Politik braucht das Land

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Die 54. Wintertagung des Ökosozialen Forums thematisierte Globalisierung und Urbanisierung. Die Bauern haben genug von der Flexibilisierung der Märkte und wollen vor allem Stabilität.

Was wir brauchen, ist mehr Politik!" Dieser Satz ist heutzutage selten geworden, denn gerade die letzte Bundesregierung legte sich gehörig für eines ihrer Mottos "Mehr privat weniger Staat" ins Zeug. Mit der Forderung nach mehr Politik meinen einige Interessensvertreter bei der 54. Wintertagung des Ökosozialen Forums aber keine Verstaatlichung der Landwirtschaft. Ihnen geht es vielmehr darum, dass die Regierungen der EU-Mitgliedsstaaten Rahmenbindungen schaffen müssen, die es den Menschen im ländlichen Raum - insbesondere der Bauern - ermöglichen, ein wirtschaftliches wie soziales Leben zu führen. Der Ruf nach immer mehr Flexibilisierung stößt bei den Bauern auf Unverständnis, und dies wurde gerade beim Auftakt der Wintertagung deutlich.

Bauer sein - flexibel sein

Der Flexibilisierungsgedanke stößt vielen Menschen in ländlichen Regionen vor allem bei der Diskussion über die Auswirkungen der Globalisierung sauer auf. Auf der einen Seite spielen österreichische Produkte auf dem internationalen Markt eine immer wichtigere Rolle und zum anderen produzieren die Mitbewerber - gerade auf diesem internationalen Parkett - unter ungleichen Voraussetzungen. Qualitätsstandards und Vorschriften, denen die heimische Landwirtschaft unterworfen ist, gelten nicht für alle Anbieter am globalen Markt. Viele Bauern sehen sich daher unfairen Rahmenbedingungen ausgeliefert. Karl Aiginger, Direktor des Österreichischen Institutes für Wirtschaftsforschung, betonte in seiner Eröffnungsrede allerdings, dass die Vorteile der Globalisierung weitaus die Nachteile überwiegen. So würde das Einkommen der Menschen in den Ländern im Norden wie auch im Süden steigen, die Vielfalt der am Markt erhältlichen Produkte nähme zu, die Technologien diffundieren und somit würden Lösungen einer breiteren Öffentlichkeit bekannt.

Aiginger gibt aber zu, dass die globalisierte Wirtschaft keine Einbahnstraße sei. Es stimme, dass es auch Verlierer gebe, wenn sich die ökonomischen, kulturellen und sozialen Aktionsfelder ausweiten. Die Gewinne seien aber größer als die Verluste, so könnten theoretisch die Gewinner dieses Prozesses den Verlierern helfen, was jedoch selbst Aiginger als unwahrscheinlich einstuft.

Zwei "Globalisierungen"

Im Falle Österreichs gebe es zur "regulären/fernen" Globalisierung noch eine "nahe". Gemeint ist, dass der Beitritt der mittel-und osteuropäischen Länder zur EU, die zunehmende Verflechtung mit den Balkanländern und mit den Nachbarn der heutigen Erweiterungsländer (Ukraine, Weißrussland, Türkei) Effekte wie bei der Globalisierung mit sich bringen. 500 Kilometer östlich von Wien sinken die Löhne auf 25 Prozent des österreichischen Niveaus. Somit können und werden auch Produktionsstufen und Dienstleisungen ausgelagert, was die Konkurrenzfähigkeit der heimischen Betriebe fördert.

Diese Vorteile würden oft weniger positiv gesehen, weil die Vorteile langsam und schwer wahrnehmbar seien. Oft beträfen die Vorteile auch obere Einkommensschichten stärker als die unteren, sagt Aiginger. Die Nachteile der Globalisierung träten hingegen geballt auf und würden oft der "nahen Globalisierung" zugeschrieben, vor allem weil sie die Arbeitsplätze und Einkommen der weniger qualifizierten Arbeitnehmer betreffen. Somit fordert auch der Wirtschaftsforscher mehr Politik, und zwar begleitende Wirtschaftspolitik, die Bildung und Innovationen forciert.

