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Stahlschnitt aus Steyi

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DIE WEISSGESTRICHENE, mit Türmchen und Erkern verzierte Villa an der Peripherie von Steyr besitzt ein wenig von der verzuckerten Romantik des vorigen Jahrhunderts. Sie will weder zu dem kühnen Stil der sich in Wurfweite über die Enns spannenden und eben erst eingeweihten Betonbrücke passen noch zu der breiten Asphaltstraße, welche an ihr vorbei den Pendelverkehr mit der Landeshauptstadt ermöglicht. Sehr deutlich scheint sie sich von diesen Ergebnissen einer schnellebigen Moderne zu distanzieren, im Schutz von Blutbuchen und Buchsbaumhecken.

Dem vorbeibrausenden Autofahrer dürfte sie über Zweck und Bestimmung einiges zu raten geben. Und wahrscheinlich wird er — insofern er dafür Interesse zeigt — zwischen herrschaftlichem Privatbesitz und öffentlicher Sehenswürdigkeit alle Möglichkeiten in Erwägung ziehen. Kaum jedoch dürfte er auf den etwas prosaischen Gedanken verfallen, daß es sich hierbei um eine Schule handelt: um die einzige Stahlschnittschule Österreichs.

Hätte er sich allerdings ein wenig mit der Steyrer Chronik beschäftigt, würde ihm diese Tatsache nicht mehr so ungewöhnlich erscheinen, sondern vielmehr aus dem organischen Wachstum der Stadt erklärbar.

Seit dem frühen Mittelalter, also seit die ersten Vorrechte im Eisenhandel an sie verliehen wurden, haben in der Stadt Metall und Metallwert eine besondere Rolle gespielt. Kunstvolle, schmiedeeiserne Schilder an den Gasthäusern, Brunnengitter und Türverzierungen beweisen es noch heute. Die Wasserstraße der Enns bot eine günstige Verbindung zum Erzberg und bildete so die Grundlage für den Reichtum, der sich in der gediegenen Vornehmheit mittelalterlicher Bürger- und Patrizierhäuser erhalten hat. Später wurde sie zum Hauptsitz der Klingenschmiede, und die Eisenwaren gingen nach Deutschland, Böhmen, Schlesien, Polen, Ungarn, Rußland und sogar bis in den fernen Orient. Im there-sianischen und josephinischen Zeitalter entwickelten sich die ersten Fabrikbetriebe, und Joseph Werndl machte Steyr zur Waffenschmiede

Bereits um das Jahr 1660 begann man sich um die künstlerische Formgebung des Eisens durch Ätzen, Gravieren, Ziselieren und Meißeln zu bemühen. Die umfangreiche Messersammlung im Steyrer Stadtmuseum beweist eine gewisse Fertigkeit im schon damals geübten Eisen- und Stahlschnitt. Im Rokokozeitalter jedoch geriet er fast in Vergessenheit — anscheinend hatte die Begeisterung der damaligen Kunstwelt zu sehr an chinesischem Porzellan und italienischer opera buffa Feuer gefangen. Erst das vorige Jahrhundert brachte ihm mit Ritzinger, Zimpel und Blümelhuber wieder Berechtigung. Dieser besonders hat sich bei den Steyrer Bürgern hohes Ansehen verschafft. Halb Handwerker, halb Mystiker, schnitt er wundervolle, symbolische Gebilde in Stahl, zu denen viele seiner Gedichte die geistige Grundlage bildeten. Er war es auch, der sich jenes weiße Haus zwischen den Blutbuchen bauen ließ, in welchem seine Wohnung, sein Atelier und die von ihm gegründete Landeskunstschule untergebracht waren. Und so ist der Kreis geschlossen. Denn die Schule, welche sich jetzt darin befindet, dient als Zweigabteilung der „Höheren Technischen Bundeslehranstalt“ vor allem der Weiterführung einer alten Tradition.

