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Halbzeit in den Herbstsalons

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Sowohl der Pariser als auch der Frankfurter Autosalon gehören bereits der Geschichte an. Es ist Halbzeit in der Saison der Herbstausstellungen, dennoch stehen London und Turin bevor, erst dann wird ein endgültiges Urteil über die Entwicklung in diesem Jahr möglich sein, doch kann man heute schon eines sagen: Im großen ganzen stehen die Tendenzen, die sich abgezeichnet haben, fest; es ist kaum anzunehmen, daß die beiden letzten Expositionen dieses Jahres besondere Überraschungen bringen werden, es wäre denn, daß wie 1963 ein Mann wie Pinin Farina auftaucht, der damals erstmalig in Turin seinen Sicherheitswagen Sigma präsentierte, der inzwischen zum Maß aller Dinge des sicherheitsgerechten Autobaues wurde. Paris war insoferne eine Enttäuschung, als nur in der Klasse der für den Normalverbraucher unerreichbaren Luxuswagen wirkliche Neuheiten gezeigt wurden (als einzige Ausnahme wären die automatischen Getriebe bei Simca und Peugeot zu nennen, die auch für weniger Begüterte erschwinglich sind).

Frankfurt hingegen brachte diesmal eine große Fülle von Neuheiten, die zwar für Experten keine besonderen Überraschungen boten, weü sie seihon Wochen vorher gezeigt worden waren, für die Masse der Zuschauer jedoch waren sie neu, und vor allem zeigten sie im Vergleich zu früheren Jahren ganz bestimmte Entwicklungstendenzen. Man kann wohl von einer neuen Richtung im Automobilbau sprechen, die den Raumbedarf des Menschen und die Forderung nach Sicherheit an die erste Stelle setzt. Das kompakt gehaltene Triebwerk wanderte entweder vor oder zwischen die Vorderräder, und der überwiegende Teil des dahinterliegenden Raumes ist zur reinen Nutzfläche geworden. Beispiele für diese Entwicklung sind der Peugeot 204, die Modelle von BMC und um besonderen Maße der Renault R 16, der noch dazu eine neuartige Karosserie aufweist, die ein Mittelding zwischen der herkömmlichen Limousine und dem Stationswagen darstellt. Die Kombinationsmöglichkeiten (sieben Varianten), Fahrer und Gepäck raumsparend in diesem Fahrzeug unterzubringen, sind ein Musterbeispiel für die Tendenz, funktionell gebaute Fahrzeuge zu erzeugen. Daß sich auch ein Umschwung im Motorenbau abzeichnet, beweisen die Opelwerke. Diese deutsche General-Motors-Toehter hat einen Wechsel ihres bisher sehr konservativen Kurses zur obenliegenden Nockenwelle, zum ausgesprochenen Hochleistungsmotor in ihrem neuen Programm vollzogen. Motoren dieser Art gibt es natürlich schon lange, aber sie wurden meist nur von jenen Werken in ihre Erzeugnisse eingebaut, die entweder von Haus aus sportliche Fahrzeuge erzeugten oder aber zumindest zum normalen Programm auch sportliche Versionen lieferten. Nunmehr dringt also die Hochleistungsmaschine auch bei jenen Firmen vor, die bisher in dieser Beziehung zurückhaltend waren. Das liegt auch an dem Zug zum sportlichen Fahrzeug, welches heute überall in der Welt als Zeichen des Wohlstandes und der höhergeschraubten Anforderungen seitens der Käufer verlangt wird. Hand in Hand damit gehen neben den obenliegenden Nokkenwellen Mehrvergaser, Erhöhungen der Drehzahlen und der Verdichtungsverhältnisse. Der Leichtmetallmotor allerdings scheint sich nicht durchzusetzen, trotz der Ausnahmen bei Renault und Peugeot. Der dünnwandige Grauguß, in Amerika besonders hoch entwickelt, scheint größere Zukunftsaussichten zu haben.

Ein neues Element des Motorenbaues ist der von Glas stammende Zahnriemen aus Kunststoff für den Nockenwellenantrieb. Ob die Kraftstoffeinspritzung Fortschritte machen wird, ist heute schwer zu sagen, sie beschränkt sich auf einige wenige Firmen (Mercedes, Peugeot). Das Zweitaktprinzip scheint auf der absteigenden Linie zu sein. Hingegen wird der Frontantrieb, nach dem gegenwärtigen Stand zu schließen, in Zukunft eher gewinnen. Ein Beispiel für diese beiden Entwicklungen ist wohl das gemeinsame Kind aus der Ehe VW und Mercedes, der Audi der Auto-Union, ein Fronttriebler zwar, jedoch mit einem Viertaktmotor, der von Daimler-Benz gebaut wurde und als Mitteldruckmotor bezeichnet wird. Er unterscheidet sich von den heute üblichen Vergasermotoren durch das höhere Druck- und Temperatumiveau während des Arbeitsprozesses. Die Vorteile dieses Verfahrens führen zu einem geringeren spezifischen Brennstoffverbrauch bei gleichzeitig günstigerer Leistung des Motors. Ein weiterer Vorteil sind die geringeren Abgastemperaturen infolge der verlängerten Expansion, die von der hohen Verdichtung (1:11,2) herrührt.

