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Schwitzkur für die finnische Wirtschaft

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Die Liste der EG-Beitrittskandidaten wird wieder länger: Finnlands Regierung hat die Absicht, im März ein entsprechendes Ansuchen abzugeben. Sie will ihr Begehren noch in der gleichen Verhandlungsrunde zusammen mit Schweden und Österreich behandelt sehen. Umfragen zufolge ist nur die Hälfte der Finnen für einen Beitritt.

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Die Liste der EG-Beitrittskandidaten wird wieder länger: Finnlands Regierung hat die Absicht, im März ein entsprechendes Ansuchen abzugeben. Sie will ihr Begehren noch in der gleichen Verhandlungsrunde zusammen mit Schweden und Österreich behandelt sehen. Umfragen zufolge ist nur die Hälfte der Finnen für einen Beitritt.

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Ende Februar wird Finnlands Regierung darüber entscheiden, ob sie das Parlament mit dem EG-Gesuch und einer Abstimmung darüber befassen soll. Vor vier Wochen konnte man auf etwa 110 der 200 Abgeordneten als Befürworter zählen, was für die erforderliche Zweidrittel-Mehr-heit aber nicht genügte. 69 Abgeordnete waren deklarierte Gegner, 21 wollten sich nicht äußern. Offenbar ist es in der Zwischenzeit gelungen, einige der Zauderer und Verweigerer umzustimmen, sodaß der parlamentarische Schritt gewagt werden kann.

Klar ist auch, daß es zur Frage des EG-Beitritts eine Volksabstimmung - über das endgültige Ergebnis der Verhandlungen - geben muß. Man wird ein gutes Ergebnis brauchen, denn derzeit ist Umfragen zufolge nur etwa die Hälfte der Bevölkerung für den Beitritt.

Zuletzt herrschte in der Mitte-Rechts-Koalition und der von ihr gestellten Regierung heftiger Streit: Soll das Ansuchen nach schwedischem Muster kurz und bündig und ohne Nebenbedingungen oder eben doch unter Formulierung von Vorbehalten abgefaßt werden? Solche Vorbehalte stellen sich insbesondere im Bereich der Neutralitäts-, Agrar- und Regionalpolitik. So will Finnland auch in Zukunft keinesfalls einem Militärbündnis angehören.

Die ökonomischen Probleme und möglichen Beitritts-Folgen hat das staatliche Wirtschaftsforschungsinstitut Vatt dargestellt. Insgesamt werden für die finnische Volkswirtschaft zwar dynamische Effekte aus der Integration in die EG erwartet, für die Landwirtschaft bedeutet ein Beitritt aber - werden keine Schutzklauseln und Ausnahmen definiert - praktisch das Aus. Die stärkste Partei, die Zentrumspartei, die mit Esko Aho den Ministerpräsidenten stellt, gilt a.ls landwirtschaftsfreundlich. Im Gegensatz dazu sehen die Konservativen unter Außenhandelsminister Pertti Salolainen in Vorbehalten und Sonderwünschen eine Gefährdung des Beitrittswunsches.

Die finnische Landwirtschaft ist noch viel stärker subventioniert als diejenige der EG. Das ist in diesem Fall aber verständlich, denn die kargen nördlichen Bedingungen lassen Getreideanbau und Tierhaltung nur zu hohen Kosten zu. Sieben Prozent der Erwerbstätigen sind in der Landwirtschaft tätig, aber sie erbringen nur vier Prozent der Investitionen und 2,5 Prozent des Bruttosozialprodukts. Die landwirtschaftlichen Produzentenpreise sind etwa doppelt so hoch wie in der Europäischen Gemeinschaft.

Ohne langfristige Übergangsregelungen unter Berücksichtigung der „arktischen" Bedingungen in der Landwirtschaft ist eine EG-Mitgliedschaft nicht möglich, warnt Ministerpräsident Aho und verweist darauf, daß der südlichste Punkt Finnlands immer noch weiter nördlich liegt als das Gebiet der jetzigen EG.

Die Konservativen hingegen meinen, daß ein Schrumpfen der Landwirtschaft ohnehin überfällig sy und daß eine so kleine Bevölkerungsgruppe nicht die Entwicklung des Landes blockieren dürfe. Die Verluste in der Landwirtschaft würden durch Vorteile für die Industrie und den Finanzsektormehr als ausgeglichen, wie auch die Studie des Vatt bestätigte. Die gesamten Wachstumseffekte des Beitritts werden in dieser Untersuchung allerdings - ähnlich wie in Österreich - relativ gering eingeschätzt.

