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Bis der im Becher funkelt

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GEPRIESEN UND GELÄSTERT, besungen und bestaunt, in alter Zeit für den Wiener da und in neuer Zeit für den Touristen: die berühmte Heurigenseligkeit! Die kleinen Schenken und die Lauben, die Holztische und der ausgsteekte Latschenzweig, die so recht isüß-traurige Musi und ein bisserl Lachen und Weinen dazu! Der Wiener, wenn er sinniert und philosophiert, mit hochgekrempelten Hemdsärmeln und einem „Is- eh-Wurscht“-Gesicht. Vor sich das Glas mit dem hellen, sauren, herben und jungen Heurigen, um den sich ja im eigentlichen alles dreht: die Philosophie, die Lieder, das Gedicht!

Wenn also dieser Wiener jetzt so zwischen den Weingärten von Nußdorf oder Grinzing spazieren geht, mit einer kalten Wiiotersonne im Rücken, dann denkt er bestimmt an jene gewisse Heurigenseligkeit. Aber ob er seinen Gedanken auch einmal eine Kehrtwendung gibt, in jene Richtung nämlich, welche nicht ganz so oft besungen wird. Und welche doch mindestens ein ebensolches Anrecht dazu hätte: hin zum Weinbau und allem, was dazu gehört?

MAN MUSS DA GAR NICHT SEHR weit Ausschau halten. In Klosterneuburg, nahe bei Wien, gibt es die älteste Wein- und Obstbauschule Österreichs. Sie stammt aus dem Jahre 1860 und war ursprünglich in einem Trakt des alten Stiftes, dem sogenannten Kuchalhof, untergebracht, August Freiherr von Babo, der in hohen Ehren gehaltene erste Direktor, batte den eigentlichen Ruhm dieser Anstalt begründet. Was nicht zuletzt darauf zurückzuführen ist, daß seine Tätigkeit in eine Zeit fiel, welche allgemein als die „Katastrophe des Weinbaus“ bezeichnet wird. Und daß er diese Katastrophe überwand: Es waren nämlich damals die gefürchtetsten Pilzkrankheiten des Rebstockes, der echte und der falsche Mehltau sowie die Reblaus eingeschleppt worden. Dadurch kam es in vielen Teilen Europas fast zum völligen Zusammenbruch des Weinbaus. Daß Österreich diese Krise überstand, wird nun vor allem Babo und seinen Vorsichtsmaßnahmen zugeschrieben.

Als die Schule noch „K. k. Höhere Lehranstalt für Wein- und Obstbau“ hieß, war sie die einzige Weinhauanstalt der alten Monarchie. Aber auch heute werden jegliche Ostkontakte eifrigst unterstützt. Wobei natürlich nicht nur mit den Ostblockstaaten, sondern darüber hinaus noch mit fast sämtlichen Ländern der Erde Verbindungen auf- rechtgehalten werden. Das beweisen die zahlreichen internationalen Fachzeitschriften, welche in der Bibliothek aufliegen und zu deren Übersetzung oft eigene Dolmetscher herangezogen werden müssen. Die eigene Fachzeitschrift „Mitteilungen“ wird demnach ebenfalls ins Ausland verschickt.

EINE BESICHTIGUNG DES BETRIEBES MIT seinen etwa 110 Angestellten (Saisonarbeiter mit eingerechnet) und den 124 Schülern ist sicher auch für den Laien interessant. Nicht umsonst war eine Führung durch die Schule ursprünglich im Programm für den Besuch des russischen Staatspräsidenten Pod- gomy vorgesehen. Die Verbindung von Unterricht auf der einen und Forschungstätigkeit auf der anderen Seite ermöglicht es der Anstalt, sich über den reinen Schulbetrieb hinauszuheben. Anderseits natürlich stellt diese Doppelrolle an die Lehrkräfte ganz besondere Anforderungen, und mit den üblichen Überstunden ist es nicht getan.

Ebensolche Anforderungen jedoch werden an die Schüler gestellt. Da ein Abschluß der vier Jahrgänge (welche demnächst auf fünf erhöht werden sollen) einer Matura auf einem Gymnasium gleichkommt, müssen sie neben dem Wein- und Obstbauunterricht, den naturwissenschaftlichen und landwirtschaftlichen Fächern, Betriebslehre und Buchführung auch noch die an einem Gymnasium führenden allgemeinbildenden Gegenstände in ihren Stundenplan aufnehmen. Ein umfangreiches Programm! Welches zur Folge hat, daß den üblichen 34 bis 36 Wochen stunden der allgemeinbildenden höheren Schulen in diesem Falle bis zu 46 Wochenstunden gegenüberstehen. Wobei natürlich die Hausarbeit noch nicht eingerechnet ist.