Als weiteres Beispiel für die Tendenz zum sportlichen Wagen sei der Prinz TT 1000 angeführt: Neben den bekannten Ausführungen Prinz 4 und Prinz 1000 mit den beiden Versionen L und S und den sportlichen Modellen und schließlich dem Spider mit dem Wankelmotor wurden neuerdings die Modelle 1000 TT und NSU 110 neu ins Programm aufgenommen (dafür wurden die kleinen Typen storniert). Für sie wurde der Einliter-Vierzylindermotor auf gebohrt und auf 1085 ccm vergrößert. Die beiden Motoren differieren lediglich im Verdichtungsverhältnis, indem das des TT bei 9,0, das des 110 bei 8,0 liegt. Die PS-Leistungen unterscheiden sich voneinander nur wenig (55 und 53 PS). Bei gleich abgestuften Viergangvollsynchrongetrieben ergeben sich durch unterschiedliche Ubersetzungen zwischen Getriebe und Radantrieb Verschiebungen: der sportlichere TT ist eben der schnellere.

Der Zug zur Automatisierung des Getriebes auch in Europa, ebenso wie in Amerika, ist unverkennbar, nur geht es eben bei uns langsamer, weil unsere Fahrzeuge schwächer sind. Simca, wie erwähnt, hat da einen entscheidenden Vorstoß unternommen. Bei den Fahrwerken zeigt sich, daß neben Stahl als Blatt- und Schraubenfeder die Kombination aus Gas und Öl resp. aus Gummi und Wasser als Federungsmedium eine große Zukunft hat, während die Luftfeder sich im Personenwagenbau mit einer einzigen Ausnahme bisher nicht behaupten konnte. Citroen und BMC weisen in dieser Hinsicht den Weg in die Zukunft, der wchl der richtige sein wird. Die Frage der Scheibenbremse scheint endgültig zugunsten dieser Bremsart entschieden worden zu sein. Wenn man von einem „Sieg über die Trommel“ sprechen kann, ist er nicht zuletzt wahrscheinlich wegen des geringeren Wartungsanspruches der Scheibe erfochten worden.

Bei den Reifen macht sich das Vordringen von Nylon als Basis für die Karkasse bemerkbar, die wir auch in Frankfurt am Stand von Semperit beobachten konnten. Da ist der Cyclop, ein Lastwagenreifen für schweres Gelände, und der Grader-Reifen, der enorme Schubkräfte aufzunehmen imstande ist, als Beispiel für die Verwendung von Nylon zu erwähnen. Auch der neue „Tonnen-Expreß“, der mit 40°/o Überlastung bei einem Tempo von 100 km/h geprüft und für gut befunden wurde, muß in diesem Zusammenhang genannt werden. Semperit hat einen Reifen für Personenwagen mit Voll-Textilgürtel entwickelt, der eine Art gezähmter Gürtelreifen ist und auch dem normalen Autofahrer ohne Einbuße des Fahrkomforts die Vorteile besonders sportlicher Fahrweise bietet. Daß Semperit auch einen Winter-Gürtelreifen konstruiert, ist Fachleuten seit etwa drei Jahren bekannt, in Laienkreisen aber scheint sich erst jetzt die Erkenntnis durchzusetzen, daß Wintergürtelreifen mit höheren Geschwindigkeiten gefahren werden können, daß sie besser greifen, weil sich das Profil durch den steifen Gürtelunterbau in der Auflagefläche nicht schließt, daß sie höhere Seitenführungskräfte haben und daher besser in der Spur halten. Sie haben den Vorteil, daß sie mit Sommer-Gürtelreifen gepaart werden können.

Eine Überraschung des Frankfurter Automobilsalons war der gänzlich neue Typ „Hurricane“ der „österreichischen Automobil-fabriks AG“ aus Floridsdorf, ein Viertakt-Diesel-Sechszylinder-Reihenmotor mit direkter Einspritzung. Er leistet 130 PS, hat ein Gesamtgewicht von 13 t und eine Nutzlast von 7,6 t, Neuartig ist die komplett nach vorne abklappbare Motorhaube, die mit wenigen Handgriffen auch ganz abnehmbar ist und die Wartung und Reparatur wesentlich erleichtert. Der „Hurricane“ ist ein formschöner Lastwagen, das ideale Fahrzeug für Handel, Gewerbe und Industrie, er wird als normaler Pritschenwagen, als Kipper und als Sattelschlepper gebaut und ist auch als Fahrgestell lieferbar.

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