Weitere Probleme birgt die Regionalpolitik: In dem flächenmäßig riesigen Land (etwa so groß wie das vereinte Deutschland bei nur knapp fünf Millionen Einwohnern - man bedenke zum Beispiel nur, welche finanzielle Belastung es für diese relativ wenigen Bewohner bedeuten muß, die Infrastruktur in diesem großen Landaufrechtzuerhalten) sind die regionalen ökonomischen Differenzen zwar nicht ganz so groß wie in der gesamten EG, aber doch beträchtlich: Setzt man die Wirtschaftskraft pro Einwohner für das ganze Land mit 100 fest, so bringt es der reichste Landkreis (im industrialisierten Süden) auf 127 Indexpunkte, der ärmste (an der Ostgrenze des Landes) auf 76.

Eben diese Diskrepanzen bilden die Grundlage des Interessengegensatzes zwischen Zentrumspartei mit ihrem Schwerpunkt Osten und Norden und den Konservativen mit ihrer Basis im südfinnischen Industriegebiet um die Städte Helsinki, Tampere und Turku. In der EG reicht die Bandbreite der regionalen Diskrepanzen von 126 in Luxemburg bis 50 in Griechenland. Die Probleme des regionalen Ausgleichs würden in der EG durch den Beitritt Finnlands nicht gerade erleichtert, doch hofft man letztlich, daß dies - wie auch die Fragen der Landwirtschaft - die Bemühungen nicht scheitern lassen wird.

Noch nicht ganz anfreunden kann man sich in Finnland mit der Idee der Währungsunion. Außenminister Väyrynen hat daraufhingewiesen, daß angesichts der immer noch recht einseitigen und rohstofforientierten Ausrichtung auf die holzverarbeitende Industrie das Land doch eine flexible Geld- und Wechselkurspolitik benötige, um gegebenenfalls auf Veränderungen auf den internationalen Märkten reagieren zu können -wie eben erst im Dezember mit einer allerdings umstrittenen Abwertung der Finnmark um 16 Prozent. Insgesamt strebe man stabile Wechselkurse an, allerdings mit der Möglichkeit eventueller Auf- und Abwertungen, sagte Väyrynen.

Generell macht sich in den skandinavischen Ländern derzeit die schwerste Krise der Nachkriegszeit breit. Finnland, wo die Industrialisierung erst in den fünfziger Jahren begann, ist dabei am schwersten betroffen. Der durchaus einträgliche Handel mit der Sowjetunion, der bis zu einem Viertel des gesamten Außenhandels ausmachte, brach völlig zusammen. Dieser Handel war allerdings technologisch relativ anspruchslos, weshalb die Umorientierung auf die westeuropäischen Märkte nun schwierig ist und auf jeden Fall Zeit braucht. 1991 dürfte das Bruttosozialprodukt um zumindest fünf Prozent gefallen sein. Eine Situation, in der die Regierung, wie schon erwähnt, die Nerven verlor und ihr Heil in einer (vermeintlich?) exportfördernden Abwertung suchte.

Dazu kamen zuletzt enorme Probleme im Bankensektor: Im vergangenen Jahr wurden die finnischen Banken nach einer Phase rascher Deregulierungen und hohen Wachstums in den achtziger Jahren von einer wahren Kaskade von Skandalen, Verlusten und „Köpferollen" erschüttert. Ende November mußte die Notenbank nicht weniger als zwei Milliarden Finnmark (mehr als fünf Milliarden Schilling) in das Bankensystem schleusen, um den Zusammenbruch der Skopbank, des Spitzeninstituts der Sparkassen, zu verhindern.

Auch in anderen Bereichen des Bankensystems kriselt es. Wie rasch es eine Erholung geben wird, hängt von den jetzt in Angriff genommenen Umstrukturierungen, von der Entwicklung der großen Unternehmen und der Wirtschaft überhaupt ab. Es ist den fleißigen Finnen zu wünschen, daß sie diese Klippen überwinden und auch in bezug auf die EG eine gute Entscheidung treffen!

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