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Die Äußerungen, die der Ministerpräsident der Sowjetunion, Herr Nikita Chruschtschow, bei seinem Besuch in Österreich über Fragen der österreichischen Neutralität machte, haben begründete Beunruhigung in Österreich und auch sonst in der westlichen Welt hervorgerufen. Herr Chruschtschow ererklärte, die Sowjetunion würde „nicht teilnahmslos“ bleiben oder „abseits stehen“, wenn jemand die österreichische Neutralität verletzen sollte, und es werde „von der Situation abhängen“, was die Sowjets in einem solchen Fall tun würden; auch meinte er, Österreich dürfe angesichts fremder Raketenstützpunkte in Norditalien nicht gleichgültig bleiben.

Einem aufmerksamen Beobachter der Politik Moskaus gegenüber Österreich seit 1945 können diese Worte Chruschtschows indes “nicht überraschen: sie sind nicht Ausdruck einer neuen sowjetischen Diplomatie gegenüber Österreich. Im Moskauer Memorandum vom 15. April 1955 über die Besprechungen zwischen den österreichischen und sowjetischen Regierungsabordnungen hat die Sowjetregierung nicht nur versprochen, die von Österreich zugesagte Erklärung einer immerwährenden Neutralität, „wie sie von der Schweiz gehandhabt wird“, anzuerkennen: die Sowjetregierung hat sich unter einem bereit erklärt, „an einer Garantie der Unversehrtheit und Unverletzlichkeit des österreichischen Staatsgebietes durch die vier Großmächte — nach dem Muster der Schweiz f teilzunehmen“.

Am Vortag der Unterzeichnung des österreichischen Staatsvertrages vom 15.Mai 1955 schlug der damalige sowjetische Außenminister M o 1 o-t o w den mit ihm in Wien anwesenden Außenministern Frankreichs, Großbritanniens und der Vereinigten Staaten von Amerika eine Garantie des österreichischen Staatsgebietes vor, die sich überdies auf Unabhängigkeit und Neutralität erstrecken sollte. Am ersten Jahrestag nach der Veröffentlichung des Moskauer Memorandums erinnerte die Moskauer „Prawda^ Jn, -eineny Leitaufsatz an den sowjetischen Vorschlag einer Viermächtejaräntie, Dieser,Vorschlag doch von den Westmächten nicht angenommen. Einige Monate nach dem Besuch Bundeskanzler Raabs in der Sowjethauptstadt im Juli 1958 ließ sich ein führendes westdeutsches Blatt aus Wien berichten, die Vertreter Österreichs hätten bei diesem ihrem Besuch nur mit Mühe die Aufnahme eines Satzes in das Schlußkommunique verhindern können, wonach die Sowjets jederzeit bereit seien, die österreichische Neutralität zu „schützen“. Von einer V i e r-mächtegarantie war nun auch in Moskau nicht mehr die Rede. Meldungen über eine „Schutz“-bereitschaft der Sowjetunion für Österreich wurden auch laut, als diese im Herbst 1958 in Washington gegen eine Verletzung der österreichischen Gebietshoheit durch amerikanische Militärflugzeuge Protest erhob. Die amerikanischen Flugzeuge hatten nach Ausbruch der Krise im Libanon auf dem Weg dorthin Tirol überflogen. Die eingangs erwähnten Äußerungen des Ministerpräsidenten Chruschtschow liegen daher ganz auf der Linie der sowjetischen Österreichpolitik seit 1945.

Herrn Chruschtschows Äußerungen haben die Gefahr einer einseitigen sowjetischen Aktion im Falle einer künftigen angeblichen oder wirklichen Bedrohung oder Verletzung der österreichischen Neutralität vor Augen geführt. Dies hat die österreichische Bundesregierung zu einer Stellungnahme veranlaßt, die sie am 12. Juli 1960 amtlich bekanntgab. Die Bundesregierung erklärte demnach, daß die von Ministerpräsident Chruschtschow geäußerten Auffassungen nicht im Einklang mit der österreichischen Neutralitätspolitik stünden. Unter Berufung auf das österreichische Neutralitätsgesetz, das dem Moskauer Memorandum entspreche, werden hierauf daraus folgenden Pflichten die Rechte Österreichs aus dem' Neutralitätsgesetz gegenübergestellt, insbesondere das Recht, „in Ausübung seiner uneingeschränkt gebliebenen Souveränität selbst und allein zu bestimmen, wann und wodurch seine Neutralität allenfalls bedroht oder verletzt ist, und im Falle einer allfälligen Bedrohung oder Verletzung zu entscheiden, auf welche Weise der Bedrohung oder Verletzung begegnet werden soll“. Auch diese österreichische Erklärung hat ein Schweizer Vor-

AUGUST 1960 bild. Während des ersten Weltkrieges, am 4. Dezember 1917, richtete der Schweizer Bundesrat an die Regierungen Frankreichs, Großbritanniens und der Vereinigten Staaten von Amerika eine Note, in der es heißt: „Die Eidgenossenschaft nimmt für sich allein das Recht in Anspruch, darüber zu entscheiden, ob und unter welchen Bedingungen es ihr angezeigt erscheinen würde, die Hilfe fremder Mächte anzurufen.“

