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Die Krisensymptome

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Die Agrarkrise, ein Phänomen, das , sich über vielfältige Wandlungen seit der Bauernbefreiung im Jahre 1848 ‘ erhalten hat, äußert sich im wesentlichen in der Disparität, ausgedrückt durch die Preisschere, die zeigt, daß sieh die Aufwendungen für Betriebsmittel (Dünger, Pflanzenschutzmittel, Maschinen und anderes mehr) viel mehr erhöht haben als die Einnahmen aus den Erträgen;

der völlig unkontrollierten Ab- . Wanderung von jährlich 20.000 bis

Menschen aus der Landwirtschaft, was in vielen Agrargebieten schon zu einer beängstigenden Landschaftsverödung (Sozialbrachen) geführt hat und das Raumordnungsproblem „Konzentration — Dezentralisation“ immer mehr verschärft;

dem Unbehagen der Öffentlichkeit über die Landwirtschaft, das in dem Maße wächst, als die Landwirtschaft mit ihren sozialen und wirtschaftlichen Problemen allein nicht mehr fertig wird;

dem Unbehagen der Bauern über sich selbst, weil zu einem Zeitpunkt, in dem andere Gesellschaftsschichten ihren Lebensstandard ständig erhöhen, dieser in"‘ Her " Landwirtschaft trotz steigender Produktivität stagniert öder hur geringfügig steigt. - A

Die wirtschaftliche Disparität

Vor allem die wirtschaftliche Disparität, also das Nachhinken der Erlöse hinter den Aufwendungen, bereitete der Landwirtschaft große Schwierigkeiten. Wie aus dem soeben erschienenen „Landwirtschaftlichen Paritätsspiegel“ zu entnehmen ist, hat sich das Preiskostengefüge für die österreichischen Bauern weiter verschlechtert. Während die Preisindizes der Betriebsausgaben um 0,7 auf 104,6 Punkte sowie der Investitionsausgaben um 0,3 auf 108,8 Punkte und somit jener der Gesamtausgaben um 0,6 auf Punkte nur gering anstiegen, lag der Preisindex der Betriebseinnahmen mit 1,1 Punkten deutlich unter dem für das Vorquartal errech- neten Wert und beträgt nunmehr Punkte. Die „Preisschere“ hat sich damit zu Ungunsten der Landwirtschaft von minus 10,6 Prozent im April 1968 auf minus 12,5 Prozent im Juli 1968 geöffnet.

Um den Erfolg betrogen

Der Landwirtschaft ist es in den letzten Jahren durch große Investitionen — eine abwandemde Arbeitskraft muß mit zirka 130.000 Schilling Kapital ersetzt werden — gelungen, 83 Prozent des heimischen Ernährungsbedarfes zu decken. Die Bauern fühlen sich aber um diesen Erfolg betrogen, seit der Milchpreis von 2,42 Skg im Jahre 1967 auf 2,22 Skg ab April dieses Jahres gesunken ist. Auch die Preise für andere Produkte, wie Rind- und Schweinefleisch, haben sich seit Jahren kaum verändert, obwohl die Kaufkraftminderung des Schillings in den letzten zehn Jahren mit nahezu 40 Prozent angegeben wird.

Anderseits war es einfach eine agrarpolitische Notwendigkeit, daß bei einem garantierten Milchpreis für den Erzeuger die Bauern ihren mit finanziellen Verlusten verbundenen Export von Milch und Milchprodukten selbst bezahlen müssen. Die Milchmarktleistung in Österreich ist derzeit um zirka 25 Prozent zu hoch, so daß jeder vierte Liter exportiert werden muß, was auf Grund der Marktsituation in Europa sehr schwierig und nur mit großen finanziellen Zuschüssen möglich ist. Die Erhöhung des Absatzförderungsbeitrages auf 20 g (1 g für die Werbung), die eine echte Verminderung des Milcherlöses für die Landwirte bedeutet, war zur Finanzierung des Exportes notwendig.

Aufgaben der Agrarpolitik

Auf die Frage, was der Landwirt in Zukunft zu produzieren hat, antwortete der „Pater Leppich“ der deutschen Agrarpolitik, Dr. Dobert, schlicht und einfach: Einkommen. Diese klare Feststellung des Kieler Landwirtschaftsdirektors charakterisiert sehr deutlich den Wandel von der häuslichen Selbstversorgung zum marktorientierten Landwirtschaftsbetrieb. Der Bauer von heute ist ein Unternehmer und muß, will er dem Käufermarkt entsprechen, seine Wirtschaft streng nach privatkapitalistischen Überlegungen führen. Die Agrarpolitik, deren Widerpart die Agrarkrise ist, wäre überfordert, wenn sie alles, was produziert wird, vermarkten müßte. Dies erklärte Minister Schleimer im Rahmen der Generalversammlung der europäischen Landwirtschaft in Salzburg sehr deutlich.

Das große Unbehagen der Bauern ist ein sichtbarer Ausdruck für den eminenten Strukturwandel der Landwirtschaft, der noch lange nicht abgeschlossen ist. Jährlich „sterben“ in Österreich 9000 bis Bauernhöfe. Die Gesamtzahl der Bauernhöfe beträgt derzeit 380.000, davon sind rund 50 Prozent Vollerwerbsbetriebe und 37 Prozent sind überwiegend auf einen Zuerwerb angewiesen, 11 Prozent benötigen diesen gelegentlich. Die Zahl der in der Land- und Forstwirtschaft tätigen Vollarbeitskräfte ist von 1951 bis 1967 um mehr als oder 34 Prozent zurückgegangen. Diese Zahlen erklären hinlänglich die Existenzangst der landwirtschaftlichen Bevölkerung. Die Bedeutung der Agrarpolitik nimmt daher um so mehr zu, je mehr Menschen aus der Landwirtschaft ab- wandem.

Zusammen mit der unternehmerischen Potenz der Bauernschaft und in Verbindung mit der Raum-, Sozial-, Kredit-, Markt- und Preispolitik wird es sicher möglich sein, den bäuerlichen Familien auch in Zukunft einen sinnvollen Platz in der industriellen Gesellschaft zu sichern. Die Bauern aber müssen lernen, mit der Disparität zu leben.

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