Tschernobys, Atomkraftwerk

Tschernobyl: Die Kernschmelze in der Ukraine

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Die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl war theoretisch gar nicht möglich

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Die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl war theoretisch gar nicht möglich

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Soweit die längerfristigen Folgen des Unfalls jetzt schon abzusehen sind wird es in einem Gebiet von 1.000 Kilometer Radius rund um das Atomkraftwerk in der Ukraine, je nach – meteorologisch bedingter – Ausbreitungsrichtung der radioaktiven Wolke, in den nächsten 20 Jahren etwa 10.000 zusätzliche Krebstote geben. Außerdem wird ein Gebiet von 10.000 Quadratkilometern für die nächsten Jahrzehnte landwirtschaftlich nicht genützt werden können. 3.000 Quadratkilometer (entspricht einem Radius von 30 Kilometern rund um das Kraftwerkgelände) müssen auf Jahre evakuiert bleiben, weil die radioaktiven Strahlendosen zu hoch sind.

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Kurzfristig ist mit akuten Strahlenschäden in einem Umkreis von fünf bis zehn Kilometer rund um das Kraftwerk zu rechnen. Die radioaktive Wolke ist aber auch über weite Teile von Nord-, Ost- und Mitteleuropa gezogen, wo gleichfalls mit längerfristigen Folgen gerechnet werden muss. In Schweden (1.000 Kilometer von Tschernobyl entfernt) werden in den nächsten 30 Jahren 200 bis 4.000 zusätzliche Leukämieerkrankungen erwartet, in Österreich zwei bis 15 zusätzliche Leukämiefälle.

Tschernobys, Atomkraftwerk; Landkarte

Übrigens: es gibt keine unschädlichen Radioaktivitätsdosen (auch die natürliche Radioaktivität und die Strahlen eines Fernsehers sind schädlich), nur steigt die Wahrscheinlichkeit einer Wirkung mit der Höhe der Dosen, das heißt, bei niedrigen radioaktiven Dosen ist die Wahrscheinlichkeit langfristiger Folgen für die betroffenen Menschen sehr gering.

Die sogenannten Strahlenschutzgrenzwerte sind allerdings lediglich juristische Kompromisszahlen und nicht biologisch oder medizinisch begründete Zahlen. Die Atomkraftwerksanlage in Tschernobyl besteht aus vier Reaktoren vom Typ RBMK-1000, zwei weitere Reaktoren der gleichen Type waren in Bau. Der Reaktor, in dem es jetzt zum Unfall gekommen ist, war der jüngste der ganzen Anlage, er wurde erst Ende 1983 in Betrieb genommen.

Beim Typ RBMK-1000 handelt es sich um Leichtwasser-Siedereaktoren mit Graphitmoderator von jeweils 960 Megawatt elektrischer Leistung (Zwentendorf ist auf eine Leistung von 692 Megawatt angelegt). In einem Graphitblock laufen durch senkrechte Bohrlöcher Druckröhren, in denen die Uran-Brennelemente stecken und durch die das durch die Kernspaltung zu erhitzende Wasser fließt, das zu Dampf wird und dann die Turbinen antreibt.

Atomare Katastrophen respektieren weder staatliche noch ideologische Grenzen. Und dass der erste Super-GAU in der Sowjetunion passierte, ist eher ein tragischer Zufall.

Der Hauptvorteil dieses Reaktortyps liegt darin, dass die Brennelemente während des Betriebs ausgetauscht werden können, während zum Beispiel bei den Reaktoren, die in der Bundesrepublik Deutschland oder in den USA in Verwendung stehen, der Reaktor zum Zwecke des Brennelementwechsels abgeschaltet werden muss, was einen ökonomischen Verlust bedeutet. Deshalb können die RBML-Reaktoren auch ohne größere ökonomische Einbußen zur militärischen Plutonium-Produktion verwendet werden, weil diese einen oftmaligen Brennelementewechsel erfordert.

Sicher und ökonomisch

Die Atomkraftwerke der Sowjetunion, insbesondere die älteren vom Typ WWER, galten schon bisher als weniger sicher im Vergleich mit den westlichen Reaktoren, weil sie zum Teil ohne Stahl-Sicherheitshülle rund um den Reaktorkern arbeiten und auch die Kühlsysteme nicht oder weniger redundant (das heißt, mehrfach vorhanden) ausgelegt sind.

Tschernobys, Atomkraftwerk; Arikel

Aber gerade jener Reaktortyp, bei dem es zum Unfall gekommen ist, galt auch im Westen als betriebssicher und ökonomisch. Nicht zuletzt deswegen, weil dieser sowjetische Reaktortyp wie die westlichen Typen mit einer doppelten Sicherheitshülle ausgestattet ist. Der US-Fachzeitschrift „Nuclear Engineering International“ vom Oktober 1984 ist zu entnehmen, dass der Reaktor Tschernobyl sowohl mit einem Behälter aus rostfreiem Stahl als auch mit einer zweiten Schutzhülle aus Spannbeton ausgerüstet war. Ist aber der GAU, das Kernschmelzen, einmal in Gang gekommen, dann nützt – wie der Unfall in der ukrainischen Kernkraftanlage bewiesen hat – eine solche doppelte Schutzmaßnahme auch nicht mehr.

Der Autor ist Physiker und Mitglied der Initiative „Naturwissenschaftler(innen) gegen WAA Wackersdorf“.

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