Die Ausübung der Souveränität ist freilich bei allen Staaten nicht uneingeschränkt geblieben, soweit es sich nicht um wesentlich innerstaatliche Fragen handelt. Das geht auch aus der Charta der Vereinten Nationen hervor (Art. 2, P. 7). Diese Einschränkung der staatlichen Souveränität gilt insbesondere für Rechtsfragen, selbstverständlich auch für Fragen des Neutralitätsrechtes. Schon das XII. Abkommen der zweiten internationalen Friedenskonferenz im Haag vom Jahre 1907 hatte einen internationalen Prisengerichtshof vorgesehen, der unter anderem in wichtigen Fragen der neutralen Rechte und Pflichten zu urteilen bestimmt war. Allerdings wurde dieses Abkommen nicht ratifiziert. Seither sind im Völkerbund, später in den Vereinten Nationen, im Internationalen Gerichtshof, im Europarat internationale Organe geschaffen worden, die berufen sind, Streitfragen zwischen den Staaten zu schlichten oder zu entscheiden. Im Falle einer Bedrohung oder eines Bruches des Friedens oder einer Angriffshandlung ist es Sache des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen, sofortige und wirksame Maßnahmen zu treffen. Solange aber angesichts des Zwiespaltes der Großmächte und des jedem von diesen zustehenden Vetorechtes im Sicherheitsrat dessen rechtzeitiges Funktionieren in keiner Weise gewährleistet ist, bleibt nur das auch in der Charta der Vereinten Nationen (Art. 51) anerkannte „natürliche Recht individueller oder kollektiver Selbstverteidigung, wenn ein bewaffneter Angriff gegen ein Mitglied • der Vereinten Nationen erfolgt“.

DULLES UND DILLON reich besuchte der Unterstaatssekretär der Vereinigten Staaten von Amerika, Mr. Douglas Dillon, unser Land. Auch er äußerte sich in einem am 15. Juli in Wien gehaltenen Vortrag über die österreichische Neutralität. Darnach respektieren die Vereinigten Staaten die „besondere neutrale Stellung“ Österreichs und sie sind sich bewußt, daß Österreich „ohne Hilfe von außen“ in der Lage ist, seine eigene Auslegung über seine Neutralität zu geben. Diese Erklärung Mr. Dillons reicht praktisch nicht weiter als der Artikel 3 des Staatsvertrages 1955, in dem sich die vier Großmächte verpflichteten, die Unabhängigkeit Österreichs zu achten. Achtung der Unabhängigkeit oder Neutralität bedeutet ebensowenig wie deren bloße Anerkennung eine Garantie. Viel erfreulicher wäre es für Österreich gewesen, wenn Mister Dillon gesagt hätte: „Auch wir werden nicht teilnahmslos bleiben oder beiseite stehen, wenn Österreichs Neutralität verletzt würde.“ Eine ähnliche passive Haltung der Westmächte hat 1938 zur Vernichtung der Unabhängigkeit Österreichs und dessen Annexion durch einen übermächtigen Nachbarn geführt. Erfreulicherweise hat die amerikanische Regierung bei einem noch nicht lange zurückliegenden Anlaß, nämlich während des ungarischen Aufstandes, eine viel stärkere Haltung bewiesen, als der damalige Staatssekretär J. F. D u 11 e s am 6. November 1956 erklären ließ, die Vereinigten Staaten würden den neutralen Charakter Österreichs achten und sie seien der Ansicht, „daß eine Verletzung der gebietlichen Unversehrtheit und inneren Souveränität Österreichs selbstverständlich eine schwere Bedrohung des Friedens sein würde“.

In einem Vortrag, den der schwedische Botschafter in London, Herr Gunnar H ä g g 1 ö f, gegen Ende des Vorjahres in der London School of Economics über die schwedische Neutralität während des zweiten Weltkrieges hielt, kam er auf Grund eines reichen Erfahrungsmaterials, das er unterbreitete, zu der Schlußfolgerung, daß ein Staat in einem Krieg anderer Mächte unter drei Voraussetzungen jpeine. Neutralität1 bewahren könne:“

• Durchrt-^nej^entsprechend wirkungsvolle.; Candesverteidigung. Wäre“ Norwegen nur ein wenig militärisch stärker gewesen, so hätte Deutschland kaum den Angriff gegen dieses Land über See gewagt.

• Feste Unterstützung der Neutralitätspolitik durch alle bedeutenden politischen Gruppen des neutralen Landes wie in der Schweiz und Schweden während des zweiten Weltkrieges.

• Das Bestehen eines Gleichgewichts der Mächte, der grundlegenden Bedingung der Neutralität.

