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Der Bauer als Fördemngs-Millionär?

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Aufregung um 2,2 Milliarden für die Landwirtschaft: Sonntag Abend Diskussion im Fernsehen, Montag Demonstration von 15.000 Bauern in Wien: Ein Geplänkel vor der Wahl oder ein Problem, das jeden angeht?

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Aufregung um 2,2 Milliarden für die Landwirtschaft: Sonntag Abend Diskussion im Fernsehen, Montag Demonstration von 15.000 Bauern in Wien: Ein Geplänkel vor der Wahl oder ein Problem, das jeden angeht?

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Beachtliche 26 Milliarden stecken heuer EU, Bund und Länder in die Förderung der Landwirtschaft. Ein Riesenbetrag! Reicht das nicht? Muß man in Zeiten von explodierenden Budget-Defiziten nochmals in die Tasche greifen und weitere Umweltförderung mobilisieren, wie es der Nationalrat nun doch am Montag beschlossen hat? Aus diesem Titel waren schon 5,3 Milliarden Schilling im Rahmen des ÖPUL-Programms (Oster-reichisches Programm für umweltverträgliche Landwirtschaft) bereitgestellt worden.

Jetzt noch einmal 2,2 Milliarden? Können wir uns das leisten? Eine verständliche, aber falsch gestellte Frage: Die Bauern haben nämlich Anspruch auf die Auszahlung dieser Mittel. Mit diesen Geldern wird nur eingelöst, was klar und deutlich vereinbart war. Im März 1994 hat Österreich in Brüssel das OPUL-Programm eingereicht. Heuer im Juni hat es die EU akzeptiert. Damit gilt es und muß wie vereinbart umgesetzt werden.

Was es vorsieht? Betriebe, die sich zur Einhaltung bestimmter ökologischer Mindeststandards verpflichten, bekommen bis zu 4.000 Schilling pro Hektar an Förderung. Das hat viele Betriebe gelockt, jedenfalls weitaus mehr, als die Regierung erwartet hatte (falsche Budgetprognosen und nachfolgende Korrekturen sind ja an der Tagesordnung, man denke nur an die Budgets der vergangenen Jahre...).

Wegen dieser mangelnden Voraussicht haben weder die im Budget vorgesehenen 5,3 Milliarden Schilling gereicht, noch die Ermächtigung, im Bedarfsfall weitere 600 Millionen zu mobilisieren. 1,2 Milliarden muß der Bund nun lockermachen (den Rest die Länder).

Davon wollte aber der Finanzminister nichts wissen und verlangte, das Programm auf den vorgesehenen Betrag zurechtzustutzen, was dessen

Durchführung insgesamt in Frage gestellt hätte. Die dadurch ausgelöste Empörung führte dazu, daß Andreas Stari-bacher zwar die Auszahlung der 5,3 Milliarden außer Streit stellte. Die Sozialisten verlangten aber, daß Obergrenzen der Förderung nicht überschritten werden dürften: 270.000 Schilling je Betrieb (400.000 für Bergbauern).

Das Argument: Keine unverantwortbaren Subventionen für Großbauern, sondern soziale Staffelung der Förderung. Die Kleinen solle man zugunsten der Großen bevorzugen.

Solche Überlegungen sind nicht grundsätzlich zu verwerfen. Auch gibt es berechtigte Zweifel, ob das ÖPUL-Pro-gramm wirklich geeignet ist, eine ins Gewicht fallende Öko-logisierung der Landwirtschaft herbeizuführen (wirklich strengen Kontrollen unterworfene ßiobauern bekommen nur geringfügig mehr Förderung als die am OPUL beteiligten).

Das wäre ein glatter Vertragsbruch durch den Staat gewesen

Nur: All das hätte man sich vorher, als man das Programm formulierte, überlegen müssen. Jetzt haben die Bauern im Vertrauen auf die Förderungen sowohl für die EU gestimmt, als auch weniger gedüngt, gespritzt und daher auch weniger Ertrag eingefahren. Unter diesen Umständen wäre eine Zurücknahme der Förderung ein glatter Vertragsbruch - sicher mit Erfolg bei der EU anzufechten.

