Klimadruck macht Himalaya-Riesen zu schaffen

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Die Auswirkungen des Klimawandels sind im Himalaya manifest: Gletscherseen bersten, Permafrostböden tauen und die Hänge beginnen zu rutschen – mitsamt den Dörfern.

Zuerst hatte es eine Woche geregnet, heftig und ohne Unterbrechung, typisch für den Monsun an den Südhängen des Himalaya. Dann schien für drei Tage die Sonne, die Temperatur lag über 30 Grad. Am vierten Tag setzte wieder Regen ein. Es regnete nur ganz leicht. Auf Nepali sagt man dazu simsime pani, Wasser, das leise wie Nebel zu Boden fällt. Das genügte, um eine Katastrophe auszulösen. Die Flanke eines ganzen Berges geriet in Bewegung, alle Terrassenfelder donnerten hunderte Meter hinunter in den Fluss. Eine riesige Schlammlawine riss Häuser und Unterstände für die Haustiere mit. Auf einen Schlag wurde damit eine zehnjährige Entwicklungsinitiative zerstört, ein Projekt der Hoffnung begraben.

13 Tote, darunter fünf Kinder, wurden in Sikidim gezählt, einem Dorf mit 60 Häusern und 350 Einwohnern in der Pufferzone des Makalu-Barun Nationalparks im Osten Nepals. Wo zuvor wogende Hirse- und Maisfelder den Weg säumten, gab es keine Wege mehr, keine Pflanzen, keine Felder – nur Geröll, Morast, meterbreite Risse im Boden. Und es regnete, regnete, regnete …

Monsun: spät, aber gnadenlos vehement

Der Monsun kam letztes Jahr spät, brach aber mit gnadenloser Vehemenz über den Himalaja herein. Tausende wurden obdachlos, aber nirgendwo war die Tragödie so tödlich wie in diesem Dorf eines landwirtschaftlichen Entwicklungsprojekts von EcoHimal. Die Gesellschaft für ökologische Zusammenarbeit Alpen-Himalaya arbeitet seit vielen Jahren in den entlegenen Tälern Nepals, das zu den ärmsten Ländern Asiens gehört.

Die Unverhältnismäßigkeit der Niederschläge hat mit dem Klimawandel zu tun. Die Experten des Forschungszentrums in Kathmandu befürchten, dass sich in der Hindukusch-Himalaya-Region Dürreperioden mit Überschwemmungen ablösen werden. Manche Region dürften mangels Wasser versteppen und andere im Überfluss ertrinken. Wo zu wenig Regen fällt, bleiben die Ernten aus und den Menschen wird die Lebensgrundlage entzogen. Die größte Gefahr jedoch droht jenen Dörfern, die in der unmittelbaren Nähe von Gletscherseen liegen. Davon gibt es in der gesamten Himalaya-Region etwa 200, darunter einige von der Größe des Fuschlsees im Salzkammergut. Wenn die Gletscher weiter schmelzen, schwappen diese Seen über ihre Ufer, die aus mehr oder weniger stabilen Moränen bestehen. Die Druckwelle durchbricht dann diese natürliche Begrenzung und die Fluten des Sees ergießen sich ins Tal.

Ein Unglück von solchem Ausmaß ereignete sich vor Jahren in der Mount Everest-Region. Damals wurden etliche Dörfer überschwemmt, viele Wohnhäuser und ein im Bau befindliches Kraftwerk von den Wassermassen mitgerissen. Bis in die indische Ebene hinunter gebärdete sich der Bhote Khosi, der Fluss, der aus Tibet kommt, wie wild. Eine alte Sherpa-Bäuerin, die Augenzeugin des Infernos war, sah vorne auf der großen Sturzwelle einen schwarzen Drachen reiten …