Auch strenge Umweltauflagen sieht Aiginger nicht unbedingt als Nachteil, wenn die reichen Länder diese als Exportchance nützen und ihr Know-how in Sachen Umwelt den Nachbarländern anbieten. Der Wifo-Chef spricht zwar nicht explizit von der Landwirtschaft, doch sie ist Teil der Wirtschaft und somit nicht von seinen Ausführungen auszunehmen. Die Globalisierung solle nicht gestoppt werden, sie brauche allerdings eine Begleitung durch eine proaktive Politik in den Industriestaaten wie auch in den Entwicklungsländern. Eine einseitige Forderung von Liberalisierung von Seiten multinationaler Organisationen greife zu kurz. Auch Landwirtschaftsminister Josef Pröll sieht in der Globalisierung eine große Herausforderung für die österreichische Landwirtschaft. Er betonte allerdings eindringlich, dass die heimischen Landwirtschaftsbetriebe mit Hilfe der Lebensmittelindustrie 2006 einen Handelsbilanzüberschuss in ihrem Sektor produzierten, zum ersten Mal in der heimischen Wirtschaftsgeschichte wurden mehr Lebensmittel exportiert als importiert. Das Land sei auf einem sehr guten Weg.

Grün ist die Gesundheit

Pröll verwies aber darauf, dass er in Brüssel vor allem für das Förderprogramm "Grüner Pakt" (siehe Infokasten) eintreten werde. Und dass er sich vehement dafür einsetzt, dass der "Gesundheits-Check" (ebenfalls Infokasten) nicht zu einer neuen Agrarreform ausartet. Bereits 2003 führte eine Halbzeitbewertung der "Agenda 2000" zu einer grundlegenden Änderung der gemeinsamen Agrarpolitik der EU. Für Pröll könne lediglich "an Stellschrauben gedreht werden", eine Totalreform komme für ihn aber nicht in Frage.

Auch Rudolf Schwarzböck, Präsident der Landwirtschaftskammer Österreichs und des Europäischen Bauernverbandes COPA, mahnt, dass die Landwirtschaft nun eine Zeit der Konsolidierung brauche. Er fordert eine Phase der Stabilität und Kontinuität, es sei auch nicht einzusehen, warum Projekte im Verkehrssektor eine Vorlaufsphase von teilweise 15 Jahren benötigen, im Agrarbereich aber eine Reform die nächste jage.

Ein Allheilmittel zum Thema Globalisierung konnte nicht gefunden werden. Eines wurde aber deutlich: Sollte der ländliche Raum bei der rasanten Entwicklung der Wirtschaft allein gelassen werden, würde auch hierzulande Landflucht und Urbanisierung um sich greifen.

Was bedeutet …

• Gesundheits-Check

Unter Gesundheits-Check oder Health-Check wird in der EU die Überprüfung der Agrarpolitik - Agrarkommissarin Mariann Fischer Boel fasst hierbei das Jahr 2008 ins Auge - verstanden. Kritiker dieser Überprüfung der politischen Weichenstellungen meinen, dass sich dahinter nur die Möglichkeit einer vorgezogenen Agrarreform - aktuelle Regelungen laufen bis ins Jahr 2013 - verbirgt. Auch Österreich gehört zu den Kritikern, die keine neue Reform wollen.

• Grüner Pakt

Der Grüne Pakt ist von Landwirtschaftsminister Josef Pröll initiertes Förderprogramm für den ländlichen Raum. Die Initiative umfasst drei Schwerpunkte: ein Umweltprogramm für naturnahe Landwirtschaft, ein Bergbauernprogramm und eine Investitionsoffensive. Inwieweit das Förderprojekt, das durch EU, Bund und die Länder finanziert wird, verwirklicht wird, entscheidet sich bis zum Juni. Derzeit liegt der Vorschlag zur Begutachtung in Brüssel.

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