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Europas Traum(a)

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Vor dreißig Jahren war der Ruf unserer Agrarwirtschaft nach der europäischen Integration groß. Heute sind Europas Bauern auf den Barrikaden und die Euphorie im Keller.

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Vor dreißig Jahren war der Ruf unserer Agrarwirtschaft nach der europäischen Integration groß. Heute sind Europas Bauern auf den Barrikaden und die Euphorie im Keller.

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Als die EWG 1957 mit Elan und Euphorie in Rom geschaffen wurde, waren viele Experten der Meinung, Europa werde ein agrarisches Zuschußgebiet bleiben. Knapp zwei Jahrzehnte später produzieren die EG-Bauern jährlich um 50 Milliarden Getreideeinheiten zuviel, 15 Millionen von den 100 Millionen in Produktion stehenden Hektare könnten stillgelegt werden.

Der gigantische Produktivitätsfortschritt durch die konsequente Anwendung wissenschaftlicher Erkenntnisse und des technischen Fortschrittes in der Landwirt-

Schaft war im Konzept der Römischen Verträge nicht vorgesehen - und das sind die Folgen: „Für rund 1,4 Millionen Tonnen Butter, 800.000 Tonnen Magermilchpulver 12,9 Millionen Tonnen Getreide, 700.000 Tonnen Rindfleisch, die in den Interventionslagern auf Käufer warten, sind derzeit die Absatzmöglichkeiten zu Marktpreisen innerhalb der EG praktisch gleich null", gestand vor kurzem Walther Florian, Staatssekretär im Bonner Ernährungsministerium. Weil auch die USA und andere Agrarländer die Landwirtschaft mit der Subventionsdroge zu Höchstleistungen brachten, gilt ähnliches „auch für den Weltmarkt, auf dem die Käufer—allen voran die Sowjetunion - zusehen, wie sich die westlichen Industrieländer für ein wenig mehr Absatz bei den Preisen unterbieten".

Die Kosten der EG-Agrarpolitik sind explodiert. Die Ausgaben des Ausgleichs- und Garantiefonds haben sich von 1979 bis 1985 auf mehr als 280 Milliarden Schilling verdoppelt und machen Dreiviertel des gesamten EG-Etats aus.

Die permanenten Uberschüsse haben die Brüsseler Kassen leergefegt. Die Selbstversorgung der Zwölfer-Gemeinschaft, deren Bauern für einen Markt von 320 Millionen Konsumenten produzieren können, wird trotz Mengenbeschränkungen bei Milch und Getreide bis 1990 atemberaubend ansteigen und den mörderischen Wettbewerb—vor allem mit den USA - auf einem überfüllten Weltmarkt anheizen.

Agrarpolitiker, Wissenschaftler und Landwirtschaftsverwaltungen sind nervös geworden. Auf den Tischen der Agrarbürokraten wuchern Papiere, Dokumente, Geheimvorschläge. Neue Heilslehren (Oko-Landwirtschaft), Radikallösungen („Der Markt soll entscheiden") und kaum erfüllbare Illusionen („Wer Bauer sein will, kann es bleiben") werden angepriesen.

Auf dem Pariser Landwirt-schaftssymposiimi Anfang März dieses Jahres brachte Franz-Josef Feiter, Leiter des Referates für Agrar- und Ernährimgspolitik im Kanzleramt in Bonn das europäische Agrardilemma mit einem drastischen Vergleich auf den Punkt: „Wir haben uns wie ein Trinker verhalten, der den Wein zur Befriedigung des Gaumens genießt, ohne an das zu denken, was die Leber dazu sagt." Feiter wies auf die Fehlentwicklung im Bereich der europäischen Agrarpolitik hin und forderte gezielte Maßnahmen für einen besseren Ausgleich von Angebot und Nachfrage, da sonst ein unzumutbarer Preisdruck auf Dauer unaus-

weichlich sei. Er plädierte für eine stärkere Berücksichtigung der Besonderheiten in einzelnen Mitgliedsländern der EG. Ein funktionsfähiges Währungsausgleichssystem sei auf absehbare Zeit unverzichtbar. Nach der von ihm geäußerten Ansicht könnte die EG den eingeschlagenen Weg weitergehen, „wenn innerhalb der Gemeinschaft ein fairer Ausgleich zwischen den unterschiedlichen Interessen gefunden wird und die Landwirtschaft davon überzeugt werden könne, daß am Ende des Anpassungsprozesses eine starke europäische Landwirtschaft steht, die ihren Platz auch am Weltmarkt behaupten kann."