Eine allgemeine Überbelastung ist also auch hier festzustellen. Trotzdem aber muß in diesem Zusammenhang das durchaus blühende Aussehen der jungen zukünftigen Weinbauern festgestellt weiden. Die Schüler, deren Mindestalter 16 Jahre beträgt, stammen zum großen Teil aus dem bäuerlichen Milieu. Sie sind also noch nicht „verstädtert“, wie man so schön sagt. Nach Absolvierung der Schule werden sie zum Teil auch wieder in den elterlichen Betrieb zurückkehren. Die führende Mehrheit jedoch wird in ein abhängiges Dienstverhältnis treten, das heißt, sie wird Stellungen in der Privatpraxis annehmen, im öffentlichen Förderung - und Verwaltungsdienst oder im landwirtschaftlichen Lehrberuf und in der Kelle- reiinspektiön. Sie können auch die Hochschule für Bodenkultur besuchen. Für ein anderes Universitätsstudium allerdings sind Ergänzungsprüfungen notwendig. Weiter kann dem Absolventen nach fünfjähriger selbständiger Praxis der Titel „Ingenieur“ zuerkannt werden.

WENN MAN DAS SCHWERE, schmiedeeiserne Tor in den Vorgarten öffnet, wird man sogleich mit der Kunstfertigkeit eines Obstbaumzüchters konfrontiert. In Girlanden und Kreisen drehen sich da Äste und Zweige so, wie es ihnen vorgeschrieben wird. Es ist dies natürlich hauptsächlich als Zierde — sozusagen als Blickfang gedacht. Denn Aufgabe des Wein- und Obstbaues ist es vor allem, die natürliche Entwicklung zu fördern — wie Direktor Dr. Konlechner ausführte —, aber nicht, sie zu zerstören.

An Blumenbeeten vorbei und Glashäusern, die der Schule sozusagen als Hobby dienen (neben Blumenzüchtung für den eigenen Bedarf werden hier Untersuchungen über die Virusfreiheit von Reben vorgenommen sowie Versuchsarbeiten zur Produktion virusfreier Erdbeerpflanzen durchgeführt), betritt man dann durch ein zweites, schweres Tor das eigentliche Hauptgebäude. Hier kann einem entweder ein Rudel weißbemäntelter Schüler über die Stiege entgegenpoltem, oder aber man hat das Glück, in die fachkundigen Hände einer — ebenfalls weißbemäntelten — Lehrkraft zu geraten. In welch letzterem Falle man dann sicher gut aufgehoben ist.

Die Höhere Weinbaulehranstalt in Klosterneuburg hat eine Bibliothek mit mehr als 18.000 Werken. Alte, schwere Bücher in Schweinslederein- band aus dem 18. und 19. Jahrhundert, welche einen umfangreichen Schatz aus Großmutters Kräuterwis-

sen bergen. Weiter Belletristik und Fachliteratur. In einem zur Verfügung stehenden Leseraum kann vom Schüler die Auswahl getroffen werden.

Die Klassenzimmer unterscheiden sich von jenen eines Gymnasiums vor allem dadurch, daß es hier statt der üblichen ausgestopften Vögel und Tiere in den Schaukästen künstlich Früchte, Kunststoffblüten mit riesigen Staubgefäßen, aufgespießte

Schädlinge und demonstrierte Ver- edelumgsprozesse gibt.

Etliche Laboratorien mit einer Unzahl von Destillationsapparaten, Büretten und Reagenzgläsern dienen der wissenschaftlichen Forschungstätigkeit.

WEITER GIBT ES NOCH EINEN Mikroskopiersaal und ein botanisches Laboratorium. Einen Filmsaal und ein eigenes Photolabor. In der „Obstverwertung“ wird der Saft aus den Früchten gepreßt. Von großen Körben kollern die Äpfel in den sogenannten „Bunker“, einem mit Wasser bis oben gefüllten Bottich. Dort werden sie gewaschen und mit dem „Becherwerk“, kleinen, maschinell betriebenen Gefäßen, nach oben geschafft. Dann in einer Mühle zer- malen und in einer Presse gepreßt, wobei der Saft durch einen Trichter in den darunter befindlichen Keller rinnt, während das übriggebliebene ausgepreßte Fruchtfleisch, der sogenannte Trester, als Schweine- oder sonstiges Futter für die Bauern Verwendung findet. Der Saft aber kann in großen Bottichen je nach Fruchtart nun zu den verschiedensten Getränken verarbeitet werden. Zu Obstbrand, Apfelsaft oder Apfelwein, zu Pfirsich- oder Marillennektar, zu Ribisel- oder Traubensaft. 2500 Liter Sekt werden in einem riesigen Tank unter einem Druck von vier Atmosphären aufbewahrt. Hunderte von Flaschen warten im Flaschenlagerungsraum, säuberlich aneinandergereiht, darauf, gefüllt zu werden. Fast alle Arbeiten werden von den Schülern durchgeführt. Angetan mit großen, blauen Arbeitsschürzen, den beißenden Geruch halbgegorener Säfte in den Nasen und dem Gedröhn der Zentrifugen in den Ohren, wechseln sie über feuchtem Boden ihre Arbeitsplätze, um die verschiedenen Handgriffe zu tun.

