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Unerschlossene Nahrungsquellen

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Die Hiobsbotschaften über die Welternährungslage stellen auch uns Österreicher vor die Aussicht auf Fortdauer der knappen Rationen. Das ist nach so langer Schmalkost nicht nur eine schwere Enttäuschung für die Bevölkerung, sondern es bedeutet, ohne alle Gefühlsmomente rein wirtschaftlich betrachtet, eine Schwächung der Arbeitskraft des Volkes. Die Meinung der Sachverständigen geht dahin, daß die kommende Welternte nicht alles wird aufholen können, was fehlt. Man rechnet damit, daß die Nahrungsknappheit noch bis 1948 dauern kann. So ist Ausschau zu halten nach Möglichkeiten, Nahrungsmittel rascher und reichlicher zu erzeugen, als es durch die Landwirtschaft mit ihrem einjährigen Turnus geschehen kann. Es gilt nicht nur für die Gegenwart, sondern auf weite Sicht hinaus vorzusorgen.

Schon früher wurde wiederholt in ähnlichen Lagen, so auch nach dem ersten Weltkrieg, eine Intensivierung des Gemüsebaus gefordert. In der Tat haben wir im Gemüsebau eine Nahrungsquelle, die uns, in allen ihren Möglichkeiten ausgenützt, eine wesentlich größere Nahrungssicherheit zu bieten vermag und • die vieles geben kann, was uns fehlt: gesunde, vitaminreiche Kost in genügender Menge. Und dies in kürzeren Fristen. Allerdings ein Gemüsebau in einem ganz anderen Ausmaß und mit einer wesentlich anderen Organisation, als bisher. Staatliche Förderung ist ihm bisher wenig zuteil geworden. Während für den Ackerbau organisatorisch und verwaltungstechnisch umfassend vorgesorgt wird, genaueste Statistiken geführt, Saatgut, Maschinen, Arbeitskräfte beschafft, Bodenmeliorationen vorgenommen werden, gibt es für den Gemüsebau nichts dergleichen.

Österreichs Bestand an Gärtnereien ist für den derzeitigen Bedarf des Landes und besonders der Städte weitaus zu gering. Und es war schon immer so. Wir haben aus dem Ausland auch vor dem Kriege stets gewaltige Mengen an Gemüse eingeführt, durchschnittlich pro Jahr mehr als eine Million Meterzentner. Dies zu einer Zeit, in der die sonstigen Nahrungsmittel, Brot, Fleisch, Milch, Fett, Mehl, in jeder Menge zu haben waren. Jetzt, da alle diese Nahrungsmittel knapp sind oder ganz fehlen, ist der Mehrbedarf an Gemüse als gesunder Ersatz für sie alle ein Vielfaches jener Einfuhr. Die Aufgabe ist, diesen Ausfall aus dem eigenen Gemüsebau zu ersetzen, und — dies kann geschehen in erforderlichem Ausmaß. Das ist die Gewißheit, die der Gartenbau gewährleistet.

Um einen Anhaltspunkt für die Feststellung des zunächst Notwendigen zu gewinnen, sei angenommen, daß für alle Österreicher, die keine Möglichkeit zur eigenen Gemüseversorgung (Hausgärten) haben, pro Kopf und Tag ein Kilogramm Gemüse zur Verfügung stehen soll, das sind also 360 Kilogramm jährlich. Bei der Annahme eines Durchschnittsertrages von fünf Kilogramm pro Quadratmeter sind also 70 Quadratmeter Gartenfläche für jeden Versorgungsberechtigten notwendig. Wenn von den 6/j Millionen Österreichern 3 Millionen als Gemüseselbstversorger angesehen werden dürfen, so bleiben 3V2 Millionen Versorgungsberechtigte. Die für ihre Gemüseversorgung notwendige Gesamtgartenfläche ist demnach 245 Millionen Quadratmeter oder 24.500 Hektar, in Prozenten ausgedrückt rund 0,3 Prozent der Gesamtfläche Österreichs, beziehungsweise 0,5 Prozent der landwirtschaftlich genutzten Fläche.