DER STAHLSCHNITT IST heute zu einer merkwürdigen Mischung von bildnerisch gestaltender Handfertigkeit einerseits und Anpassung an die Maschinenarbeit anderseits geworden. Das Verschiedene an Künstler und Handwerker wird vielleicht hier am deutlichsten sichtbar. Von einem Stahlschnitt im eigentlichen Sinn spricht man dann, wenn das hergestellte Stück auch das Endprodukt ist. In unseren Tagen, wo vom Besteck bis zu Maschinenteilen in Massen für die Massen produziert wird, ist dies jedoch kaum möglich. Daher hat es sich die Schule auch zur Hauptaufgabe gemacht, Fachkräfte für die Industrie heranzubilden. Denn das ehemals „eherne“ Zeitalter ist zu einem der synthetischen Kunst- und Preßstoffe geworden, und die Gegenstände, welche ihre Muster oder Verzierungen den Arbeiten eines Graveurs verdanken, lassen sich kaum in einem Atemzug nennen: Es sind Mamas Kunststoff-schusseln und Papas blitzende Chromverzierungen des neuen Wagens, das Spielzeug des Jüngsten und die Füllfeder des Ältesten. An der Herstellung von Farbdruckwalzen des Zimmermalers, Stoffdruckereien, Preßformen für Kunststoffe, Gummi und Glas, Kernen und Gesenken für Schmuck ebenso wie an gravierten Platten für Marken und Banknoten ist der Graveur beteiligt.

Natürlich können bei dieser enormen Weite des Arbeitsgebietes in einer Ausbildungszeit von vier Jahren nur jene Grundlagen geschaffen werden, die es dem Absolventen ermöglichen, sich draußen in der Praxis rasch in das ihm zukommende Spezialgebiet einzuarbeiten. Im allgemeinen jedoch überwiegt die Nachfrage das Angebot, und es ist nicht schwer, einen entsprechenden Arbeitsplatz zu finden.

BEREITS BEIM BETRETEN des Hauses durch säulchengeschmückten Eingang empfängt den Besucher ein Hämmern und Klopfen wie in einer betriebsamen Schusterwerkstatt, dazwischen das Sirren einer Feile und Summen eines Bohrers. Er betrachtet einen modellierten Gipskopf, ein fast fertiges Eisengitter von beachtlichen Dimensionen und die riesigen Stoßzähne eines Elefanten, welche irgendein passionierter Safarijäger von einer Afrikareise heimbrachte und nun entsprechend gefaßt sehen will.

Im Erdgeschoß wird hauptsächlich Maschinengravur durchgeführt, weil die Maschinen wegen ihrer Schwere in den oberen Stockwerken einsturzgefährdend wirken könnten (schließlich hatte Meister Blümelhuber beim Bau dieses Hauses nicht mit einer derartigen Entwicklung gerechnet). Im ersten Stockwerk werden darin die feineren Arbeiten hergestellt. Ein Brieföffner — der kunstvolle Griff bedeutete eine Arbeit von fast 100 Stunden —, Knöpfe, Schmuckstücke und Prägstöcke für die verschiedensten Stempel und Medaillen. Auch sogenannte Gürtlerarbeiten werden durchgeführt. Der Ausdruck „Gürtler“ stammt aus dem mittelhochdeutschen „gurtelaere“ oder dem niederdeutschen „gordeler“. „Mahle ein Stück Ziegelstein oder Dachziegel ganz fein, schmilz Pech in einem irdenen Topf und setze etwas Wachs hinzu. Sind diese beiden innig verschmolzen, so mische das Ziegelmehl dazwischen, rühre die Masse tüchtig und gieße sie in Wasser aus.“ Diese Schilderung des Benediktinermönches Theophilus vor einem Jahrtausend über die Herstellung des Treibkittes hat heute noch ihre Berechtigung.

Ebenso wird eine Scheibe auf dieselbe Art wie damals zu einem Gefäß geschmiedet. Es hat sich also nicht viel in der Technik des Gürtlers geändert. Nur die Erzeugungsgegenstände sind anders geworden: moderne Schalen, gehämmerte Leuchter, extravagante Vasen und originelle Wetterhähne. Die Entwürfe dazu werden teils selbst ausgearbeitet, teils von Vorlagen entnommen. Besonders in der ersten Klasse kämpft der Schüler mit der Formgestaltung. Im Zeichenunterricht soll er damit vertraut gemacht werden. Es sind recht hübsche Arbeiten, die dabei entstehen können: Blumen, Pflanzen und Wappenmotive, farbige Entwürfe für Emailschmuck und sorgfältige Kopierarbeiten. Der Erfolg dabei hängt natürlich von der jeweiligen künstlerischen Begabung ab, die in Anbetracht des einmal auszuübenden Gewerbes meist nicht zu hoch gegriffen werden darf. Ist sie aber dennoch vorhanden, wird der Schüler anschließend die Akademie oder irgendeine Kunstgewerbeschule besuchen können.

