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DIE RECHTE DER TIERE

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Wußten Sie schon, daß zum Beispiel Schweine die sensibelsten und intelligentesten unter den sogenannten Nutztieren sind, vergleichbar mit unseren vielgeliebten Hunden? Daß die Hausschweine, wenn sie dazu Gelegenheit haben, 103 der 106 Verhaltensweisen ihrer Vorfahren, der Wildschweine ausleben?

Sie erkunden neugierig ihre Umgebung, wühlen, graben und fressen Gräser, Kräuter, Wurzeln, Käfer und Würmer. Sie leben immer in Gruppen zusammen und lieben es, sich ab einer bestimmten Temperatur zu suhlen. Aber nicht, weil sie etwa „Dreckschweine" sind, sondern weil sie keine Schweißdrüsen besitzen und sich abkühlen müssen, und um lästige Parasiten loszuwerden. Am Abend richten sie sich ein gemeinsames Schlafnest ein, das „Klo" ist möglichst weit davon entfernt, denn sie sind sehr geruchsempfindliche und saubere Tiere.

Dies ist lediglich ein kurzer Einblick in das naturgegebene Leben eines unserer„Nutz-"Tiere. Fast ebenso ausgeprägt ist das Verhalten von Rindern, Hühnern, Puten oder Kaninchen. Doch im Industriezeitalter haben wir, für die Produktion von möglichst viel billigem Fleisch, Eiern und Milch, die seit Jahrtausenden domestizierten Tiere vergewaltigt. Wir sperren sie in „Tierfabriken", manchmal sogar vergleichbar mit KZs. Denn in diesen Hallen vegetieren Hunderte, oft Tausende, in den Legebatterien sogar Hunderttausende von Tieren auf engstem Raum. Es sind junge und darum besonders bewegungsfreudige Tiere in erzwungener, fast völliger lebenslanger Bewegungslosigkeit.

Der Platz, den wir diesen armen Geschöpfen zumuten, die keinen anderen Zweck in ihrem kurzen Erdendasein zu erfüllen haben, als möglichst schnell ihr Schlachtgewicht zu erreichen beziehungsweise möglichst viel Nachkommen, Milch oder Eier zu produzieren, spottet jeder Beschreibung: 60 Zentimeter breite Kastenstände für ausgewachsene Zuchtsauen, einen halben Quadratmeter Lebensraum für Mastschweine, 400 Quadratzentimeter (zwei Drittel einer DIN A4-Seite) für unsere Legehennen, genausowenig für Mastkaninchen und körpergroße Einzelboxen (besser: „Holzsärge") für Mastkälber, in denen sie sich weder umdrehen noch ausgestreckt liegen können. Puten und Mastgeflügel sind durch die extreme Zucht auf möglichst viel Fleischansatz schon so degeneriert, daß sie bisweilen gehunfähig geworden sind - weit würden sie soundso nicht kommen, denn sie stehen zu Tausenden dicht an dicht.

Diese Hallen sind meist mit künstlichem Dämmerlicht ausgestattet, bisweilen herrscht auch völlige Dunkelhaft (zum Beispiel für Mastschweine), damit sich die Tiere nicht aus Langeweile oder aufgestauten Aggressionen gegenseitig auffressen. Dem wird routinemäßig durch Schwanz- beziehungsweise Schnabelkupieren vorgebeugt.

Die sensiblen Tiere werden dazu gezwungen, über dem Gestank ihrer Ausscheidungen zu leben - Kälber auf Lattenrosten, durch die der Kot

durchfällt; Schweine und Stiere auf Betonspaltenböden und die Legehennen auf stark geneigtem Drahtgitter, • damit die Eier abrollen können. Logische Folgen dieser katastrophalen Haltungsbedingungen bei monatelangem Stehen auf den unebenen, harten und glitschigen Böden sind Erkrankungen oder Verletzungen der Knochen, Sehnen und Gelenke. In Massentierhaltungen zählt aber nur die Produktivität - das Einzellebewesen spielt hierbei keine Rolle mehr...

Daß die Tiere in derartigen, tier-quälerischen Systemen ihre vorgegebene Mast- oder Legeperiode überhaupt noch überstehen können, „verdanken" sie der modernen pharmazeutischen Industrie. Ohne deren Chemotherapeutika, Antibiotika, Impfstoffen und sonstigen synthetischen Zusätzen, die dem Futter oder Trinkwasser beigemischt oder gespritzt werden, wären die „Ausfälle" zu hoch und damit das ganze System unwirtschaftlich. Mehr als die Hälfte der Weltjahresproduktion von Antibiotika wird den Nutztieren verabreicht! Und wir essen das in der einen oder anderen Form mit. - Mahlzeit!

Das Stroh wurde verbannt

Wie kam es zu dieser Entwicklung? In Österreich waren 1950 noch 31 Prozent der Erwerbstätigen in der Landwirtschaft beschäftigt. Heute sind es noch knapp sechs Prozent, ein Verlust von mehr als einer Dreiviertelmillion Arbeitsplätzen. Das führte zwangsläufig zu Rationalisierung und Technisierung - auch beim Mitgeschöpf. Aus „arbeitstechnischen" Gründen, so wurde es den Bauern jahrelang von Stallbaufirmen und Funktionären gepredigt, wurde das Stroh als natürliches Substrat zum Wohlfühlen für alle Haustiere aus den modernen Ställen verbannt. DieFol-ge war die Flüssigmistoder Güllewirtschaft, welche heute vor allem zu einem Entsorgungsproblem für die Land-wirtschaft geworden ist. D.ie Intensivtierhaltung zerstört also auch unsere Umwelt: Eine vor kurzem durchgeführte Trinkwasser-Untersuchung inOstösterreich ergab, daß die oberste Grundwasserschicht bereits zu 75 Prozent durch zu hohe Nitrat- und Fäkalienbakterienwerte zerstört ist! Ammoniak-Ausdünstungen, saurer Regen, Waldsterben und Bodenerosion seien hier als weitere Folgeerscheinungen der intensiven Tierhaltung nur erwähnt.

Die bäuerliche Landwirtschaft mit Familienbetrieben und vielfältigen, qualitativ hochwertigem Angebot mußte dem hochspezialisierten Agrar-großunternehmen Platz machen. Waren früher die Landwirtschaft und die darin arbeitenden Menschen ein Ganzes mit Natur, Umwelt und Tieren, so herrscht heute in vielen Bereichen Teilung in Spezialgebiete, massiver Einsatz von Chemie und Ausbeutung der „Nutz"-Tiere in intensiven Massentierhaltungen vor. Zwei Drittel der Bauern kann nur mehr mit Nebenerwerb existieren, der Viehbestand nahm dennoch stetig zu und wir produzieren enorme Überschüsse -vor allem Getreide, Milch und Rindfleisch -, deren „Verwertung" den Steuerzahler jährlich über acht Milliarden Schilling kostet.

EWR und EG werden das Problem nicht lösen - im Gegenteil. Dort liegen bereits 18 Millionen Tonnen Weizen, 900.000 Tonnen Milchprodukte und 700.000 Tonnen Rindfleisch auf Lager. 450 Milliarden Schilling, zwei Drittel des EG-Budgets, fließen jährlich zur Preis- und Marktstützung in die Landwirtschaft. Die durchschnittlichen Viehbestände sind dort um ein Vielfaches höher als bei uns, das bedeutet noch mehr Industrialisierung, Spezialisierung, Chemisierung, Monokulturen und tier-quälerische Massentierhaltung. Dazu kommen immer größere Transportstrecken quer durch Europa: Zum Beispiel rollen jährlich Hunderttausende Mastschweine von Belgien nach Italien und als „italienischer" Schinken zurück nach Belgien.

Die EG braucht Österreich als uneingeschränktes Transitland für den „freien Warenverkehr". Die besondere Brutalität bei den oft tagelangen Tiertransporten wurde uns ja in letzter Zeit des öfteren in den Medien präsentiert. Die wichtigste und vernünftigste Forderung des Tierschutzes auf diesem Gebiet: Transport nur bis zum nächstgelegenen Schlachthof. Doch die Gesetze der rein profitorientierten Agrarlobby, unterstützt von den Behörden und Politikern, haben eine andere Logik und für ethische Werte keinen Platz.

Hat der einzelne Konsument überhaupt einen Einfluß auf dieses scheinbar unaufhaltsame Treiben der Mächtigen? Ja, wenn er (sie) bei sich selbst anfängt, sich vernünftig zu beschränken, zum Beispiel beim Fleischkonsum . Fleisch - und das bestreitet heute kein ernstzunehmender Ernährungswissenschaftler mehr - ist für die vollwertige Ernährung absolut nicht notwendig. Im Gegenteil: Ein Großteil unserer Zivilisations- und Massenkrankheiten (Artherosklerose, Bluthochdruck, Herzinfarkt, Übergewicht,

Rheuma, Gicht, Allergien, Krebs) beruht auf falscher Ernährung, nämlich vor allem auf einem Zuviel an tierischen Eiweißen und Fetten. Eine Reihe von Vegetarierstudien hat dies einwandfrei belegt.

Alternative Biobauer

Aber wer glaubt, nicht auf Fleisch verzichten zu können, kann sich dennoch einschränken und dafür qualitativ besseres Fleisch besorgen (früher gab es auch nur ein- bis zweimal pro Woche Fleisch und die Menschen lebten gesünder); hier bieten sich als Alternative zum steril verpackten Schnitzel im Supermarkt aus Massentierhaltung einige Marken aus artgerechter Tierhaltung an (Vorsicht: nicht alles, was mit „natürlich" oder „tiergerecht" angepriesen wird, ist es auch!). Immerhin - die tiergerechteren Alternativen (zum Beispiel Mutterkuhhaltung und Laufställe) sind im Zunehmen begriffen. Wer keine Gelegenheit hat, beim (Bio-)Bauern direkt zu kaufen, wird meist in Naturkostläden fündig. Die Nachfrage fördert das Angebot!

Unser übermäßiger Fleischverbrauch (durchschnittlich 93 Kilogramm pro Kopf und Jahr!) ist aber auch ein ethisches Problem: wir essen den hungernden Menschen in der sogenannten Dritten Welt ihr tägli-

ches Brot buchstäblich weg - fast die Hälfte der Weltgetreideernte und über 90 Prozent der Sojaproduktion wird als Viehfutter verwendet! Während zur Erzeugung von nur einem Kilogramm Rindfleisch 16 Kilogramm Getreide und Soja notwendig sind, stirbt auf dieser Welt alle 2,3 Sekunden ein Kind an Unterernährung...

Und haben wir als „Krone der Schöpfung" überhaupt das Recht, unsere beseelten, hochsensiblen und unschuldigen Mitgeschöpfe zum alleinigen Zweck des Verzehrs unter unwürdigsten Bedingungen lebenslang einzupferchen, sie auf dem Weg zum Schlachthof das erste Mal die Sonne sehen zu lassen und sie dann unter Panik und Angst zu töten?

Haben Tiere, die erwiesenermaßen mindestens ebenso schmerzempfindlich und leidensfähig sind wie der Mensch, keine Rechte, nur weil sie sich nicht durch Worte artikulieren können?

Nach unserer bestehenden Rechtsordnung leider nicht, aber nach der ewig gültigen Ordnung unseres gemeinsamen Schöpfers sehr wohl. Es sollte daher besonders eines jeden Christen Verpflichtung sein, „im geringsten seiner Brüder" auch die Tiere zu sehen.

Der Autor ist Tierarzt, Tierschützer und Gründer des „Vereins gegen Tierfabriken".

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