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Sesam bleibt verschlossen

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„Maximale Annäherung“ und einen „besonderen Vertrag“ mit der EG wünschen sich derzeit die Politiker. Unterm Strich bringen diese Varianten aber nicht, was wir brauchen.

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„Maximale Annäherung“ und einen „besonderen Vertrag“ mit der EG wünschen sich derzeit die Politiker. Unterm Strich bringen diese Varianten aber nicht, was wir brauchen.

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Diese Vorstellungen, die einen Vollbeitritt Österreichs zur EG für die nähere Zukunft nicht für möglich halten oder nicht als erstrebenswert erachten, die sich aber dennoch durchaus positiv von österreichischen (Nicht-)EG-Po- sitionen der letzten zehn bis fünfzehn Jahre abheben, haben allerdings einen Haken: Es handelt sich bei diesen Modellalternativen um einen Wunschtraum, der nicht in Erfüllung gehen kann.

Den Vertrag, den sich Österreich offenbar erhofft, nämlich ein Arrangement, das alle Vorteile eines Vollbeitritts zur EG bietet, ohne irgendeine Belastung aus dieser Quasi-Mitgliedschaft nach sich zu ziehen, wird uns die EG nicht geben. Wer jemals mit und in Brüssel verhandelt hat, weiß, daß man dort sehr konsequent nach dem alten Vertragsprinzip verfährt: „Do ut des.“ Oder anders ausgedrückt: .Alles hat seinen Preis.“

Und der Vertrag, den Österreich vermutlich bekommen kann, nämlich ein noch weitergehendes Freihandelsabkommen als das geltende, ein paar bilaterale oder multilaterale Kooperationsabkommen in Sachen Verkehr, Umweltschutz, Technologietransfer sowie ein Versprechen, in Sachen EG-Rechts- setzung relativ ausführlich informiert zu werden, bringt unter dem Strich nicht das, was wir wirklich brauchen.

Wir können damit in all den genannten Bereichen nämlich nicht nur nicht erreichen, daß Österreich an der EG-internen Willensbildung teilnimmt, sondern wir bleiben vielmehr dort, wo es wirklich anfängt, interessant zu werden, als Quasi-Mitglied nach wie vor immer Außenseiter.

Ein einfaches Beispiel mag dies verdeutlichen:

Die EG ist derzeit dabei, im Zuge eines umfangreichen Rechtsangleichungsprogramms, das bereits im EWG-Vertrag selbst vorgesehen war und das durch die nunmehrige sogenannte Binnenmarktsentscheidung noch forciert werden soll, die Vorschriften über die Produktion von Gütern, die Produktkontrolle, die Produktvermarktung und dergleichen EG-weit zu vereinheitlichen. Dies mit dem Ziel, daß ein bestimmtes Produkt, das nach den Vorschriften eines Mitgliedlandes „ordnungsgemäß in Verkehr gebracht wird“, dann im gesamten EG-Raum ohne weiters vermarktet werden kann. Dies ist im Kern und im Ergebnis das zentrale Anliegen einer der vier sogenannten EG-Freiheiten.

Österreich kann nun, weil und wenn es über einen in der Gemeinschaft laufenden Rechtsvereinheitlichungsvorgang informiert wird, seine eigenen nationa len Rechtsvorschriften gewissermaßen parallel zum EG-Recht mitumgestalten beziehungsweise die EG-Vörschrift dem Buchstaben und ihrem Sinn nach kopieren.-; . ;., “ : .... •

Dieser Vorgang, in Orwell- schem newspeak mit „autonomer Nachvollzug“ umgeschrieben, kann aber trotz allem nicht gewährleisten, was der eigentliche Sinn der Sache sein sollte: nämlich, den freien und ungehinderten Zugang zum EG-(Binnen)- markt zu ermöglichen. Dieser kann erst wieder nur durch die klassische Einfuhr des österreichischen Produkts in einen Mitgliedstaat des Gemeinsamen Marktes bewerkstelligt werden.

An der Situation, wie wir sie heute bereits haben, würde sich also auch in Zukunft im Prinzip nichts ändern. Das „Sesam öffne dich“ zum EG-Binnenmarkt ist nicht schon das gleiche Recht, sondern immer nur das gemeinsame Recht.

