstehen allerdings außer dem Zwischenprodukt Neptunium noch mehr als 30 andere Spaltprodukte höchster Giftigkeit und radioaktiver Strahlenausbeute, so daß diese Anlagen fernbedient werden müssen. Von Zeit zu Zeit werden die Uranbehälter aus den Graphitblöcken in Tanks ausgestoßen und das Plutonium chemisch extrahiert. Die anderen stark strahlenden radioaktiven Spaltprodukte muß man erst in stabile Endprodukte zerfallen lassen, ehe sie abgelagert werden können, ein schwieriges Problem für sich. Als Sicherheitseinrichtungn und um die Intensität der Kettenreaktion in den Graphitsäulen regeln und den Prozeß auch jederzeit auslöschen zu können, eignen, sich Stäbe aus gewissen Materialien, zum Beispiel Kadmium, die mehr oder weniger tief in die Graphitblöcke eingetaucht werden und den ganzen inneren Beschußrhythmus mehr oder weniger stören. Sie werden daher zutreffend als „Feuerhaken“ (poker) bezeichnet. Voraussetzung für das Funktionieren der Graphit-Uran-Säulen ist guter Neutronenwirkungsgrad, das bedeutet hier äußerste Reinheit aller am Aufbau der Säulen beteiligten Materialien.

Die Entwicklung dieser gewaltigen Anlagen zur Herstellung der Atombombenmaterialien, für welche keine Erfahrungen vorlagen und wo alle Teile ohne Vorbild neu geschaffen werden mußten, stellt eine einmalige technische Spitzenleistung dar, um so bemerkenswerter, als sie mit all den Hemmungen verbunden war, die sich trotz tausender Angestellter aus der unbedingten Geheimhaltung ergab.

Eine andere Entwicklung zur Plutoniumerzeugung arbeitet mit dem sogenannten schweren Wasser als Moderator. Ein Gemisch von Uran oder Uranoxyd und schwerem Wasser (in Spuren im gewöhnlichen Quellwasser vorkommend), von jeder Substanz einige Tonnen, ergibt auch eine langsame Kettenreaktionssäule zur Plutoniumerzeugung. Eine Anlage dieser Art soll im Frühjahr 1944 bei Petawawa am Ontariofluß in Kanada errichtet worden sein (auch in Deutschland waren Versuche in dieser Richtung im Anlaufen, begünstigt durch den Umstand, daß in Norwegen das schwere Wasser, ein kostbarer Stoff, bei einem großen Wasserkraftunternehmen gewonnen werden kann).

Zur schnellen Kettenreaktion, das heißt als Bombenmaterial sind also — soweit bis jetzt bekannt — nur das Uranisotop U 235 und das Transuran-Plutonium geeignet (wenngleich auch andere Substanzen, zum Beispiel Thorium und Protaktinium zur Kernspaltung verwendbar sind), und zwar nur bei Überschreiten einer durch die mittlere freie Weglänge gegebenen Mindestdimension. Zwei Würfel von einer gewissen höchsten Kantenlänge, die kleiner ist als die freie Weglänge, sind getrennt explosionssicher, nebeneinandergestellt ergeben sie die Bombe, über deren technisches Zündverfahren noch nicht bekanntgegeben wurde.

Die langsame Kettenreaktion, die zur Plutoniumerzeugung führt, ist, wie schon erwähnt, bis heute das einzige technisch brauchbare Mittel zur Verwertung der Atomenergie für friedliche Kraftzwecke, die nur in Form von Wärme, zum Beispiel für Dampfkraftanlagen, ausgewertet werden kann; denn es kommt nur auf das gesteckte Ziel an, oh das Plutonium Hauptprodukt und die frei werdende Wärme Nebenprodukt ist oder umgekehrt, Plutonium entsteht auf jeden Fall. Aber man darf sich heute noch keinerlei Illusionen hingeben, etwa dahingehend, als wäre nunmehr die „Kernverbrennung“ d i e Energiequelle der nächsten Zukunft und die Errichtung anderer Kraftwerke gewissermaßen schon als veraltet anzusehen, Meinungen, die tatsächlich schon in der Presse zum Ausdruck gebracht wurden. Der Aufwand an Energie für die Erzeugung des aktiven Materials ist ein sehr beträchtlicher Bruchteil der daraus zu gewinnenden, der Gesamtwirkungsgrad daher ungünstig und die aufzuwendenden Investitions- und Produktionskosten enorm. Nur in besonderen Fällen würde dieser Aufwand vielleicht heute schon vertretbar sein, etwa bei Schiffs- oder Großflugzeugantrieb, wo die Ersparnis an Treibstoffgewicht ausschlaggebend sein kann, insbesondere wenn dabei im Auge behalten wird, daß die Erfahrungen des praktischen Betriebes bald zu einer Besserung des Wirkungsgrades und Erhöhung der Sicherheit vor den Gefahren der sehr starken radioaktiven Strahlungsquelle führen werden, welche jede Kettenreaktionssäule darstellt. Aber das Auto, bei welchem zum Beispiel mit einigen Gramm Uran einige hunderttausend Kilometer gefahren werden können, ist beim gegenwärtigen Stand der Technik noch in weiter Ferne, solange nicht andere billigere Prozesse für die Auswertung der Atomenergie entwickelt werden. Theoretisch wären solche zum Beispiel auch denkbar, wenn technische Kernspaltungen im Bereich der leichten Elemente ausnützbar würden, die heute als vermutliche Hauptursache dafür angesehen werden, daß die Sonne, ohne nachweisbar zu erkalten, ständig durch echten Massenschwund ungeheure Energiemengen abgibt.

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