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Im Lustgarten Schwedens

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Ein Schriftsteller, den wir alle kennen, dessen Name aber immer noch in gewissen Kreisen Ärgernis erregt, hatte einmal Schweden kennenlernen wollen. Das Schweden der blauen Seen, der weltfernen dunklen Wälder und der grünen friedvollen Auen, über denen wie ein Segen Gottes die beschauliche Stille heller, warmer Sommernächte liegt, das Land der beruhigenden Einsamkeit und der geruhsamen Heiterkeit ihrer Würde bewußter Menschen.

Und auf der Suche nach diesem Schweden hatte er die Hauptstadt des Landes gesehen, die prachtvollen Schlösser und die Museen mit ihren kostbaren Schätzen, die von Touristen eben entdeckte Welt der Schären, die staubigen Zentren des Reiselebens, die großen Heerstraßen und das ansichtskartenschöne Dalarna, wo heute jedes Schulmädchen bei der Wahl der sommerlichen Kleidung weiß, was es den mit Farbfilmkameras versehenen Fremden schuldig ist. Unser Schriftsteller fand viele schöne Bilder, doch das Schweden, das er suchte, fand er nicht.

Als er resigniert die Koffer packte, um wieder heimzufahren, überredete ihn der geprüfte Reiseführer, der treue aber ahnungslose Begleiter wochenlanger Irrfahrten, zu einem letzten Ausflug. Und sie fuhren ein Stückchen in das Land hinein, nur zwei Reisestunden weit, und da lag alles, wovon er geträumt hatte. „Der Lustgarten Schwedens“, nannte Selma Lagerlöf diese Landschaft, die auf kleinem Raum alles enthält, was an Schweden erfreuen und bezaubern kann. Der oft so bittere und verletzend scharfe Kritiker schrieb nach der Begegnung mit ihr sein liebenswürdigstes und schönstes Buch.

Ich habe nie begreifen können, warum für fast alle Besucher Schwedens die südlich und südwestlich von Stockholm gelegene Provinz Södermanland und die in ihr liegende Mälarlandschaft gerade nur eine Durchfahrtsstraße auf dem Wege zur Hauptstadt sein soll. Hier gibt es noch so vieles Ursprüngliche und Charakteristische. Vornehme alte HerrenhÖfe, uralten Kulturboden, der nicht weniger als 90.000 an die Urzeit und an das frühe Mittelalter erinnernde Fundstätten besitzt.

Der von Süden kommende Reisende tut gut daran, wenn er in dem 110 Kilometer südlich von Stockholm gelegenen Nyköping den Zug verläßt oder dem Wagen einige Ruhe gönnt. Der Ort ist zwar nicht der größte in der Provinz Södermanland, wohl aber der Sitz der Verwaltung und des Landeshauptmanns, der als Vertrauensmann des Königs gilt. Die alte Burg zu Nyköping stand einigemal im Mittelpunkt der dramatischen Machtkämpfe in Schweden und noch heute zeigt man die Stelle, wo im Jahre 1317 das blutige „Gastmahl zu Nyköping“ stattfand, nach dem König Birger seine Brüder Erik und Valdemar in das Burgverlies werfen ließ, wo die beiden elend zugrunde gingen, während draußen die empörten Bauern vergebens die Burg berannten.

Das 12 Kilometer südwestlich von Nyköping gelegene Oxelösund besitzt das größte und modernste Hüttenwerk Schwedens. Das noch im Aufbau befindliche Werk wird von der Gränges-berggesellschaft, der großen Erzexportgesellschaft, mit jenen Mitteln errichtet, die sie vom schwedischen Staat als Entgelt für die lappländischen Erzgruben erhält. Der Staat wird für die Aktien etwa 900 Millionen Kronen bezahlen, und davon werden 500 Millionen für dieses Werk aufgewendet.

Oxelösund hat aber auch eine Sehenswürdigkeit ganz anderer Art, die berühmte Kirche St. Botvid, die eigentlich nichts anderes ist als ein riesiger Betonpfeiler. Als mächtiges, auf einem Hügel stehendes Landzeichen, dient sie den Schiffen draußen auf See als Richtungsweiser. Das Innere dieser Kirche ist von einer überraschenden Klarheit und Reinheit. Alles Düstere und Beklemmende fehlt hier. Große, einfache Linien dominieren. Drei blanke Marmorscheiben bilden den Altar, aus Birkenholz herausgearbeitete Reliefs zweier Menschen den lichten Hintergrund. Bergarbeiter- und Fischerfiguren beleben rubinrot die Fenster. Die hier verwirklichten Gedanken haben ihren Ursprung in Klosterneuburg und Maria-Laach in Österreich. Die Erbauer bestreiten auch nicht den liturgischen und architektonischen Einfluß jener Hochburgen des österreichischen Katholizismus,

Diese Schöpfung aus Beton, Stahl und Stein wäre ein Monstrum als Bauwerk und eine Blasphemie als Gotteshaus, wenn in ihr nicht reife fruchtbare Gedanken von wahrsamer Hand aufgenommen und in kühner, künstlerisch vollendeter Form wiedergegeben worden wären.

Noch weiter westlich liegt einer der größten und schönsten Herrenhöfe Schwedens, das in den Besitz des Nordischen Museums übergegangene J u 1 i t a. Über die Geschichte und die Sammlungen Julitas erzählen eine lange Reihe von Veröffentlichungen. Schon im Jahre 1180 verlegten die Zisterzienser ein zwanzig Jahre früher gegründetes Kloster nach dem damaligen S a b a, P$s'!Yascn-, aufblühende Klöster wurde.' dieSani:“

Wunder, daß es 1527 von Gustav Wasa als willkommene Beute dem Besitz der Krone einverleibt wurde.

Auf diesem Lehensgut machten sich jedoch auch starke österreichische Einflüsse geltend. Hier baute Melchior Wurmbrandt, ein österreichischer Artillerieoberst, eine Rüstungsfabrik aus und versuchte in ihr eine Art „Wunderwaffe“ für König Gustav Adolf II. zu konstruieren. Seine mit Leder überzogenen Kupferrohre erwiesen sich jedoch als wenig haltbare Geschütze, und schließlich goß er hier Kanonen der traditionellen Art. Während des Dreißigjährigen Krieges kam dann das Gut unter die Leitung des österreichischen Adeligen Kheven-hüller aus Kärnten, der mit großen Summen zur Finanzierung der Feldzüge des Schwedenkönigs beigetragen haben soll. Khevenhüller wurde von Königin Kristina hoch geachtet, und seine Nachkommen herrschten mehr als 200 Jahre auf Ju-lita. Der prächtige Herrenhof, der große Park am Ufer eines weiten Sees, die Klosterruine, ein Museum und ein Wirtshaus locken alljährlich tausende Besucher nach Julita; den ausländischen Besuchern aber blieb der Ort bisher fast unbekannt.

Das nördlich davon gelegene Eskilstuna nennt sich wegen seiner Stahlmanufaktur gern das Solingen des Nordens. Für den Fremden aber ist es eher die Stadt prächtiger Parkanlagen, schöner Monumente und Plastiken, die nicht zuletzt den neuen Volkspark zieren. Hier finden wir auch die „Arche Noah“, den einzigen richtigen zoologischen Garten Schwedens. In der Nähe der Stadt liegt S u n d b y h o 1 m, das eines der schönsten Strandbäder des Landes aufweisen kann. Und unweit des alten Schlosses befindet sich die „Sigurdsristning“, eine Felsenzeichnung, die alle wesentlichen Momente der Nibelungensage enthält. Ist hier die Quelle dieser großen Sage zu suchen?

Es ist natürlich, daß wir auf der Fahrt nach Osten, der schwedischen Hauptstadt zu, jenes prächtige Schloß Gripsholm aufsuchen, das dem Roman unseres Schriftstellers, von dem wir zu Beginn sprachen, den Namen gegeben hat. Das Schloß enthält eine berühmte Gemäldegalerie mit zahlreichen Bildern deutscher und österreichischer Fürstengeschlechter. Am Rande des stillen verträumten Städtchens aber liegt der Friedhof mit dem Grab des Dichters: Kurt Tucholsky steht auf dem Stein.

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