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Atomenergie als Umweltschlager

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Jetzt soll endlich reiner Tisch gemacht werden: Ein Energiekonzept wird entwickelt. Ist das die letzte Chance für die Atomenergie doch noch zu Ehren zu kommen?

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Jetzt soll endlich reiner Tisch gemacht werden: Ein Energiekonzept wird entwickelt. Ist das die letzte Chance für die Atomenergie doch noch zu Ehren zu kommen?

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Mitten in diese Szenerie kehrt ein alter Bekannter in neuem Gewände wieder in die Energiedebatte zurück: Der Dauerbrenner Zwentendorf wird in einer Situation, da die Sorge wegen des Waldsterbens allgemein um sich greift, als Umweltwunder gepriesen: Nach der Wasserkraft sei Kernkraft die umweltfreundlichste Energieform, stellte beispielsweise kürzlich Christian Beurle, Präsident der Industriellen Vereinigung, fest.

Weil Atomkraftwerke (AKW) nicht für das Waldsterben verantwortlich sind, werden sie als umweltfreundlich erklärt. So sehen auch Arbeiter- und Bundeswirtschaftskammer die Situation. Sie äußerten kürzlich ihre Besorgnis,

Zwentendorf könne im neuen Energiekonzept des Handelsministeriums unter den Tisch fallen. Und was spricht nach Meinung der Sozialpartner außer der „Umweltfreundlichkeit" für das AKW? Natürlich Preisargumente, denn Atomstrom sei halb so teuer wie der aus Kohlekraftwerken, und die scheinbar endlich gelöste Frage der Endlagerung des Atommülls.

Diesbezüglich wird auf die Erfolge von Walter Fremuth, Generaldirektor der Verbundgesellschaft, bei Gesprächen in China hingewiesen: Dort sei man bereit, österreichischen Atommüll in der Wüste Gobi „endzulagern". Einen Schritt weiter als die Sozialpartner ging der Wirtschaftssprecher der ÖVP, Robert Graf. Er fordert eine Volksabstimmung über das Thema Kernkraft. Ihr Einsatz sei nämlich erst ab drei Kraftwerken wirtschaftlich sinnvoll. Was stimmt an all diesen Behauptungen? Zunächst einmal ist richtig, daß die Inbetriebnahme nur eines AKW volkswirtschaftlich keine sehr günstige Lösung darstellt. Dies zeigt die deutsche Erfahrung mit AKWs, die nach demselben Modell wie Zwentendorf gebaut wurden. Sie müssen recht häufig aus Sicherheitsgründen abgeschaltet werden (1979 waren sie beispielsweise durchschnittlich nur zu 32 Prozent ausgelastet).

Will man also regelmäßig auf ein Mindestmaß an Atomstrom zurückgreifen können, muß man mehrere AKWs in Betrieb nehmen. Es geht daher sinnvollerweise um die Frage Atomstrom - ja oder nein — und nicht nur um den Betrieb des Kraftwerks Zwentendorf.

Und wie steht es mit der Endlagerung? Der Bereitschaft Chinas, unseren Atommüll zu übernehmen, stehen ernsthafte Bedenken der USA entgegen. Dort befürchtet man, China werde die Brennstäbe nicht nur lagern, sondern könnte sie als Plutoniumlieferanten betrachten. Plutonium aber braucht man für den Bau von Atombomben. Wie aber werden wir garantieren, daß die Chinesen sich nicht an unseren Brennstäben vergreifen?

Nehmen wir aber an, dieses Problem ließe sich lösen. Dann stellt sich die Frage des Transports. Welche Gefahren da lauern, zeigen zwei Ereignisse aus jüngster Vergangenheit: Ende August kollidierte ein Frachter mit radioaktivem Material im Ärmelkanal mit einem Fährschiff und sank. 450 Tonnen eines, wie beteuert wurde, nur mäßig radioaktiven Gases versanken mit dem Schiff.

Mittlerweile hat sich, wie üblich, herausgestellt, daß die Ladung doch weniger harmlos war. Französische Kriegsschiffe bewachen den Unfallort. Die Bergung soll nicht schwierig sein, denn das Meer ist dort nicht tief. Wenn es aber tief gewesen wäre? Hätte man sich dann damit beruhigt, daß ja auch vor der spanischen Küste, dem Atomabfallkübel Europas, 85.000 Tonnen strahlenden Materials versenkt worden sind? Ist Atomenergie wirklich so umweltfreundlich?

Nun die zweite Begebenheit: Mitte August kippt bei Radkers-burg ein Sattelschlepper um. Ein Teil der 15 Tonnen Methylbromid (ein Insektenvertilgungsmittel, das auch als Kampfgas eingesetzt werden kann) tritt aus. Der Lenker und acht weitere Personen müssen mit Verätzungen ins Spital.

