7061916-1991_40_07.jpg
Digital In Arbeit

EG-Skepsis bei Ökonomen

19451960198020002020

Demnächst 'wird die großangelegte EG-Werbekampagne der Bundesregierung über die Österreicher hereinbrechen, um sie zu guter Letzt doch noch von ihrer bisher noch zu wenig begeisterten Haltung abzubringen. Ob dabei mit reiner Sachlichkeit zu rechnen ist? Umso wichtiger ist es, darauf hinzuweisen, daß in Ökonomenkreisen die EG-Frage bereits nüchtern diskutiert wird.

19451960198020002020

Demnächst 'wird die großangelegte EG-Werbekampagne der Bundesregierung über die Österreicher hereinbrechen, um sie zu guter Letzt doch noch von ihrer bisher noch zu wenig begeisterten Haltung abzubringen. Ob dabei mit reiner Sachlichkeit zu rechnen ist? Umso wichtiger ist es, darauf hinzuweisen, daß in Ökonomenkreisen die EG-Frage bereits nüchtern diskutiert wird.

Werbung
Werbung
Werbung

Nur wenig Echo in der Öffentlichkeit hatte der im heurigen Frühjahr publizierte „Armuts-Bericht", der -wie man anerkennen muß - immerhin von der EG-Kommission selbst herausgegeben wurde. Er zeigte drastisch, daß immer mehr Menschen innerhalb der wohlhabenden EG sich die einfachsten Dinge des täglichen Lebens kaum noch leisten können, selbst dann, wenn sie einer geregelten Arbeit nachgehen. Viele sind hochgradig verschuldet.

Vor allem in Großbritannien hat sich die „neue Armut" ausgebreitet. Mehr als elf (von 58) Millionen Briten leben unterhalb der Armutsgrenze. Fünf Millionen können sich nur eine Mahlzeit pro Tag leisten und zehn Millionen leben im Winter in schlecht oder gar nicht beheizten Räumen.

Im EG-Durchschnitt ist die Armut in den letzten sieben Jahren um zehn Prozent (!) gestiegen, in Großbritannien hat sie sich jedoch verdoppelt. Sicherlich gibt es noch wesentlich elendere Landstriche auf dieser Erde, und die geschilderte Entwicklung ist auch nicht „Schuld" der EG, aber offenkundig haben ihre angeblich so wohlfahrtssteigernden Effekte dem auch nichts entgegenzusetzen.

Auch im akademischen Bereich scheint sich Skepsis breit zu machen. Dort gab und gibt es immer wieder „Dissidenten", die sich von der allgemeinen Euphorie nicht beeindrucken lassen und eher die Probleme zu formulieren versuchen. Abgesehen von den britischen Ökonomen, die mehrheitlich nie wirklich überzeugt waren, wurde auch in anderen Ländern auf die Erfolglosigkeit der EG beispielsweise bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit oder auf die wenig glückliche Entwicklung Griechenlands in der EG verwiesen.

Kürzlich erst hat ein St. Gallener Wirtschaftsprofessor für den Schweizer Bundesrat ein Gutachten erstellt. Er kommt zu dem Ergebnis, daß all die positiven Effekte, die der EG zugeschrieben werden (Öffnung der Märkte, Kartellabbau, Zurückdrängen öffentlicher Monopole, Liberalisierung) von der Schweiz genausogut auch ohne EG bewerkstelligt werden könnten, und daß die Unterschiede zwischen Beitritt und Nicht-Beitritt jedenfalls unbedeutend seien. Große Skepsis herrscht ganz allgemein bei den Geld- und Währungstheoretikern bezüglich der Folgen einer Einführung der Währungsunion.

Außenseiter Schweiz

Einen zur bisherigen Denkweise tatsächlich diametral entgegengesetzten Kommentar gab neulich etwa auch Wolfram Engels, Professor für Bankbetriebslehre in Frankfurt und Herausgeber der einflußreichen „Wirtschaftswoche" ab. Anläßlich der 700-Jahr-Feier der Schweiz schrieb er über deren Verhältnis zur EG die folgenden Sätze:

„Trotzdem sollte man der Schweiz wünschen, daß sie auch der neuen Versuchung (eines EG-Beitritts, Anm. d. Red.) widersteht. Es müßten im

Laufe der Zeit mehr Kompetenzen nach Brüssel abgegeben werden, als sie die schweizerische Bundesregierung heute besitzt. Mit der wohlstandsfördernden und friedensstiftenden Dezentralität des Landes wäre es in absehbarer Zeit vorbei. Ganz abgesehen davon bietet die Außenseiterposition ohnehin mehr Chancen als die Mitgliedschaft. Je weiter das Recht in Europa gleichgeschaltet wird, umso mehr Marktlücken öffnen sich in der Standortkonkurrenz. Herrscht erst einmal einheitliches Europarecht, dann ist es mit Luxemburg als Hort der Banken und den Niederlanden als Oase für Holdings vorüber. Dann fallen der Schweiz die Früchte der Selbständigkeit in den Schoß."

Abschottung von der EG?

Das ist nun wahrlich das Gegenteil all dessen, was man bisher als Argumente für Beitritt und Binnenmarktkonzept hören und lesen konnte. Die Harmonisierung des Rechts und der Abbau von Beschränkungen sollten doch gerade die freie Bewegung von Arbeit, Kapital, Waren und Diensten ermöglichen und*die wirtschaftliche Dynamik in dem dabei entstehenden Wirtschaftsraum anfachen. Sollte das doch eine Schimäre sein und empfiehlt Herr Engels die Abschottung von der EG? Oder ist er so weit hinter der Zeit zurück? Rät er der Schweiz im Emst zur Aufrechterhaltung ihrer Position als Fluchtburg für Steuer-hinterzieher und Drogenbosse? Wohl kaum.

Eher scheinen das Anzeichen einer beginnenden durchaus EG-kritischen Haltung zu sein. Das ist ja auch wünschenswert. Den Bemühungen der österreichischen Regierung um Zustimmung der Bevölkerung zum Beitritt wird sie aber nicht gelegen kommen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung