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Beim kleinsten Volk Europas

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Die Föringer Reigentänzer, Vogelfänger und Fischer Von Univ.-Dozent Dr. Ernst K r e n n

Draußen im Hexenkessel des Nordatlantik, wo sich die ganze Natur mit ihren schauerlichen Gewalten gegen die Menschheit verschworen hat, wo fürchterliche Stürme über das Land hinsausen und Mahlströme die Binnenschiffahrt zu einem waghalsigen Unternehmen gestalten, wo das Nordlicht seine bunten Zauberbänder über den Himmel schlingt und im Sommer die hellen Nächte das Leben zu einem einzigen Tag gestalten, da lebt auf kahlen Felsen und Klippen das kleinste Volk Europas mit seiner eigenartigen Sprache und Kultur, das Volk der Föringer, etwas über 30.000 Seelen an der Zahl.

Alljährlich kommen Millionen von Seevögeln der südlichen Hemisphäre daher, um auf den steilen Felsen der Westküste zu brüten. Zu dieser Zeit werden auch die Vogelfänger an langen Seilen in den schier bodenlosen Abgrund hinabgelassen, 50, 100, 200 und mehr Meter. Die Ausbeute sind viele Vögel und Vogeleier oder auch der Tod. Während unseres letzten Aufenthaltes stürzten zwei Männer in die gurgelnden Wasser mit den Klippen und wurden zerschmettert.

Alljährlich kommen in der warmen Golfströmung Grindwalscharen und mit ihnen Treibholz aus dem Golf von Mexiko. Nach der Schlacht, bei denen es auch Todesopfer geben kann, geht der Grindwaltanz durch die taghelle Sommernadit. Der förische Reigen, der bis in heidnische Zeit zurückreicht und ein Opfertanz war, wird durch den Sprechgesang begleitet und enthält alles, was ein Menschenherz froh und erlebnisvoll machen kann. Die alten Balladen, wie das Nibelungenlied und Kudrun, die bei uns schon längst ein Zweig des gelehrten Studiums geworden sind, leben hier noch im Volke, ja noch mehr, sie haben in den schwersten Zeiten die eigene Sprache erhalten geholfen. So ein Reigentanz kann tagelang währen. Während die einen ruhen, tanzen die andern in der Reigenkette weiter, sei es in Heimen, sei es auf Halden oder Schiffen.

Die Föringer waren, als sie von Südwestnorwegen als Ostmänner und von Irland als Westmänner kamen, Bauern. Und Bauern sind sie geblieben, wenn ihnen auch die Schaf- und Viehzucht nur wenig einbringt. Zugleich sind sie aber auch Fischer, jetzt vielleidit noch mehr. Sie fahren bis Island, Grönland, wo sie einen eigenen Hafen haben, und bis zur Bäreninsel bei Spitzbergen aus, um Dorsdr zu fangen, der daheim auf den Klippen getrocknet wird und als Klippfisch vor allem in die lateinischen Fastenländer Europas und Südamerikas geht. So wird auch der Handel schier weltumspannend.

Wenn ich noch bemerke, daß es ein Föringer war, Jonas Bronck, der 1624 mit holländischen Schiffen ausfuhr und sich in Manhattan niederließ, so staunt man wohl, daß ein Mann des kleinsten Volkes die größte Stadt der Erde, New York, gründete.

Heute, da so viel über den Frieden gesprochen und geschrieben wird, mutet es unwillkürlich einladend an, wenn man im Inselreich keinen einzigen Soldaten sieht. Zur Zeit unserer Anwesenheit fand eine Abstimmung statt, ob eine kleine Bürgerwehr gegründet werden sollte, doch wurde mit vollem Recht der Antrag fast einstimmig abgelehnt. In einem Lande, in dem schon im 9. Jahrhundert einer der ältesten Landtage Europas tagte, in dem es keine Diebe gibt, hat man so etwas auch gar nicht nölig. Und gegen außen zu würde eine solche Wehrmacht auch nicht helfen können, wie die Seeräuberzeiten melden, in denen man sich auf die Berge flüchtete und zusehen mußte, wie Hab und Gut gestohlen und Dörfer verbrannt wurden.