Soweit die rein formale Betrachtung. Wirklich betroffen macht die Auseinandersetzung um die Förderung aber auf dem Hintergrund der Entwicklungen seit dem EU-Beitritt: Seit dem 1. Jänner 1995 hat sich auf dem Agrarmarkt eine Revolution ergeben. Preiszusammenbrüche, wohin man schaut. Von heute auf morgen Rückgänge um bis zu 70 Prozent. Mit Einbußen von rund 20 Prozent haben die Milchbauern noch am günstigsten abgeschnitten. Sie beziehen übrigens auch schon seit Jahresbeginn die Ausgleichszahlungen (82 Groschen je Liter). Härter getroffen hat es die Ackerbauern (Halbierung der Getreidepreise, siehe Seite 8) und die Schweine-Mäster: Verluste von 30 bis 40 Prozent. Wirklich katastrophal war aber, was sich im Obst- und Gemüsebau abgespielt hat: ein Minus von bis zu 70 Prozent. Sie alle bekommen erst im Dezember die Förderungen.

Berechnungen der oberösterreichischen Landwirtschaftskammer zufolge sind die Einbrüche so groß, daß die Betriebe trotz der enormen Zuschüsse schon heuer weniger verdienen als im Vorjahr. Auf diesem Hintergrund ist es wirklich skandalös, vereinbarte Förderungen in Frage zu stellen.- Offensichtlich sind Minderheiten in der Größenordnung von vier bis fünf Prozent der Bevölkerung (wie die Bauern) eine politisch vernachlässigbare Größe.

Was wurde uns nicht alles vor dem EU-Beitritt vorgefaselt! Höheres Wachstum, weniger Arbeitslose, keine Budgetprobleme, keine Steuererhöhungen ... „Nahezu grenzenlose Chance für landwirtschaftliche Unternehmer” hatte der ehemalige EU-Botschafter Corrado Pirzio-Biroli prognostiziert. Auch der jetzt als Retter der Bauern auftretende Bauernbund malte alles in Rosarot.

Zwei Jahre später skizzierte Ex-Landwirtschaftsminister und EU-Kommissar Franz Fischler kürzlich vor deutschen

Agrariern die Konturen der EU-Landwirtschaftspolitik der Zukunft. Kurz gefaßt sehen sie so aus: Absenken der ohnedies nicht kostendeckenden Preise auf Weltmarktniveau. Also Wachsen oder Weichen in der Landwirtschaft. Von den derzeit rund acht Millionen Agrar-betrieben sollen einer Studie zufolge langfristig nur 525.000 überleben. Man kann sich vorstellen, wieviele davon in Österreich beheimatet sein werden.

Wo die Logik des Weltmarktpreises zur Richtschnur wird, geht das menschliche

Maß verloren. Wer den Bauern das Einkommen über die Preise ihrer Produkte abgräbt, wird sie - wie das jüngste Beispiel zeigt - langfristig auch kaum mit Stützungen über die Runden bringen. Die lassen sich stets aus irgendeinem Grund in Frage stellen.

Mit denselben Argumenten, mit denen man Bauern im Alpenraum Weltmarktpreise ohne Berücksichtigung ihrer Lebensbedingungen verordnet, kann man in Zukunft den unselbständig Beschäftigten des Landes Weltmarktlöhne, den

Pensionisten Weltmarktrenten und den Kranken ein Welt-durchschnitts-Gesundheitssy-stem zumuten.

Unser ökologisches und unser soziales System sind Kulturleistungen, die man sicher verbessern kann und soll, die man aber zugrunderichtet, wenn man sie dem Preisdiktat jener unterwirft, die die natürlichen, menschlichen und kulturellen Ressourcen fast kostenlos ausbeuten. In großen Gebieten der Welt passiert das laufend. Sollen Ausbeuter über die Weltmarktpreise das Maß für unsere Entwicklung sein?

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