Neben der Obstverwertung gibt es dann noch das Preßhaus, welches ausschließlich der Verarbeitung der Weintrauben dient. Hier werden die Trauben vorerst in speziellen Maschinen „abgerebelt“, das heißt von den Stengeln befreit, worauf sie in der Presse gepreßt werden und der Saft wiederum durch einen Trichter in den darunter befindlichen Raum geleitet wird.

Die neben dem Pressehaus befindliche Koststube hat meist Hochbetrieb. Denn hier werden an dem großen bäuerlich geschnitzten Tisch mit schmiedeeisernen und traubengeschmückten Leuchtern darüber die einzelnen Weinsorten einer geschmacklichen Prüfung unterzogen. Während die eine Schmalseite des Raumes ein pausbäckiger, jugendlicher Keramik-Bacchus ziert (ein Kugeleinschlag an seinem rechten Oberschenkel erinnert heute noch an feucht-fröhliche Gelage während der vergangenen Besat- zumgszeit), vergegenwärtigt genau gegenüber ein Riesenfaß mit der geschnitzten Darstellung der Eröffnung der Weinbauschule das Jahr I860. In der Koststube werden aber auch häufig in- und ausländische Besucher empfangen und zu einem

Glas Obstsaft oder Heurigenwein eingeladen. Damit jedoch auch der Wein vergangener Jahre angeboten werden kann, wurde im untersten Kellergeschoß eine eigene „Weinbibliothek“ angelegt. Hier sind nun je ein paar Flaschen der verschiedensten Weinsorten ab dem Jahre 1945 aufbewahrt. Der Wein wird jedoch mit Ausnahme von Spät- und Ausleseweinen meist innerhalb von zwei bis drei Jahren konsumiert. Darüber hinaus dient er mehr dem wissenschaftlichen Interesse. Um die Veränderung festzustellen, welche er durch lange Lagerung erfährt. Die Zeiten, wo der Schloßherr für einen ehrenvollen Besuch den jahrzehnte- alten und daher besonders edlen Wein vom Keller kommen ließ, sind daher vorbei. Heute würde dieser Besucher wohl ein ziemlich abscheuliches Getränk konstatieren. Denn der Wein wird nur für kurze Lagerungszeiten berechnet. Weil alles und jedes — und daher auch der Weinkonsum — schnell gehen muß.

DIE HEURIGEN WEINE JEDOCH sind im Weinkeller aufbewahrt. In großen schwarzen Fässern mit der alten Babenberger-Krone darauf.

Vertauscht man nun das Gebäude mit der Natur: das ausgedehnte Wein- und Obstbaugebiet in näherer und fernerer Umgebung wurde von der Schule hauptsächlich gepachtet. In den praktischen Übungen wandern die Schüler in Gruppen in die Anlagen hinaus, um dort von den jeweiligen Fachkräften unterwiesen zu werden. Da lernen sie dann alles über Rebenselektion und Pflanzenzüchtung, wie man einen Weinstock aufbindet und nach welchen Regeln man den Boden düngt. Daß einer Hochkultur größere Bedeutung zukommt als einer Stockkultur und wie die Schädlingsbekämpfung durchzuführen ist. Sie müssen die Trauben der verschiedensten Sorten, ja selbst die einzelnen Beeren einsammeln, um ihr Gewicht zu bestimmen. Vor allem aber müssen sie als Folge der fortschreitenden Technisierung die Bedienung der landwirtschaftlichen Geräte und Maschinen lernen. Denn wenn die Maschine auch nicht die ganze Arbeit übernehmen kann — gewisse Dinge werden immer Reservat der rein manuellen Arbeit bleiben —, so hat sie sich doch einen großen Teil davon erobert.

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