Es gibt aber auch nur einige Polizisten, und die nur in den größten Orten. Wozu auch? In einem Lande, in dem man die Haustüren nicht absperrt, in dem für jeden Bewohner des Fischereibezirks nach der Grindwalschlacht sein Anteil ruhig ..auf dem Kai liegt mit einem Zettel darauf, der wegen der Stürme mit einem Stein beschwert ist, wo auf den Bergen die Schafe das ganze Jahr über im Freien weiden und das Wort Diebstahl nur dem Namen nach bekannt ist, wäre das alles ein Unsinn.

Die alte Muttersprache, das Altföri-sche, hatte sich nach der staatlich eingeführten Reformation in Isolation und unter dem Druck der dänischen Staatssprache in viele Mundarten gespalten. Erst vor hundert Jahren gelang es Ulrik Hammershaimb, einem Abkömmling österreichischer Ahnen, aus den verschiedenen Mundarten, durch seine etymologische Rechtschreibung die förische Schriftsprache zu stiften.

Seitdem ist eine verhältnismäßig große Literatur entstanden, welche unter an-derm durch das vorzügliche Organ der Förischen Schrifttumsgesellschaft bis ins kleinste Dorf hinausgeht. Man bedenke immer: ein Volk von 30.000 Menschen! Hier konnten wir die Dialekte studieren und sprechen lernen und den Beziehungen zum Altnordischen nachgehen. Es gelang uns nachzuweisen,daß die förische Sprache, vor allem in ihrer Musik, der Ursprache nach näher liegt als das Isländische und die norwegischen Mundarten. Nachdem meine .Förische Sprachlehre“ 1940 bei Winter in Heidelberg erschienen war, geht jetzt eine Tysk mallaera, das heißt eine deutsche Sprachlehre für Schulen und ein Wörterbuch in Torshavn in Druck. Erst dadurch wird die Inselsprache der Welt und umgekehrt erschlossen, jene Sprache, die der Schlüssel zu vielen philologischen Fragen ist. Außerdem wurde eine förische Anthologie ausgearbeitet, in der erstmalig über vierzig förische Dichter zu Worte kommen sollen. Mehr als 100 Werke und Abhandlungen haben wir bis jetzt herausgegeben und viele Anfragen ausländischer Universitäten laufen fortfahrend ein. Den Reise-und Forschungsbericht haben wir in einem Werke niedergelegt, das noch nicht erschienen ist.

Ist es nicht sonderbar, daß wir im letzten Jahrhundert noch eine Volkwerdung in Europa erleben konnten? Diese zu untersuchen, war eine weitere Aufgabe für uns. *

Unsere weiteren Forschungen galten der Vorbesiedlung und Landnahme auf den Schafinseln, wie die Föroyar auf deutsch heißen. Von den Arbeiten hierüber ist eine, die in Amerika bereits großes Aufsehen hervorgerufen hat, in Petermanns geographischen Mitteilungen erschienen, und die zweite folgt in der „Neuen Zeitschrift für Missionswissenschaft“ in der Schweiz.

Nachdem das alte Thüle bereits vor Christi Geburt in den Gesichtskreis der Alten gerückt war, gelang es dem west-irischen Mönch B r a n d a n, dem späteren Abtbischof, mit seinen Brüdern die Insulae fortunatae, die glücklichen Inseln, zu entdecken. In einem Boot aus Weiden--geflecht, das mit Fellen überzogen war, fuhr er aus der nach ihm benannten Brandon-Bay in Irland aus und erreichte über St. Kildä, westlich der Hebriden, zur Osterzeit des Jahres 546 die unwirtlichen Holme und Klippen im Nordatlantik.

Es war wahrscheinlich am späteren Bischofssitz Kirkjuböur auf Streymoy, daß er an Land ging. Denn dort erzählte man später noch von einer Brandans-Kirehe. Eine Bucht führt heute noch den Namen Brandans-Wuik. Außerdem wurde der Heilige während des ganzen Mittelalters in Föroyar, die nach ihm auch zeitweise Brandans-Inseln genannt wurden, sehr verehrt. Das Fest Brandans-Messe steht auch noch auf dem förischen Kalender. Brandan hielt sich jedoch nicht lange auf Föroyar auf und fuhr viel weiter nach Norden und Westen, wie ich in einem andern Aufsatz nachweisen werde.