Wer will da guten Gewissens behaupten, ähnliches sei beim Transport österreichischer

Brennstäbe auszuschließen? Und dabei ist Plutonium ein viel gefährlicheres Gift. Die höchstzulässige Dosis beträgt 0,5 Millionstel Gramm, unvorstellbar wenig. Wie sorgsam müßte erst mit diesem Material umgegangen werden!

Daß die Technik weit davon entfernt ist, solche Perfektion zu erreichen, zeigen US-Erhebungen: Seit 1950 verzeichnete man dort Brennstoffverluste von etwa 4.500 Kilo. Die Verantwortlichen meinen, dies müsse nicht unbedingt Diebstahl gewesen sein, es könne dem normalen Schwund entsprechen (ein Tausendstel des gesamten Brennstoffs). Von vollständiger Abschirmung kann also keine Rede sein.

Gehen wir nun einen Schritt weiter: Angenommen, der Transport funktioniert jahrzehntelang perfekt (also ohne Millionstel-

Es würde nicht bei Zwentendorf bleiben.

Verluste), wie ernst zu nehmen ist das chinesische Angebot? Beherrscht man dort die Technik der Endlagerung?

In „Kontakt" 3/84, einer Schrift des Verbundkonzerns, also eines unverdächtigen Zeugen, liest man dazu: „Uberall auf der Welt ist die Endlagerungstechnik für hochaktiven Abfall ins Versuchsstadium getreten." Und das verkaufen uns die Verantwortlichen als entscheidenden Durchbruch!

Wer sich so viel auf Rationalität beruft wie die Atombefürworter, dürfte sich doch nicht solche Blößen geben: Bevorstehende Versuche sollen die Grundlage für Entscheidungen mit Folgen für Jahrtausende bilden ? Aber, aber—und wenn die Versuche mißlingen?

Solange aber die Frage der Zukunft des radioaktiven Brennstoffs ungeklärt ist, sind auch die Preisberechnungen für den

Atomstrom eine Farce. Gut, die Bau- und Betriebskosten sind ungefähr abzuschätzen, die voraussichtliche Leistung jedoch eher schwer. Wie gesagt, sind die Stehzeiten oft recht lang, und eines der Kraftwerke vom Typ Zwentendorf, das bayrische Niederaichbach, wird demnächst abgetragen

- nach nur 18,3 Tagen vollen Betriebs!

Gänzlich unmöglich aber sind Aussagen über die Endlagerungskosten, solange es die dafür notwendige Technologie nicht gibt. Und selbst wenn China heute einen Preis nennt. Wer kann garantieren, daß er sich in zehn Jahren nicht vervielfacht hat? Wie rasch sich die politische Situation ändert, zeigt das Beispiel unseres letzten Verhandlungspartners in Sachen Atommüll: 1978 war das der Schah von Persien.

Schließlich sind auch die Abbruchskosten — auch sie mangels Erfahrungen weitgehend unbekannt — im Preis unterzubringen. Erst jetzt aber sollen die ersten AKWs abgerissen werden: das schon erwähnte glücklose Niederaichbach und in den USA das Kraftwerk Shippingport. Bei er-sterem rechnet man mit 600, beim zweiten mit 800 bis 1000 Millionen Schilling Kosten (Zwentendorf ist größer, daher sicher teurer).

Wie zuverlässig solche Schätzungen sind, verdeutlicht man sich am besten dadurch, daß man sich die zu bewegenden Materialmassen vor Augen hält: 18.000 bis 22.000 Kubikmeter radioaktiven Materials für ein 1.200-Megawatt-Kraftwerk, für Zwentendorf etwas weniger. Für den Transport fallen somit rund 100.000 Fässer zu je 200 Liter an.

Wird man die auch alle so sicher befördern wie die ausgebrannten Brennstäbe (immerhin nur 25 Tonnen jährlich)? Deren „Transportbehälter schauen aus wie Bomben, weil sie .bombensicher' sind. Sie überstehen Zusammenstöße, Brände und einen Sturz aus neun Meter Höhe auf eine Beton-platte"), wie die Verbundgesellschaft stolz verkündet.

Und wenn sie von höher als neun Meter fallen? Und wenn 100.000 Fässer transportiert werden müssen? Auf Tausenden Kilometern mit mehrmaligem Umladen? Durch Länder, die solche Transporte vielleicht verbieten werden? Unter weiter verschärften Umweltauflagen? Und all diese Risken und Unwägbarkeiten will man auf 30 bis 40 Jahre im voraus berechnen?

Ein echter Atomkraftbefürworter wird solche Anfragen nur überlegen lächelnd und im vollen Bewußtsein seiner rationalen Überlegenheit als emotionalen und daher unsinnigen Einwand zur Seite wischen. Atomkraft ist eben die billigste und umweltfreundlichste Energieform - und damit basta.

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