Im zweiten und damit auch letzten Stockwerk ist die Gold- und Silberschmiede untergebracht. Für den Liebhaber dieses Genres eine richtige Fundgrube. Denn was hier hergestellt wird, kann sich gut und gerne mit den Erzeugnissen der Wiener Werkstätten oder dem aus Skandinavien eingeführten und augenblicklich so beliebten Schmuck vergleichen. Armreifen, Ringe, Halsketten und Broschen werden hier aus der Taufe gehoben, unfertiges Material liegt auf den Tischen verstreut und gibt der Phantasie Gelegenheit, die verschiedensten Kombinationen anzustellen. Gold und Silberplatten, farbige Edel- und Halbedelsteine warten auf ihre Verwendbarkeit. Und in dem Durcheinander von Feilen und Meißeln, Schleifsteinen und Drahtstücken, Schälchen und verknoteten Gummischläuchen, dazwischen schießenden blauroten Flammen und aufbrausenden Säuremixturen, nimmt der Vergleich mit einer mittelalterlichen Alchimistenstube greifbare Formen an. Und er scheint nicht einmal so weit, hergeholt zu sein, wenn man bedenkt, daß jedes, in oft wochenlanger Arbeit und mit viel saurem Schweiß hergestellte Stück für den Schüler so etwas wie den gefundenen Stein der Weisen bedeutet.

DIE RUND 50 Schülerinnen und Schüler, welche sich entweder in Gravur- und Gürtlerarbeiten oder Gold- und Silberschmiede und Gürtlerarbeiten ausbilden lassen, müssen das Mindestalter von 14 Jahren erreicht haben. Nach oben hin sind jedoch keine Grenzen gesetzt, und die Gastschüler, welche diese Tätigkeit als reines Hobby betreiben, könnten oft schon Väter oder Mütter der Vierzehnjährigen sein.

Bereits in der ersten Klasse werden sie mit sämtlichen Fächern vertraut gemacht, die dann bis zur vierten Klasse eine entsprechende Verfeinerung erfahren. Der Abschluß bringt die Gesellenprüfung,welche nach einem Jahr Praxis durch die Meisterprüfung ergänzt werden kann.

UM EINE AUSBILDUNG auf breiter Basis zu ermöglichen, müssen natürlich auch theoretische Fächer unterrichtet werden, welche neben den üblichen Gegenständen, wie Deutsch, Geschichte, Geographie, Mathematik, Chemie und Kunstgeschichte noch Edelsteinkunde und Projektionslehre enthalten. Auf diese Weise ist der Schulet den ganzen Tag ausgelastet und pendelt zwischen Praxis in der „Blümelhuber-Villa“ und Theorie in dem einige Gehminuten entfernt befindlichen Hauptgebäude hin und her. Die darin untergebrachte Schule (sie hat erst vor kurzem durch die neuen Schulgesetze eine Namensänderung von „Bundesgewerbeschule“ in „Höhere technische Bundeslehranstalt“ erfahren) wurde vor 80 Jahren unter dem Motto „Künstlerische Belebung des Handwerks“ gegründet, hat sich jedoch — den Anforderungen der Zeit gehorchend — immer mehr und mehr zur Bildungsstätte der Techniker entwickelt. Einzig die Abteilung für Stahlstanzenschnitt, Metalltreiben und Gravieren, welche seit 1960 in der Blümelhuber-Villa eine eigene Existenz führt, ist den ehemaligen Grundsätzen treugeblieben.

Ein wegen Restaurierungsarbeiten noch nicht ganz fertiggestellter Ausstellungsraum soll neben Arbeiten Blümelhubers, die während des Krieges samt Schriften, Briefen und Tagebüchern im Keller des Hauses ein wenig beachtetes Dasein fristeten, auch solche von Schülern ausgestellt werden. Und es wurde tatsächlich in den letzten drei Jahren einiges geleistet. Unter anderem Medaillen für den UNESCO-Rede-wettbewerb, Ehrenringe für die demnächst in Amsterdam stattfindende Österreich-Woche, Meßgeräte für die Kapellenausstattung der Bundessportschule in Schielleiten und als Glanzstück ein Pokal für den Schah von Persien, welcher seinen Weg über die unter Mithilfe österreichischer Lehrer in Teheran gegründeten gewerblichen Schule fand, deren Direktor einst als Werkstättenleiter an der „Höheren technischen Bundeslehranstalt“ in Steyr tätig war.

Ein wie bisher gezeigter Eifer wird dieser interessanten Schule noch so manchen Wurf gelingen lassen. Und der hiermit orientierte Autofahrer muß sich auch nicht mehr in Vermutungen über den Zweck des weißen Hauses ergehen. Er kann sogar seinen Motor abstellen und einen Blick hinter die Fassade tun.

Ich glaube, es wird sich sogar lohnen.

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