Der Fortbestand der gemeinsamen Agrarpolitik ist aber — am Beginn ihres vierten Jahrzehnts — ernstlich gefährdet. Was bedeutet dies für Österreichs Agrarwirt-schaft?

In den fünfziger- und sechziger Jahren war der Ruf der heimischen Agrarwirtschaft nach einer Integration in die EG am lautesten. Die Begeisterimg ist mittlerweile einer nüchternen Betrachtung gewichen.

Die EG ist ganz ohne Zweifel Österreichs wichtigster Handelspartner, mehr als 40 Prozent des agrarischen Handelsbilanzdefizits entfallen auf die Gemeinschaft. Im 1972 vereinbarten Abkommen Österreichs mit der Gemeinschaft, aus dem die Landwirtschaft ausgeklammert blieb, heißt es im Artikel 15: „Die Vertragsparteien erklären sich bereit, unter Beachtung ihrer Agrarpolitiken die harmonische Entwicklung des Handels mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen, auf die diese Abkommen keine Anwendung findet, zu fördern."

Gerade auf diesen Artikel be-

ziehen sich Österreichs Agrarpolitiker, weil von „einer harmonischen Entwicklung" keine Rede sein kann. Deshalb heißt es auch im Integrationsbericht der Bundesregierung 1984/85, daß Verhandlungen über die Absicherung der Rinder-, Käse- und Weinexporte in die EG dringend notwendig sind. Eine Annäherung unter Ausschöpfung der gegebenen Rahmenbedingungen, wie es auch Außenminister Alois Mock vorschlägt, ist zweifellos wünschenswert, ebenso die Errichtung eines EG-Büros. Die Agrarsituation in der Zwölfergemeinschaft ist so prekär, daß Österreichs Bauern wahrscheinlich mit einer von Landwirtschaftsminister Josef Riegler angestrebten autonomen, eigenständigen Agrarpolitik besser fahren dürften als mit unausbleiblichen Entscheidvmgen in Brüssel.

Wichtig ist, daß es gelingt, die heimische Agrarwirtschaft vom traditionellen Handelsraum in der BRD und Italien nicht abkoppeln zu lassen und die österreichische Emährungswirtschaft durch die Bereitstellung kostengünstiger Rohstoffe wettbewerbsfähig gegenüber Unternehmen der Gemeinschaft zu halten. Wettbewerbsfähig heißt, eine aktive Exportstrategie verfolgen zu können. Mehr Flexibilität, weniger starre Fondswirtschaft und wirksame Maßnahmen für den Abbau der Uberschüsse sind dringend erforderlich. Ein agrarisches Langzeitprogramm wäre notwendig, weil auch Österreichs Agrarpolitik internationale Entwicklungen - vor allem hinsichtlich der Preisgestaltung - nicht negieren kann. Weniger Mittel für die Aufrechterhaltung eines starren, aus Zeiten der Unterversorgung stammenden Machtordnungsund Förderungssystems und mehr direkte Einkommenstransfers werden erforderlich sein, wenn Bauern auch in j enen Regionen überleben sollen, die keine Chance im marktwirtschaftlichen Wettbewerb haben.

Diese neue Agrarstrategie, erstmals auch im Grünen Plan für 1987 verankert, wird aber kurzfristig mehr Geld kosten als die bisherige Agrarpolitik. Ökologie ist der neue, zukunftsträchtige Output für die Landwirtschaft - er muß aber bezahlt werden, weil die Bauern 80 Prozent der Staatsflächen bewirtschaften, vor allem dort, wio sich zum Beispiel der heimische Fremdenverkehr mit 120 Millionen Gästenächtigungen pro Jahr konzentriert.

Der Autor ist Leiter der Abteilung für Agrarökonomie im Landwirtschaftsministerium.

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