Jedenfalls ist es unwiderlegliche Tatsache, daß durch ihn und seine Mönche die ersten Entdecker . des Inselreichs Christen waren, obwohl das Land so weit entfernt von den Quellen des Christentums liegt, in einem unwirtlichen Meere noch dazu. Als dann im Anfang des 8. Jahrhunderts irische Einsiedler Brandans Spuren folgten und sich mit ihnen auch eine kleine irische Kolonie auf Föroyar bildete, waren auch die ersten Dauerbesiedler Christen.

Diesen folgten seit 820 südwestnorwegische Bauerngeschlechter, die zu Ehren Tors ihre Tempel erbauten und die bis 1035 ein freies Inselreich hatten. Im Jahre 999 wurden diese Landnehmer christianisiert und kamen bald zu Norwegen, bei dem sie bis 1380 verblieben. In diesem Jahre kamen beide Länder zu Dänemark, bei dem nach der Loslösung Norwegens die Schafinseln verblieben. Schon seit geraumer Zeit machen sich Autonomie- und Selbständigkeitsbestrebungen geltend, da das Inselreich derzeit zwar noch unter Dänemark ist, jedoch seine Selbstregierung hat. *

Auch in geographischer Hinsicht bieten die Eilande ein günstiges Arbeitsfeld. Schon am 1067 errichteten förischen Bischofssitz in Kirkjuböur konnte festgestellt werden, daß niemand drei Kirchen auf so schmalem Vorland erbaut hätte, wenn die Siedlung früher nicht größer gewesen wäre: die in Ruinen liegende Arakirche, der nie vollendete Magnusdom und die jetzige Pfarrkirche, die Mönchs- oder Olafskirche. Letzte steht derart hart am Strand, daß sie eben dort niemand errichtet hätte.

Nun konnte in historischer Zeit nachgewiesen werden, daß aa dieser Stelle das Land jährlich in über einem Zentimeter Senkung begriffen ist und vor Jahrhunderten das Vorland bis zum vorgelagerten Holme reichte. War dies der Fall, und dies ist sicher nachgewiesen, ist auch die Dreikirchensiedlung zu verstehen, übrigens sollen im Juni dieses Jahres, da die förische, dänische und norwegische Regierung namhafte Summen spendeten, mit den Ausgrabungen begonnen werden. Es wäre nur zu wünschen, wenn durch diese noch manches Unklare aus historischer und vorgeschichtlicher Zeit seine Klärung fände!

Auf all unsern vielen Ausfahrten verfolgten wir die Linien im Gestein. Denn dort, wo der leichtere Tuff aus dem Basalt gewittert ist, so daß die Fjelle, das sind unbewaldete Berge, fast immer in Absätzen ansteigen und Pyramidenform haben, zeigen die Schichtenlinien stets geneigte Tendenz. Auf den Nordinseln sind sie gegen Süden zu, auf den Westinseln gegen Osten zu und auf den Südinseln gegen Norden zu geneigt; ebenso die Braunkohlenlager auf Suderoy. Je weiter entfernt vom Senkungszentrum östlich der Torshavner Bucht, desto höher sind die Fjelle. Auch die Richtung der Sunde, auf Föroyar Fjorde genannt, und die der Inseln, weisen auf das Senkungszentrum hin. Und wenn diese, durch welche die Inseln buchstäblich zerbrechen und schnurgerade Klammen bilden, weiterhin anhält, wird der letzte Pfeiler der einstigen Landbrücke nach Island und Grönland aus der Miozänzeit in 150.000 Jahren ein Raub des Meeres geworden sein.

Auf den 1399 Quadratkilometern der Föroyar siedeln heute als Nachkommen der etwa 12.000 eingewanderten Norweger, welche durch Nöte (Hungernöte, Pest, Seeräubereinfälle, dänisches Alleinhandelsrecht) auf kaum 5000 zusammengeschmolzen waren, etwas über 30.000 Föringer, das kleinste Volk Europas.

Durch Anlage und innere Zucht sowie unter dem segensreichen Einfluß des Christentums erfolgte hier die Bildung einer ausgezeichneten Volksgemeinschaft, welche den Frieden nicht nur dem Namen nach kennt, sondern lebt. All das, wonach die Menschheit sich sehnt, worüber heutzutage so viele Worte gesprochen und geschrieben werden, das fand auf den Friedensinseln seine Erfüllung.

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