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Die „Lösungen“ der EWG

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Diese Tatsachen werden von der modernen Industriegesellschaft, die von ihrem Standpunkt aus mit Recht die soziale Marktwirtschaft begrüßt, zwar nicht immer erkannt, aber doch als befremdend empfunden. Man hat der Landwirtschaft gegenüber im gewissen Sinne ein schlechtes Gewissen. Was macht man nun, wenn man einem Partner gegenüber ein schlechtes Gewissen hat? Man läßt ihm etwas zukommen, damit er schweigt und sich nicht aufregt. Gewissermaßen der Modellfall hierzu war die Osthilfe, die vor dem zweiten Weltkrieg in Deutschland dem Verfall der Landwirtschaft im Osten des Reiches durch Einsatz von Steuermitteln des industriellen Westens Einhalt gebieten sollte. Westdeutschland hat keinen Osten mehr. Es traten daher an die Stelle der Osthilfe der „Grüne Bericht“ und der „Grüne Plan“. Man stellt jährlich fest, wie schlecht es der Landwirtschaft geht — und es geht ihr von Jahr zu Jahr schlechter —, und bestimmt im „Grünen Plan“, wie viele Millionen aus Steuermitteln die Landwirtschaft zu bekommen hat, um die europäische Integration vorzubereiten und die Besitzstruktur zu verbessern; zwei Schlagworte, von denen unsere Agrarpolitik derzeit lebt.

Das Ziel des „Grünen Planes“ ist, lebensfähige Betrieb* 2 schaffen* und' durtfi Rätiffhalisienffig ttid^iHtenslvft!^ ru%^'deW!Betrieb5irfhIbef'}errren1'E^^ zu sichern', der * wenigstens annähernd dem Einkommen eines Facharbeiters in der Industrie gleichkommt. Also wohlgemerkt, jede Preiserhöhung ist tabu, ganz gleich, ob und in welchem Ausmaß die sonstigen Lebenshaltungskosten steigen. Bauer, wenn du mehr verdienen willst, dann mußt du rationeller und intensiver wirtschaften. Das nötige Geld hierzu gibt dir der „Grüne Plan“, natürlich meist als Darlehen, wenn auch zinsverbilligt. Wenn du keine Schulden machen willst, wirst du eben nicht konkurrenzfähig sein und auf der Strecke bleiben. Man fragt sich unwillkürlich, wie viele Jahre seit der letzten landwirtschaftlichen Entschuldungsaktion eigentlich verflossen sind. Aber es kommt noch hesser! In den ersten Jännertagen des Jahres 1962 hat die EWG die ersten Schritte für die Integration der Landwirtschaft unternommen. Nachdem diese Klippe überwunden war, spricht man schon deutlicher. Mehrproduktion, um das Einkommen des einzelnen Betriebsinhabers zu erhöhen? Nein, das geht auf keinen Fall! Der Weizenpreis (Roggen wurde kurzerhand als Futtergetreide deklariert) wird in Deutschland kräftig herabgesetzt. Soll der Staat die Differenz zahlen, ähnlich wie beim Milchausgleichsfonds in Österreich? Nein, das geht auch nicht, denn dann wird mehr produziert, und die Staatsausgaben wachsen ins Unendliche (wie beim Milchausgleichsfonds). Ein Professorenkollegium setzt sich zusammen und schlägt ernstlich vor, jedem Landwirt entsprechend seiner Anbaufläche eine jährliche Rente flüssig zu machen. (Die „Welt“ vom 27. Dezember 1961.) Was er anbaut und wie er seinen Acker bestellt, ist dabei nebensäc? 1;ch, er bekommt auf jeden Fall das Geld vom Staat. Die größte Unverfrorenheit leistete sich jedoch nach einem Zeitungsbericht ein maßgebender EWG-Mann, der ganz offen erklärte, die Getreidepreise sind in der EWG niedrig zu halten, damit bei Gott nicht zuviel produziert wird. Denn die EWG muß billieen Überseeweizen einführen, um ihre Industrieprodukte an das Ausland verkaufen zu können. Ein solches Geschäft, als Vorschuß gewissermaßen, soll bereits im. Anlaufen sein. Ameri-

kanischer Überschußweizen gegen europäische Autos.

