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KAHLE HÄNGE, TOTE WÄLDER?

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In Österreich fehlen Untersuchungen zufolge rund 15.500 Hektar Schutzwälder. Kahle Hänge lassen vergessen, daß einst Hoch.gebirgs- wälder bis zu 400 Meter höher an- stiegen als heute.

Allein zwischen 1774 und 1880 gingen die Wälder an der oberen Waldgrenze zwischen 1500 und 2100 Meter auf die Hälfte zurück. Um Almen • anzulegen, brannten Bauern größere Waldflächen alb, düngten und besäten sie. Auf diese Weise entstanden für einige Jahrzehnte ergiebige Weidegründe. In der Folge jedoch verwuchsen die Wiesen mit Alpenrosen, Besenheide, Bürstling und allerlei Zwergsträuchem und der Futterertrag ging stark zurück. Die Bauern halfen sich meist, indem sie weitere Gebiete rodeten, und die Almflächen nahmen immer größeres Ausmaß an. Dazu kam die dichter und dichter werdende Besiedlung der Alpenländer.

Parallel mit der Waldwirtschaft wurde der nach unten anschließende Fichtenwaldgürtel schwer geschädigt und zum Teil zerstört. Käsereien verschlangen enorme Mengen von Brennholz, man benötigte außerdem Zaun- und Bauholz. Alles mußte der Wald hergeben, außerdem noch Streu für das Vieh. Die Sennen hackten Fichtenäste ab und rodeten die Bodenvegetation, Sträu- cher und Jungbäumchen fielen ihren kurzen Bergsensen zum Opfer, mit ihren groben Eisenrechen zogen sie die oberste Moos- und Humusschicht mit ab. Zurück blieb ein karger und karger werdender Gebirgsboden und ein „toter Wald“ ohne Verjüngung, ohne Nachwuchs. Grau, mit Flechten behängen und zahlloser Äste beraubt, siechten diese „Schneitel- fwälder“ dahin.

Die Futternot auf den Almen zwang oft die Tiere, ihre Futter- suche auf die Gebiete oberhalb und unterhalb der Almböden auszudehnen. Dabei wurde nicht nur das Aufkommen von i Jangbäumen verhindert; die Hufe- -der schwere - Tiere traten den Boden fest oder fügten ihm Schäden zu, Trittlöcher, in denen sich das Wasser sammelte. Eine unscheinbare Fußstapfe war oftmals der Beginn riesiger Bodenabschwemmungen.

Die Erschließung' von Bodenschätzen, vor allem jedoch deren Verarbeitung trugen das Ihrige zum Waldschwund bei. In Tirol nahm diese Entwicklung schon Mitte des 13. Jahrhunderts ihren Ausgang. In -der Folge wurden die Forstämter den Salinen angescblossen und vertraten größtenteils deren Interessen. Zwischen 1460 und 1839 wurden eine Reihe von „Holz- und Waldordnungen“ erlassen, sie ließen jedoch waldbaulicbe Grundsätze weitestgehend außer acht. Bis ins 18. Jahrhundert wurden Großkahlschläge durchgeführt, die sich bisweilen über ganze Talseiten erstreckten.

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Wie man heute weiß, haben insbesondere die hochgelegenen Wälder eine wichtige Aufgabe im Wasserhaushalt der Natur zu -erfüllen. Ein Teil des Niederschlages wird bereits von den Baumkronen aufgefangen und verdunstet. Dichte Zirhenwälder in Hochgebirgslagen fangen von 35 Millimeter Niederschlägen 20 Millimeter ab. Das Wurzelsystem der Bäume lockert den Waldboden, so daß eine Wassersäule von 100 Millimeter in ein bis zwei Minuten versickert. Beweidete Waldböden brauchen zur gleichen Wasseraufnähme 20 Minuten, der verhärtete Boden einer stark frequentierten Weide mit seinem dicht verfilzten Graswurzelgeflecht ein bis drei Stunden.

Der Wurzel-raum eines 50jährigen Mischwaldes kann bis zu 2 Millionen Liter Wasser pro Hektar speichern, 200 Liter pro Kubikmeter. Bei wolkenbruehartigen Regengüssen fängt er bis zu zwei Dritteln der Wassermenge ab. Was davon nicht verbraucht oder verdunstet wird, -gelangt unterirdisch und mit großer Verspätung in die Bäche und Flüsse.

Fehlen die Waldbestände, so fließt das Wasser an der Oberfläche ab oder konzentriert sich in Bodenvertiefungen, die zum Beispiel vom Viehtritt hervorgerufen wurden. Besonders verhängnisvoll wirkt es sich aus. wenn die Sohle des Baches angegriffen wird oder ein Bösch-ungs- fuß. Ganze Bacheinhänge mit dem darauf stockenden Holz kommen zum Rutschen und führen im Bach zu Verklausunige-n und Rückstau. Wehe, wenn die Barriere dann bricht! Die Flutwelle ist oft so gewaltig, daß sie Brücken zum Einsturz bringt, Häuser, Straßen und Bahnlinien wegreißt und weite Kulturgründe mit unheimlichen Mengen von Geröll verwüstet. Allein bei den Hocbwasiserkatastrophen 1965 und 1966 entstanden Schäden von dreieinhalb Milliarden Schilling!

