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Die jüngsten Beschlüsse der EG in Dublin, unter dem Druck der Er- eignisse nun rasch auch die Politi- sche Union in die Tat umzusetzen, haben neue Fakten geschaffen und zu einer gewissen Klärung der weiteren Vorgangsweise geführt.

Österreich kann angesichts be- reits getroffener Entscheidungen nicht viel mehr tun, als diese Tatsa- chen zur Kenntnis zu nehmen.

Anders die Schweiz. Sie hat noch kein Beitrittsansuchen gestellt. Verfolgt man die dortigen Diskus- sionen, so verstärkt sich der Ein- druck, daß die Schweizer in der EG-Frage derzeit auf Zeitgewinn setzen. Dabei sind die Eidgenossen nicht verlegen, immer neue Argu- mente zu finden, warum ihr EG- Beitritt „jetzt nicht" oder „noch nicht" möglich ist. Zwar werden Vorbereitungen für den EG-Bin- nenmarkt getroffen, doch bleiben diese halbherzig und widersprüch- lich. Das zeigt sich schon in der Haltung der ethnischen Gruppen:

Die Polarisierung zwischen den klar ablehnend eingestellten Deutsch-Schweizern und den ei- nem Beitritt zuneigenden franzö- sisch- und italienischsprachigen Teilen der Bevölkerung nimmt zu. Nach Umfragen steigen unter den deutschsprachigen Schweizern die Bedrohungs- und Vereinnahmungs- ängste gegenüber einer übermäch-' tigen und bürokratischen EG.

Ein Blick auf die inneren Ver- hältnisse macht klar, warum. Die Deutsch-Schweizer und ihre Par- teien haben den Staat fest im Griff. Sie möchten von diesen Positionen naturgemäß nichts abgeben. Die anderen Volksgruppen erhoffen sich durch einen EG-Beitritt offen- bar eine Durchlüftung und Auf- wertung des eigenen Einflusses.

Ein schon 1986 vom Parlament gefordertes Regierungsprogramm zur Integrationspolitik liegt auch noch nicht vor. Die Regierung hält in dieser Frage an ihrer Politik des „paradoxen Imperativs" fest. Demzufolge gilt es, wirtschaftlich und rechtlich beitrittsfähig zu werden oder zu bleiben, um nicht beitreten zu müssen.

Klarer ist schon die Position der Schweizer Unternehmer. Eine Umfrage vom Jänner dieses Jahres in der Textilindustrie zeigt mit 72 Prozent eine überraschend große Mehrheit, die zumindest auf länge- re Sicht einen Beitritt befürwortet.

Die Großindustrie wiederum hat mit der EG überhaupt kein Pro- blem. Sie hat längst ihre Standbei- ne in der Gemeinschaft und produ- ziert dort bereits mehr als im eige- nen Land. Was sie allerdings stört, hat Staatssekretär Franz Blankart in einem Vortrag in Genf kürzlich in bemerkenswerter Offenheit aus- gesprochen: Es sind die Prinzipien der EG-Wettbewerbsregeln und des Unternehmensrechts. Ein gewisser Teil des Aktienkapitals der großen Schweizer Firmen besteht aus auf Namen des Inhabers lautenden Anteilen, sogenannten Namensak- tien. Der Besitzerkreis wird damit eingeschränkt und so zu einer Bar- riere gegen unerwünschte Aktien- besitzer. Die Übernahme der EG- Regeln, die solches nicht vorsehen, würde den Einfluß der Aktienbe- sitzer auf die Firmen und die Ge- fahr unerwünschter Übernahmen durch ausländische Interessenten erhöhen. Abgesehen davon müßte auch die Auskunftspflicht der Schweizer Unternehmen an Aktio- näre und Öffentlichkeit wesentlich ernster genommen werden.

Die Rede Blankarts hat insge- samt die derzeitige Haltung der Schweiz gegenüber der EG exem- plarisch dargelegt: Mit Bedauern wird erklärt, daß man sich einfach nicht reif genug für einen EG-Bei- tritt hält. Gewisse Industriebran- chen wären bisher zu sehr vor Wettbewerb geschützt gewesen und wirtschaftspolitische Eingriffe hätten in hohem Maß Marktverzer- rungen verursacht. In vielen Berei- chen hätten sich Kartelle gebildet und das in größerem Umfang als in vielen anderen Ländern Europas. Vor allem die von starken interven- tionistischen Eingriffen geprägte Landwirtschaft hätte unter einem EG-Beitritt sehr zu leiden. Natür- lich erlaubt es auch die Struktur der Schweizer Arbeitsmärkte (noch) nicht, den beabsichtigten freien Personenverkehr der EG mitzuma- chen. Ebenso würde die grenzüber- schreitende Handhabung des öf- fentlichen Auftragswesens in der EG viele Schweizer Firmen in gro- ße Schwierigkeiten bringen.

Alles in allem: Struktur und Märkte der Schweizer Ökonomie seien in verschiedenen Bereichen so mangelhaft und unvollkommen, daß das Binnenmarkt-Programm, das sich Effizienzerhöhung und Liberalisierung der Märkte zum Ziel setzt, zu schmerzhaften und kostenintensiven Umbrüchen füh- ren müßte. Diese Probleme müßten erst intern gelöst werden, dann könne man der Idee eines EG-Bei- tritts eventuell wieder nähertreten.

Man muß den Mut und das Ge- schick bewundern, solche Argu- mente in Hinblick auf ein Land ins Treffen zu führen, das oft und gern seine effiziente und liberale Wirt- schaftsordnung betont. Übrigens: Sollten das wirklich stichhaltige Gründe sein, so müßte Österreich sein Beitrittsansuchen schleunigst zurückziehen. Denn unsere Proble- me sind nicht so verschieden. Aber hierzulande glaubt man eher an die Wunderdroge EG, die all diese Probleme für uns lösen wird (ge- nauso wie das in der DDR gesche- hen soll), ohne daß wir uns selbst besonders anzustrengen brauchen.

Auf jeden Fall haben die Schwei- zer mit dieser Argumentationslinie Zeit und Spielraum gewonnen. Eine Strategie, die angesichts der be- deutenden Umwälzungen vielleicht nicht schlecht ist. Vor allem kann in Ruhe beobachtet werden, wie es den Österreichern mit ihrem An- trag ergeht. Die Schweiz erspart sich jedenfalls die Blamage, immer wieder vertröstet zu werden.

Der Autor ist volkswirtschaftlicher Experte in der Nationalbank.

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