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Bauer, wo stehst du?

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Volkswirtschaftliche Theorien kommen und gehen. Sie werden jedoch oft gefährlich, wenn sie kompromißlos auf das wirtschaftliche Geschehen übertragen oder gar zum Glaubensbekenntnis werden.

Der Liberalismus (Manchesterliberalismus) des vorigen Jahrhunderts ist zwar aus dem wirtschaftlichen Geschehen Europas nicht wegzudenken, da er aber auch Grund und Boden und den Menschen selbst zur bloßen Ware herabdrückte, war seine Überwindung und eine Ablösung durch den Sozialismus zwangsläufig. Aber auch der Sozialismus als Glaubenslehre zeitigte eine Reihe von Fehlzündungen, an der die Menschheit heute noch leidet. Die westliche Welt verdankt ihm aber den Aufstieg des industriellen Arbeiters zum Vollbürger, so daß seine historische Aufgabe erfüllt erscheint.

Und nun “stehen wir an der Schwelle einer neuen wirtschaftlichen Überlegung, der sozialen Marktwirtschaft, die überraschend schnell den Westen erobert. Was ist nun eigentlich die soziale Marktwirtschaft? Am leichtesten wird ihr Wesen verständlich, wenn man der Tatsache Rechnung trägt, daß es bei dem gegenwärtigen technischen Standard leichter ist, Waren ?u produzieren, als Waren zu verkaufen. Eine Ware verkauft sich naturgemäß dann am besten, wenn eine breite Käuferschicht die erforderlichen Mittel zum Kaufen hat. Also ist es falsch, beim Lohnkonto zu

sparen. Laßt die Leute ordentlich verdienen, dann werden sie die Autos, die Kühlschränke sowie die sonstigen Industriegüter kaufen, und die Wirtschaft blüht auf. Jeder Schilling jedoch, der unnütz für Brot, Milch,

Fleisch usw. ausgelegt wird, verringert die Summe, die die breite Masse für industrielle Güter ausgeben kann. Es sind daher sowohl der Arbeiter wie auch der Unternehmer daran interessiert, daß die Lebenshaltungskosten um jeden Preis niedrig gehalten werden. Man komme nicht mit dem Einwand, daß auch die Landwirtschaft Industriegüter konsumiert, und daher die Industriegesellschaft das Bedürfnis haben müßte, die Landwirtschaft kapitalskräftig zu erhalten. Diese Rechnung stimmt nicht, da infolge des geringen Anteils der landwirtschaftlichen Bevölkerung (15 bis 20 Prozent) die an sich richtige Überlegung nicht zum Tragen kommt. Solange man landwirtschaftliche Produkte billiger einführen als im Lande produzieren kann — und das wird noch lange der Fall sein, da der Farmer am Boden Raubbau treibt und die Arbeitskraft in den sogenannten unterentwickelten Ländern unerhört billig ist -, solange besteht bei den Unternehmern und Lohnempfängern der Industriegesellschaft nicht der geringste Wunsch, sich ernstlich um die heimische Landwirtschaft zu kümmern. 80 Prozent der Bevölkerung stehen dank der sozialen Marktwirtschaft den 20 Prozent mehr oder weniger verständnislos, wenn schon nicht ablehnend gegenüber.

Das schlechte Gewissen

Die soziale Marktwirtschaft hat und wird die industrielle Produktion zr

ungeahnten Höhen führen, für die landwirtschaftliche Urproduktion wurde sie jedoch zur Katastrophe. Kein Wunder, denn die.soziale Marktwirtschaft ist dem Grunde nach Liberalismus in neuer Form (Neoliberalismus), und Liberalismus war noch immer für die Landwirtschaft der Niedergang. Die landwirtschaftliche Produktion unterliegt ganz eigenen Grundgesetzen, die nicht willkürlich geändert werden können. Sie ist vor allem eine biologische und keine mechanische Produktion. Wenn der Landwirt über die Produktionsmittel Boden, Arbeitskraft und Kapital verfügt, ist noch lange nicht gesagt, daß er einen bestimmten Ertrag erzielen wird. Damit die Kuh nicht verkalbt und die Saat aufgeht

und gedeiht, braucht man auch den Segen Gottes. Darüber “hinaus ist sie jahreszeitlich gebunden und lang-räumig mit langsamem Kapitalumsatz. Der tatsächliche Ertrag kann rechnerisch nicht vorausbestimmt werden, wie auch eine Umstellung auf einen geänderten Bedarf nur langsam und oft nur teilweise erfolgen kann. Die Mechanisierungsmöglichkeiten sind beschränkt und nicht immer rentabel. Der Großbetrieb verschlechtert die biologischen Wechselbeziehungen und erschöpft die Böden, so daß Tierhaltung und Fruchtwechselfolge unerläßlich bleiben.. Dies hat zur Folge, daß der bäuerliche Mittelbetrieb die höchsten Erträge auf Dauer erzielt.

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