Nicht weniger verheerend wüten die Lawinen. Sie sammeln sich in den entwaldeten Gebieten und reißen auf ihren Sturzbahnen ganze Wälder mit sich. Die noch an den

Hängen stockenden Wälder werden dezimiert und aufgesplittert, die Wal-dkrone erleidet tiefe Wunden. Allein in den Lawinenwintern 1951 und 1954 gab es 241 Tote und Schäden in der Höhe von 161 Millionen Schilling. 2500 Lawinen gehen jährlich im Durchschnitt in bewohnte Gebiete ab (Lawinenlkataster von Innsbruck und Bregenz). Zwei Drittel von ihnen brechen in der sogenannten subalpinen Zone zwischen 1600 und 2000 m los, die einst von Wäldern bestockt ' war. Sie könnten vom Wald gebannt werden.

Aufforstungen im Wirtschafts- waldgebiet sind meist mit keinen besonderen Schwierigkeiten verbunden. Anders liegt dies bei Waldneubegründungen in den entwaldeten Hochzonen. Hier sind die jungen Forstpflanzen auf engstem Raum den verschiedensten. Beanspruchungen ausgesetzt. Der Wind,, der ungehindert über die Heidebödefi streicht, verweht im Winter den Schnee. An aperen Stellen sind die Pflanzen dem Frost ausgesetzt und haben im Sommer unter besonderer Trockenheit zu leiden, weil der Boden keinen Vorrat an Feuchtigkeit speichern konnte. An anderen Stellen sammeln sich gefährliche Schneemassen als Lawinenfutter. Sch-neeglei-ten, Schneekriechen und höhe Schneebedeckung beeinträchtigen hier unter Umständen das Aufkommen eines Jungwaldes. Sonnen- und Schattenhänge, Mulden und Felsrippen stellen jeweils andere Ansprüche an junge Bäumchen.

Alle diese Umstände führen dazu, daß eine Wiederbewaldung der Lawinen- und Hochwassernährgebiete sehr kostspielig ist und umfangreiche wissenschaftliche Voruntersuchungen erfordert, um überhaupt Aussicht auf ein Gelingen zu halben. Es wurde daher in Innsbruck eine eigene Forschungsstelle der Forstlichen Bundesversuchsanstalt Wien begründet, mit einer Freilandstation in Qber- gurgl und einem Klimahaus am Patscherkofel. In zehnjähriger Arbeit haben hier erfahrene Fachleute völlig neuartige Methoden zur Sanierung der kritischen Gebiete ausgearbeitet.

Technische Verbauungen wurden bereits gegen . Ende des vergangenen Jahrhunderts vorgenommen. 1884 wurde ein Wildbachverbauungsgesetz erlassen, dais Vorkehrungen zur unschädlichen Ableitung von Ge- birgswässern vorsieht. Aber mit diesen Maßnahmen, die seither mit nur kurzen Unterbrechung © durchgeführt werden, konnte zwar ein Sofortschutz erreicht werden., die Ursache des Übels blieb jedoch bestehen: Die Wälder in der kritischen „subalpinen“ Zone fehlen. Gefährliche Spitzenabflüsse nach Gewittern, Starkregen und bei der Schneeschlmelze,

außerdem Lawinen, did mit ungeheurer Wucht zu Tal rasen und dabei in die Krone der tiefer liegenden Wälder klaffende Lücken reißen. Tobende Wildbäche, die riesige Geröllmassen mitschleppen und den Böschungsfuß unterspülen, so daß ganze Bacheinhänge mit den darauf stok- kenden Wäldern ab rutschen. Wehe, wenn die dabei aufgebauten Barrieren brechen! Es entstehen dabei oft Flutwellen, die Brücken wie Zündhölzer knicken, die Häuser, Straßen und Bahndämme wegreißen und weite Kulturgründe mit Unmengen von Geröll verschütten. Nun soll lebendiger grüner Wald die Ursache solcher Katastrophen bekämpfen und den Siedlungsraum in den Tälern schützen.

800.000 junge Lärchen und Zirben wurden in diesem Sommer in den Hochlaigen des Zillertales ausgesetzt, pro Hektar 6000. Nachpflanzungen und Neubepflanzung wurde im Herbst vorgenommen. 800 Hektar kahler Steilhänge tragen schon Jungwälder.

Die Verwirklichung des Vorbeugungsprojektes im limksufrigen Zillertal ist neben jenen der Nordkette Innsbruck, im Pitztal, Patznauntal und Lechtal am weitesten fortgeschritten. Es umfaßt eine Fläche von 197 Quadratkilometer, das Areal von elf Gemeinden, die Einzugsgebiete von 11 großen Wildbächen und 21 Lawinensturzbahnen. Rund 800 Hektar Schutzwälder wurden hier bereits aofgėforstet, vorhandene Wälder von der Waldweide und der Streunutzung entlastet. Den Almbesitzern erwuchsen trotz Verkleinerung ihrer Weide keine Nachteile. Die Böden wurden verbessert und der Betrieb auf eine Weise intensiviert, daß die Bauern den gleichen Viehstand halten können.

Viel Mühe und hoher persönlicher Einsatz der unermüdlichen Kata- strophenbekämpfer ist mit diesen Erfolgen verbunden. Und dennoch: Wenn ;s man ; bedenkt, daft V rund

155cQQflff0Rektem Schutzwälder. : .

Österreich fehlen, ist diese gewaltige Arbeit nur ein Tropfen auf einen heißen Stein! Mit 600.000 Forstpflanzen sind erst 100 Hektar Wald angelegt. Es fehlen die Mittel, die Arbeiten in großem Maßstab voranzutreiben.

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