Das Versagen der Modellvariante des autonomen Nachvollzuges ist nicht auf den einen geschilderten Beispielsfall beschränkt. Die Konstruktion ist vielmehr als prinzipiell untauglich zu beurteilen, wenn es im Kern der Sache um mehr gehen soll, als nur darum, im Kielwasser der EG dahinzusegeln.

Daß Österreich sich in wesentlichen Fragen seiner währungspolitischen Entscheidungen so verhält, als sei unser Staat Mitglied des Europäischen Währungsbundes (EWS), führt nicht automatisch dazu, daß wir im Bedarfsfall dann auch, so wie die EWS-Mit- gliedstaaten, auf die vertraglich vorgesehenen gemeinschaftlichen Beistandsmechanismen zurückgreifen könnten. Noch präziser und noch deutlicher: Aus unserem de facto Mitgliedsverhalten können wir überhaupt nichts und schon gar keinen Anspruch ableiten.

Den EWS-swap haben wir bisher glücklicherweise noch nicht gebraucht. In anderen Bereichen hätten wir uns allerdings schon des öfteren über eine „Mithilfe“ der EG gefreut. Wir haben sie nur nicht bekommen. Unsere autonomen Vorleistungen im Bereich der Verkehrspolitik etwa haben immer nur wir selbst erbracht und finanziert. Wer sich jemals anderes erwartet hätte oder heute und in Zukunft vom Modell des autonomen Nachvollzuges mehr verspricht, der ist gut beraten, sich das Verhandlungsmandat anzusehen, das - auch erst nach einem sehr langen Vorlauf — der Rat schlußendlich der Kommission in dieser Angelegenheit erteilt hat. Dort läuft nämlich alles wie gehabt: Nur das vorher fix vertraglich vereinbarte „des“ folgt dem „do“.

Daß in derartigen Vereinbarungen zwischen der EG und dem Drittstaat Österreich dann auch die Angleichung österreichischer Rechtsvorschriften an das EG- Recht eine Rolle spielen kann und tatsächlich spielt, gehört - spätestens an diese Stelle - gebührend vermerkt.

Es gibt heute bereits zahlreiche Vereinbarungen des Inhalts, daß

Österreich sich zur Einhaltung bestimmter europäischer Standards und Normen verpflichtet, und daß die EG dafür gewissen Marktöffnungen zustimmt. Und es wird und muß derartige Vereinbarungen auch in Zukunft und in verstärktem Maß geben. Freilich, mit autonomen Nachvollzug hat das alles nichts zu tun. Hier handelt es sich um den sogenannten Weg der vielen kleinen Schritte, auf dem auf konkreter vertraglicher Grundlage fußend, Österreich und die EG aufeinander zugehen.

Nun scheint es fast so, als ob der wirklich autonome Nachvollzug zu überhaupt nichts gut sei. Das ist so nicht richtig. Auch das bloße Kopieren von EG-Recht hat seine integrationspolitischen Meriten. Diese sind nur nicht so groß, wie man das derzeit offenbar annehmen oder glauben machen will.

Das vorhin erwähnte Denkmodell des Weges der kleinen Schritte zeigt dies in ganz einfacher Weise: Einigt sich die EG intern auf eine neue Gemeinschaftsnorm und paßt sich Österreich dieser neuen EG-Vorschrift nicht an, so führt dies zu einer Vergrößerung der Distanz zwischen der EG und Österreich. Es kommt also nicht immer nur auf das an, was wir tun, sondern genauso relevant für die wechselseitige Beziehung ist das jeweilige EG-Verhalten. Deshalb reden wir ja derzeit davon, daß uns die EG-Binnen- marktentscheidung in Zugzwang bringt.

Der „autonome Nachvollzug“, zu dem wir uns derzeit in vielen Bereichen gezwungen sehen, hilft uns, die Distanz nicht größer werden zu lassen, als sie ist. Wollen wir aber mehr als bloßes Distanzhalten, und das scheint ja immerhin die derzeitige politische Grundsatzentscheidung zu sein, dann muß man mit Brüssel Vereinbarungen schließen und sich auch Gedanken darüber machen, ob nicht auch Brüssel daran interessiert sein könnte, ein österreichisches Ansuchen auf Vollbeitritt unter Neutralitätsvorbehalt zu akzeptieren.

Der Autor ist Professor am Institut für Öffentliches Recht, Politikerwissenschaft und Verwaltungslehre an der Universität Graz.

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