Die Groteske des Milchpreises

So, jetzt wissen wenigstens die Bauern, was ihnen zugemutet wird. Unternehmer und Arbeiter sind sich darüber einig, daß es ganz in Ordnung ist, wenn sie sich auf Kosten der heimischen Landwirtschaft bereichern. Auf der einen Seite politische Fixpreise, auf der anderen Seite frischfröhlich steigende Löhne und Preise als Folge einer überhitzten Konjunktur. Nur ein, wenn auch ein krasses Beispiel: der Milchpreis. Vor dem

ersten Weltkrieg galt als unbestrittene Faustregel, daß Bier und Milch stets gleich teuer sind. Man vergleiche die beiden Preise heute. Die Milch wurdet in Österreich im Laufe der Jahre tatsächlich zur billigsten Flüssigkeit, so billig, daß selbst Sodawasser teurer ist. Diese volkswirtschaftliche Widersinnigkeit findet nur im österreichischen Mieterschutz seine Parallele. Es bleibt getrost den Statistikern überlassen, einmal auszurechnen, welchen Verlust die landwirtschaftliche Produktion durch willkürliche Fixpreise jährlich zu tragen hat. Stellt man diese Milliardensumme den Beträgen gegenüber, die die Landwirtschaft im Wege des „Grünen Planes“ wieder zurückbekommt, so wird man erst erkennen, wie groß dieser Volksbetrug ist. Die Hauptgefahr liegt jedoch in der Abhängigkeit, in, die die Landwirtschaft gerät, und in der demoralisierenden Wirkung solcher Zuwendungen.

Es wird der Tag kommen, an dem es sich unsere Bauern dank ihres Berufsethos ganz eindeutig verbieten werden, Geschenke anzunehmen, um leben zu können. Nicht nur dem Unternehmen und den Lohnempfängern steht das unabdingbare Recht zu, für ihre volkswirtschaftliche Leistung unmittelbar ein Entgelt zu bekommen, das den Tatsachen entspricht.

Die bäuerlichen Väter Europas

Das Leben und Wirken für den Hof und für die Familie hat im Laufe der

Jahrhunderte einen ganz eigenartigen Volkscharakter geschaffen, den andere Völker, die eine andere Entwicklung hatten, einfach nicht kennen. Wir alle, die wir heute in Europa leben, stammen fast durchweg von Bauern ab. Bei dem einen liegen einige Generationen dazwischen, bei vielen Arbeitern, Angestellten, Künstlern und Wissenschaftlern war der Vater noch Bauer. Diese Tatsache bewirkt, daß bäuerliches Denken und Handeln zur Grundlage der europäischen Kultur geworden sind. Die wirtschaftliche Entwicklung Europas, aber auch die so schwer meßbaren, aber doch vorhandenen sittlichen Werte unseres Volkes fußen auf dem Bauerntum. Wenn der europäische Mensch noch so sehr im industriellen Geschehen steht, sein Wunsch nach einem Eigenheim mit Garten oder doch nach einem Schrebergarten verraten nur zu deutlich die europäische Sehnsucht nach Bindung zwischen Familie und Boden.

Es ist nun keineswegs Romantik, sondern Klugheit, wenn die Erhaltung des europäischen Bauerntums gefordert wird, da ohne bäuerliche Kultur eine europäische Kultur nicht denkbar ist. Auch die europäischen Bauern haben Sehnsucht nach einem vereinten Europa. Sie wollen aber ein Europa mit europäischer Kultur und lehnen es ab, daß auf dem Rücken, ihrer Existenz ein Europa ohne europäische Kultur peschaffen wird.

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