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Kopflos aufnach Brüssel ?

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Ich möchte voranstellen, daß ich selbst für eine möglichst enge Bindung Österreichs an die Europäische Gemeinschaft (EG) bin. Ein Staat in dieser geopolitischen Lage im Zentrum Europas muß die Möglichkeit haben, an der wirtschaftlichen Entwicklung des westlichen Europa voll teilzunehmen. -Allerdings dürfen diese Bindungen unter keinen Umständen unsere immerwährende Neutralität in Frage stellen. Daher stimme ich der Regierungspolitik zu, eine möglichst enge Bindung ohne Beitritt zu finden, mit der versucht wird, am Binnenmarkt teilnehmen zu können. Eine unmögliche Aufgabe, mag sein. Es steht aber so viel auf dem Spiel, daß sie den Versuch wert ist.

Die Behauptung, eine allfällige vertragliche Regelung Österreichs mit der EG oder ein Beitritt widerspreche dem Staatsvertrag - besonders Artikel 4, Verbot des Anschlusses —, kann klar widerlegt werden.

Einmal besteht das „Deutschland“, wie es im Staatsvertrag bezeichnet wird, heute nicht, und weiters wäre selbst ein Beitritt zur EG keine Aufgabe der Eigenstaatlichkeit. Es kann da nicht von Anschluß geredet werden, es würde sich um einen Zusammenschluß Gleichberechtigter handeln.

In letzter Zeit hört man täglich von Professoren Gutachten und von Politikern Erklärungen, die feststellen, die immerwährende Neutralität Österreichs sei heute kein Hindernis mehr für einen EG-Beitritt. Die als supranationale Institution entworfene EG, die in ihrer Charter als Endziel bei Entscheidungen für alle verbindliche Mehrheitsbeschlüsse vorsieht, habe ja die Neutralität Irlands letztlich respektiert. Daraus sei abzuleiten, die EG würde auch die immerwährende Neutralität Österreichs zur Kenntnis nehmen. Ich glaube, man irrt dabei in der Einschätzung der „Neutralität“ Irlands.

Manche Professoren sprechen noch von Neutralitäts-Vorbehalten, die zu machen seien, andere wieder meinen, es genüge beim Beitritt schon eine interpretative Erklärung zum Artikel 228 der EG-Charter, der Sicherheitsfragen betrifft Wieder andere halten auch solche einschränkenden Erklärungen für überflüssig.

Ich tue das nicht Meiner Meinung nach gibt es von seiten der EG noch keine formelle Festlegung des Verhältnisses zu immerwährend neutralen Staaten. Zumindest wäre dies abzuklären, bevor man allein nur interpretative Überlegungen als Grundlagen für weitreichende Entscheidungen heranzieht

Neutralitätspolitisch, so sagen die Beitrittsanhänger, könne es keine Schwierigkeiten geben, da jetzt selbst die UdSSR versuche, ihr Verhältnis zur EG zu regeln. Da wird ein allfälliger Handelsvertrag mit einem Beitritt zur EG verglichen. Man muß sich aber die Entstehung und den Sinn der österreichischen Neutralität vor Augen halten, um sich klarzumachen, daß nicht leichtfüßig vorgegangen werden darf.

Bei den Moskauer Staatsvertragsverhandlungen im April 1955 wollten die Sowjets für ihre Vorstellung einer europäischen Friedensordnung in Erfahrung bringen, welche politische Position Österreich in Zukunft einnehmen wolle. Die österreichische Delegation hat dazu zugesagt, daß von der Bundesregierung dem National^ rat ein Verfassungsgesetz zur Beschlußfassung vorgelegt werden wird, das die immerwährende Neutralität Österreichs erklären sollte. Es handelt sich dabei also um einen freien, österreichischen Entschluß von einem frei gewählten österreichischen Parlament

Dieses Verfassungsgesetz vom 26. Oktober 1955 wurde vorerst den vier Großmächten notifiziert, und diese anerkannten den Beschluß in identischen Antwortnoten. Ein gleicher gegenseitiger Notenwechsel fand mit allen anderen Staaten statt, ebenso bei Aufnahmeansuchen zu internationalen Organisationen. Damit sind gegenseitige Verpflichtungen entstanden.

Würde man sie aufgeben, würde sich diese Nachkriegsordnung in Europa mit allen daraus entstehenden Risken ändern. Die immerwährende Neutralität Österreichs liegt daher nicht nur im Interesse Österreichs selbst, sondern im Interesse der gesamten europäischen Völkergemeinschaft unter Aufrechterhaltung der friedlichen Entwicklung an einer sehr sensiblen Stelle dieses Kontinents.

Die immerwährende Neutralität Österreichs hat einen wesentlichen Beitrag für die friedliche Entwicklung unseres Kontinents geleistet da sie ein unersetzlicher Faktor der europäischen Nach-kriegs-Friedensordnung ist Diese wichtige Stabilisierungsfunktion in der Mitte Europas besteht nach wie vor fort, und so wird es auch in absehbarer Zeit bleiben.

Eine solche historische Auf gäbe ist allerdings nur zu erfüllen, wenn sich der immerwährend neutrale Staat sehr genau an seine Pflichten hält Er muß sich in Friedenszeiten so verhalten, daß seine Politik und seine Stellung in einer allfälligen Krise, in einem Konflikt, vorausschaubar ist Dazu gehören vor allem einmal die genaue Einhaltung völkerrechtlicher Verpflichtungen mit einem hohen Maß an Vertragstreue und die volle Wahrung der Souveränität Ebenso gehört dazu die Fähigkeit, sich selbst verteidigen zu wollen und zu können, sowie die innere soziale und wirtschaftliche Stabilität und Lebensfähigkeit

Die Regelung des Verhältnisses mit einem wirtschaftlichen Großraum ist deshalb auch für einen Neutralen unerläßlich. Findet keine entsprechende Regelung statt, so bleibt ihm nichts anderes übrig als einfach Dinge, die in dem wirtschaftlichen Großraum geschehen, unter dem Druck der Fakten nachzuvollziehen.

Bei jeder Regelung mit der EG dürfen wir uns nicht auf die Neutralität ausreden, um wirtschaftliche Vorteile und Sonderregelungen zu erreichen. Würde Österreich den Eindruck erwek-ken, in Verhandlungen mit der EG sozusagen nur die Rosinen vom Kuchen herauspicken zu wollen, so würde uns dies in eine aussichtslose Verhandlungsposition bringen.

Ich halte es für eine schlechte Taktik, wenn man immer davon spricht, daß überhaupt keine Hindernisse bestehen, der EG beizutreten und man andererseits sagt, daß man nicht beitreten will. Warum sollten dann im Zuge der Verhandlung von EG-Seite Probleme der österreichischen Neutralität respektiert werden, wenn wir ununterbrochen feststellen, daß es überhaupt keine solchen Hindernisse gibt? Ich persönlich glaube, daß es sowohl neutralitätsrechtliche wie auch neutralitätspolitische Bedenken gegen einen Vollbeitritt zum gegenwärtigen Zeitpunkt gibt Wie die Verhältnisse Jahrzehnte später sein werden, kann man heute noch nicht wissen.

Man darf, so meine ich, ruhig aus den guten Erfahrungen mit der Neutralität lernen, das heißt man soll mit ihr ja nicht leichtfertig umgehen.

Der Autor ist Abgeordneter zum Nationalrat, Botschafter und außenpolitischer Sprecher der OVP.

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