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Urkunden und Kunstwerke

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Mit der Besinnung der heute führenden Generation auf die eigenen Werte, mit der Wendung nach innen und auf das Detail, die im Historischen die Orts- und Landschaftsgeschichte wieder zu Ansehen brachte welche erst die Voraussetzungen für eine neue Sicht der großen Zusammenhänge zu geben hat, sind auch im Bereich der Kunstgeschichte neue Ergebnisse zu erwarten gewesen. Jene Bestrebungen datieren nicht erst von heute oder von 1945, sondern sie sind gut fünfundzwanzig Jahre alt, und sie haben sich, bewußt oder unbewußt, in diesem oder jenem Rahmen in den sieben Jahren des Dritten Reiches gehalten.

Nunmehr, nach drei Jahren, die übrigens seit dem wirklichen 950jährigen Jubiläum der alten Donaustadt verflossen sind, legt die Festschrift der Stadt Krems wichtige, neue Arbeiten vor, die in dem angedeuteten großen Zusammenhang verstanden sein wollen. Hier kann nur von den kunstgeschichtlichen Dingen die Rede sein, zumal an einen Aufsatz angeknüpft werden soll, der an dieser Stelle „Furche“ Nr. 50, 1947 erschienen ist.

Fritz Dworschak gibt in seinem Beitrag Krems-Stein und Göttweig in der Kunst des ausgehenden Mittelalters zunächst eine Zusammenstellung schon veröffentlichter Urkundenregesten, betreffend die Wiener Künstlerfamilie der Kremser, die auch die älteste Ansicht der Stadt in ihre persönlichen und historischen Zusammenhänge bringen soll. Dann folgt eine Serie von wichtigen Neuveröffentlichungen, in denen wir eine Reihe von mittelalterlichen Kremser Künstlern kennenlernen, von denen L. W i 1 g i t e r und A. Stängel besonderes Interesse beanspruchen können. Leider sind andere, schon früher veröffentlichte Quellen nicht wiederholt worden. Da sie heute schwer zugänglich sind, werden wir diese Beschränkung bedauern müssen.

Die Stadt Krems ist nämlich durch die Forschungen Hermann Göhlers schon vor zwölf Jahren für einen kurzen Zeitraum seiner Geschichte in die Reihe der führenden Kunststädte Österreichs gerückt. Göhler, dessen Tod im letzten Weltkrieg einen schweren Verlust für die junge Historikergeneration bedeutete, hat damals nachgewiesen, daß einer der Hauptanreger des sogenannten Donaustils, Jörg Breu der Ältere, in den Jahren vor und um 1500 in Krems gearbeitet hat.

Damals wußte man so gut wie gar nichts von Künstlern in den kleineren österreichischen Städten, eine Lücke, die erst in den letzten Jahren in zunehmendem Maße, etwa in Kärnten und Oberösterreich und nun durch die obengenannte Veröffentlichung auch für Krems, allmählich ausgefüllt wird. Dworschak hat eindrucksvolle Argumente vorzubringen, die das Arbeiten Breus in der Werkstatt Laurenz Wilgiters wahrscheinlich machen, in der, durch die vermutete Herkunft dieses Meisters begründet, Augsburger Einflüsse plausibel werden. Aus stilkritischen Gründen sind solche Feststellungen gerade in der Zeit der Jahrhundertwende vor der Reformation schon vielfach behauptet worden.

Nur wer selbst in den Archiven gesessen ist und mühsam Band um Band gewälzt hat, kann den Aufwand an Mühe beurteilen, der notwendig ist, um diese Reihen von „trockenen Notizen“ zustande zu bringen. Nur er wird auch die Versuchungen einschätzen können, denen der glückliche Findet zu unterliegen droht, wenn er wirklich Namen und Jahreszahlen gefunden hat. Denn man sollte es nicht glauben, wie sehr sich die urkundlichen Angaben gegen eine Vereinigung mit den vorhandenen Kunstwerken sperren! Wenn man sich klarmacht, daß hier wie da nur dürftige Überreste vorhanden sind, dann wird es wohl verständlich, daß die Wahrscheinlichkeit, beide in Deckung zu bringen, eine geringe ist. Immer wird ein hohes Maß an Kombinationsgabe und an unerbittlicher Selbstkritik notwendig sein, um nicht der Entdeckerfreude, einer jäh inschießenden Idee oder unbewußter Voreingenommenheit zum Opfer zu fallen.

Im verflossenen Jahrhundert hat man es sich meistens leicht gemacht, indem man nur die Regesten, also Auszüge, edierte und die Schlüsse daraus anderen überließ. Wenn aber der Quellenforscher auch Kunsthistoriker ist, der über ein gutes Rüstzeug verfügt, dann wird er diese Selbstbeschränkung heute nicht mehr auf sich nehmen. Und trotz aller Vorsicht werden Irrtümer nicht ausbleiben, die freilich nicht so tragisch sind, wenn der Autor einwandfrei Gesichertes von den subjektiven Ergebnissen seiner Interpretation zu scheiden Wfiß.

Diese Feststellungen sind notwendig, weil nur aus diesen Verhältnissen heraus verständlich wird, daß auch auf diesem Gebiet erbitterte Fehden toben können, an deren mehr oder minder großen Sachlichkeit man die Reife der Persönlichkeit und der Epoche wird ab’esen können. Bis in die jüngste Zeit reichen die Beispiele, daß wissenschaftliche Gegensätze die Formen peinlicher Unduldsamkeit angenommen haben — man denke nur an die Beziehungen zwischen den beiden kunsthistorischen Lehrkanzeln der Wiener Universität bis vor fünfzehn Jahren —, ein Zeichen, wie auch in der Welt der Geisteswissenschaften die Zeichen der Zeit sichtbar werden…

Bei der Auslegung von kunsthistorischen Quellen scheinen solche Streitigkeiten besonders nahezuliegen. Dazu zählen etwa auch die Inschriften auf den Gewandsäumen mittelalterlicher Plastiken oder gemalter Figuren, die sehr oft sinnvoll sind, die aber in den meisten Fällen ohne Gewaltsamkeit nicht gedeutet werden können. Ein ehrliches „Ignoramus“ ist dann stets der bessere Teil. Was einer aber dennoch lesen zu können vermeint, wird für andere ohne Beweiskraft bleiben. Mitten in solche schwankende Gefilde führt auch Dworschak, da er in seiner Arbeit wieder an den Fragenkomplex gerührt hat, der wie kaum ein zweiter auf dem Gebiete der Kunstgeschichte die Publizistik der letzten Zeit beschäftigt hat: das Problem des Kefermarkter Altars. Erfreulicherweise ist eine an sich naheliegende Polemik beiseite geblieben.

Wir wissen, daß Dworschak die Zuschreibung dieses herrlichen, rätselvollen Kunstwerkes an die Werkstatt des Martin Kriechbaum in Passau schon zu einem Zeitpunkt vertreten hat, in dem dieser Name ebenso leer war wie viele andere auch. Die Nachrichten, die er nun gesammelt hat, beweisen deutlich genug, daß die K r i e c h- baum-Werktstatt zu den bedeutendsten ihrer Epoche gezählt hat. Darüber hinaus ist die Folge der Dokumente über den Göttweiger Hochaltar eine einzigartige, wenn auch ihre Rätsel vielleicht nicht alle gelöst sind. So fragen wir vergebens nach dem Verbleib der doch zweifellos in den siebziger Jahren gefertigten Altarteile, andererseits besitzen wir nur ein Drittel der Rechnungsbelege der vereinbarten Summe von tausend Pfund Pfennigen. An dem Schlüsse, daß dieser Altar in jenem von Mauer erhalten sei, wird kaum zu zweifeln sein. Vielleicht bestätigt uns aber einmal eine verborgene Notiz in einem Visitationsbericht des 17. oder 18. Jahrhunderts das, was auch jetzt schon große Überzeugungskraft besitzt. Trotzdem sei betont, daß dieser Altar bei aller wissenschaftlicher Durchleuchtung immer noch voll Rätsel steckt, auch darin ein echter Bruder des Kefermarkters.

Die Kriechbaum-Frage, mit der die drei großen, einzigartigen Altarwerke von Kefermarkt, Mauer und Adamsthal der ehemalige Zwettler Hochaltar verbunden sind, hat mit diesen Urkundenauszügen einen entscheidenden Fortschritt erfahren. Was wir jetzt im Rahmen der sogenannten „ersten“ Kunstgeschichte brauchen, ist vor allem eine Scheidung der Hände innerhalb der Werkstatt mit stilkritischen Mitteln und sind ikono- graphische Untersuchungen, die das Problem der Kriechbaumschen Kruzifixe, auf das jetzt hingewiesen wurde, ebenso klären werden wie das der Madonnenbilder. Dworschak gibt von den letzteren zwei sehr verwandte Beispiele, die zweifellos in den Kreis gehören, den Prälat Michael Hartig im letzten Heft des „Münsters“ durch seine Ausführungen über die „Schöne Madonna“ von Salzburg als Gnadenbild und ihr Verbreitungsgebiet umrissen hat.

Wir haben damit die Themen angedeutet, die über den Kremser Rahmen hinaus für die österreichische Kunstgeschichte von großer Bedeutung sind. Es wäre zu wünschen, daß jede unserer Städte in der Lage wäre, gleich wie die alte Donaustadt so wertvolle Beiträge zur Erforschung unserer reichen Vergangenheit zu leisten!

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