In der Himalaya-Region dürften die Temperaturen zur Jahrhundertmitte bei etwa drei Grad über dem derzeitigen Jahresmittel liegen. Gebiete über einer Höhe von 4000 Metern werden nach dem derzeitigen Stand der Forschung vom Klimawandel am stärksten betroffen sein. Als Konsequenz davon werden die Schnee- und Eisdecken schneller abschmelzen, Permafrostzonen teilweise auftauen, Hangrutsche und Steinschlag enorm zunehmen und eine ständige Bedrohung für Dörfer, Wege und Straßen, für Menschen und Tiere sein. Viele Gebiete werden unbewohnbar werden, weil die Vegetation die Temperaturänderung nicht verkraftet, die Biodiversität stark abnimmt und die Ernteerträge schrumpfen. Ausgeprägter als in den Alpen, wo man dem Klimawandel auch positive Seiten abzugewinnen versucht und sich Vorteile in der Landwirtschaft oder im Tourismus erwartet, sehen die Subsistenzbauern der Himalaya-Region das erwartbare Szenario als akute Gefährdung und Verschlechterung ihrer ohnehin schon kargen Lebensbedingungen.

Nepal-Dorf steht zusammen – jetzt wieder

„Zehn Jahre der Angst und des Bürgerkriegs haben wir überstanden – und jetzt haben wir nichts mehr zum Leben!“ Dipendra Rai, einer der Wortführer in Sikidim, schüttelt immer wieder den Kopf. Weil die Armut hier so groß war, fanden die maoistischen Rebellen schnell Unterstützung in der Bevölkerung. Der ganze Distrikt wurde während des zehnjährigen Bürgerkriegs gegen die korrupte Monarchie zu einer Bastion der Roten. Deren Kommandierende blickten immer skeptisch auf das Dorf und seine Genossenschaft, denn diese war nicht mit kommunistischen Parolen gegründet worden, sondern entstand aus einem Entwicklungsprojekt, das Österreich und die Schweiz finanzierten. Aber sie ließen die Kooperative gewähren, weil sie zeigte, was eine starke Gemeinschaft schaffen kann.

Die Kooperative verwaltete die Ersparnisse der Bewohner wie eine Dorfbank und vergab Kleinkredite. Der ganze Stolz des Dorfes gehörte aber den Kardamom-Anpflanzungen, wo auf zehn Hektar Land über 100.000 Setzlinge gepflanzt wurden. Die ersten Ernten waren sehr vielversprechend ausgefallen und brachten ein gutes Einkommen. Die Bewohner von Sikidim schienen es geschafft zu haben. Man blickte mit Stolz auf die Erfolge der Kooperative – bis der große Regen kam!

Chandra Bahadur steht mit zwei Enkelkindern vor den Trümmern seines Hauses. Seine Frau, sein Sohn und seine Schwiegertochter sind unter den Toten. Er gehört zu jenen Bauern, die noch mit der Natur ganz verbunden sind, und er hatte schon Tage vor dem Unglück gewarnt, denn die Tiere verhielten sich merkwürdig unruhig. Er weiß noch diese Art von Elefantenradar zu deuten, aber auch die indigene Weisheit half nicht gegen die entfesselten Naturgewalten.

Die Regierung hat den Bauern aus Sikidim einen Flecken Land, einen Tagesmarsch vom bisherigen Dorf entfernt, zur Verfügung gestellt. Die Umsiedlung erfolgt, sobald die Distriktverwaltung die zugesagten Gelder für den Bau der neuen Häuser ausbezahlt. Aber wer soll den anderen Schaden ersetzen, ein neues Trinkwassersystem finanzieren, womit Wege, Brücken, eine Schule bauen? Wenn die Menschen von Sikidim ihre Toten bestattet haben, machen sie sich auf den Weg. Sie werden anfangen, ein Stück Dschungel zu einem bewohnbaren Territorium zu machen, mit Feldern, auf denen wieder Hirse und Mais wächst, mit Häusern, in denen die Frauen wieder Stoffe weben …

Die Menschen in den Bergen haben über Jahrhunderte den Gefahren der Natur getrotzt und gelernt, ihre Lebensweise den Bedingungen anzupassen. Aber wie können sie künftig ihre Existenz sichern, angesichts der neuen Bedrohungen durch den Klimawandel, die jenseits des Vorstellbaren liegen?

* Der Autor ist Professor an der Universität Salzburg und Vorsitzender von EcoHimal

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