Von diesen drei Voraussetzungen kann in Österreich heute nur die zweite als zweifellos bestehend angesehen werden. Die militärischen Vorbereitungen Österreichs blieben im Verhältnis zu dessen militärisch-geographischen Erfordernissen, Bevölkerungsstärke und Nationaleinkommen um ein Vielfaches hinter dem zurück, was die neutrale Schweiz und das neutrale Schweden, die sich beide aus zwei Weltkriegen herausgehalten haben, für diesen Zweck leisten. Die Schweiz nimmt gegenwärtig eine Armeereform in Angriff, welche ihre jährlichen Militärausgaben um 1200 Millionen auf 7,2 Milliarden Schilling erhöht, während man sich in Österreich bemüßigt gefunden hat, die schon äußerst geringen Verteidigungsausgaben von zwei Milliarden noch für 1960 um 200 Millionen Schilling zu kürzen. Der Verheißung des so oft berufenen Bundesverfassungsgesetzes über die Neutralität, Österreich werde diese „mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln aufrechterhalten und verteidigen“, sind bisher nicht viel mehr als Lippenbekenntnisse der verant-w9jA?hgn- Stellen ßsfpjgt,,^,.. y, „„ - Wefs-vdas: Gleichgewicht der Mächte in bezug auf. den,Bestand eine unabhängigen Österreich betrifft, so “häf sich ei'ri* solches mit dem Ende des zweiten Weltkrieges zweifellos ausgebildet. Bis zum Jahre 195 5 kam es in den Abgrenzungslinien der Besatzungszonen an der Enns und am Semmering zum Ausdruck, seither durch die im Staatsvertrag 1955 ausgesprochene Achtung der Unabhängigkeit Österreichs und durch die von den Unterzeichnermächten dieses Vertrages anerkannte österreichische Neutralität. Das Gleichgewicht um Österreich aber ist gestört durch die einseitige Bereitschaft Moskaus, Österreichs Unabhängigkeit, Unversehrtheit und Neutralität zu garantieren, während die Westmächte dem Gedanken einer solchen Verpflichtung gegenüber die kalte Schulter zeigen. In dem Mangel einer Garantie der Großmächte vor allem unterscheidet sich die österreichische Neutralität von der schweizerischen und früheren belgischen und luxemburgischen Neutralität. Die stolze Erklärung, daß Österreich allein über Bedrohung oder Verletzung seiner Neutralität zu entscheiden habe, kann eine solche Garantie nicht ersetzen. Sich für eine Garantie im Sinne des Moskauer Memorandums einzusetzen, sollte Gegenstand ständigen und unbeirrten Bemühens unserer Diplomatie sein, trotz der Widerstände, die Erwägungen von zweitrangiger Bedeutung auf Seiten der Generalstäbe der Westmächte hervorbringen mögen.

Letztlich hängt freilich die allseitige Verbürgung der österreichischen Unabhängigkeit, Unversehrtheit und Neutralität von den Entschlüssen der westlichen Großmächte ab. Gerade in dieser Lage gewinnt die erste der von dem hohen schwedischen Diplomaten erwähnten Voraussetzungen der Neutralität entscheidende Bedeutung. Die billige Ausrede, es sei aussichtslos, gegen militärische Übermacht einer Großmacht anzukämpfen, wird, ganz abgesehen davon, daß Gefahren nicht bloß von einer Großmacht kommen müssen, durch das Beispiel der Schweiz und Schwedens widerlegt. Diese zwei Staaten treffen auch im Atomzeitalter unter schweren finanziellen Opfern Vorkehrungen für ihre militärische Sicherheit. Die Schweizer Doktrin des „möglicherweise hohen Eintrittsgeldes“ für eine Verletzung des Hoheitsgebietes der Eidgenossenschaft hat sich auch gegen militärische Großmächte, die miteinander im Kampfe stehen, in den Kriegen des 19. Jahrhunderts und zwei Weltkriegen als wirksam erwiesen. Gewiß bereitet für Österreich das im Artikel 13 des Staatsvertrages 1955 vorgesehene „Verbot von Spezialwaffen“ ein schweres Hindernis für unsere Landesverteidigung, insbesondere für die Verteidigung des Luftraumes. Allein dieses Verbot ist zeitlich nicht unbeschränkt; es kann durch ein Abkommen mit den Alliierten oder durch ein Abkommen mit den Vereinten Nationen geändert werden, was in Anbetracht gerade des Gleichgewichtes der Mächte nicht unmöglich sein sollte.

Nach schamloser Irreleitung und Mißbrauch des gesunden Wehrgedankens unter der nationalsozialistischen deutschen Herrschaft wollen weite Kreise des österreichischen Volkes von militärischen Notwendigkeiten wenig wissen. Da ist es Pflicht der verantwortlichen österreichischen Politiker, die Bevölkerung aufzuklären. Sie müssen den Mut und die demokratische Reife aufbringen, dem Volk zu sagen: Das Paradies des ewigen Friedens ist nach 1945 ebensowenig gekommen wie nach 1918. Wir leben in einer Welt voll gefährlicher Spannungen. Ohne andere feste Bürgen müssen wir selbst und allein mit Taten, nicht bloß Worten. Vorsorge treffen für den Schutz unseres Landes, soll nicht unser Wohlstand, ja unser Dasein eines Tages zu Asche werden. Darum müssen wir Opfer bringen für eine wirklich bewaffnete Neutralität zur Bewahrung unseres Friedens und unserer Freiheit.

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