Auf diesem geringen Prozentsatz unseres Bodens läßt sich eine zuverlässige Nahrungsbasis für unsere Bevölkerung schaffen, die bei einem Kilogramm Gemüse pro Kopf und Tag zwar nur 300 bis 400 Kalorien an . Nährwert erbringt, an Vitamingehalt aber die meisten anderen Nahrungsmittel übertrifft.

Da eine Versorgung mit einem Kilogramm Gemüse pro Kopf und Tag als ziemlich reichlich angesehen werden darf, würde man mit diesem Grundstock an Gemüse bei auch nur geringen Zusätzen an Fleisch, Fett, Brot, Milch einen Ernährungsstand erreicht haben, der als einigermaßen erträglich gelten darf.

Vorschläge dieser Art, wenn auch nicht in dem hier verlangten Ausmaß — denn es hat noch nie eine Not gegeben wie die jetzige — wurden schon öfter gemacht und nicht befolgt. Wenn an diesem Vorschlag etwas neu ist, so ist es der rechnerische Nachweis, mit wie wenig Bodenfläche eine relativ große Sicherung der Volkernährung erzielt werden kann, und andererseits die bewußte Forderung, den Gartenbau zur zweiten Grundlage unserer Ernährung zu machen, da er bei gesicherter Wasserversorgung in seinen Erträgnissen von der Witterung unabhängiger ist als die Landwirtschaft. Dies, sowie seine hohe Ertragsfähigkeit gewährleistet seinen großen Sicherungswert für die Volksernährung. Gewiß, es ist nicht zu leugnen, daß die jetzige Krise selbst einen solchen Ausbau erschwert, denn es fehlt so ziemlich an allem: an Motoren für die Wasserpumpen, an Benzin für diese, an Glas für die Treibhausfenster und an Arbeitskräften. Aber Motoren lassen sich reparieren, Benzinmotoren lassen sich auch mit Leuchtgas, mit Benzol oder Holzgasgeneratoren betreiben, und was die Arbeitskräfte betrifft, so muß man nur das Vorurteil fallen lassen, daß die Städter für Gartenarbeit nicht taugen. Die 21 Millionen Schilling, die wir im Jahre 1929 für eingeführtes Gemüse an das Ausland bezahlt haben, würden ein Einkommen von je 3000 Schilling für 7000 Familien ergeben. Alle diese Schwierigkeiten des Augenblicks würden bei entsprechender staatlicher Lenkung zu überwinden sein. Sie sind nicht die eigentliche Ursache, warum der österreichische Gemüsebau gegenüber anderen europäischen Ländern so sehr im Rückstand geblieben ist.

Diese Ursachen liegen, wie es scheint, in Vorurteilen, die hierzulande dem Gartenbau entgegengebracht werden.

Man würde den Tenor dieses Vorschlags verkennen, wenn man auf die privatwirt* schaftliche Rentabilität dieses erweiterten Gemüsebaues zu viel Gewicht legen würde. Der Zweck dieses Vorschlags ist Sicherung der Volksernährung, und wir können darum auch eine etwas teurere Produktion in Kauf nehmen, gewissermaßen eine Versicherungsprämie dafür zahlen. Die Staaten halten zu ihrer Sicherheit stehende Heere, Kriegsflotten, zur Sicherung der Volksgesundheit werden Spitäler gebaut. Was wir für die Erweiterung des Gemüsebaues investieren, ist Kapital, das wir in Volksgesundheit anlegen. Entscheidend ist die volkswir t-schaftliche Rentabilität, nicht die privatwirtschaftliche. Wir Österreicher haben kein stehendes Heer zu erhalten. Sorgen wir dafür im Ernährungssektor für mehr Nahrungssicherheit!

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