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Vor 50 Jahren, am 13. Februar 1958, starb der Maler Georges Rouault.

Eines seiner letzten Bilder nannte er "Sarah". Trotz reliefartig aufgetragener Farbschichten ist es von leichter und transparenter Reinheit. Mit diesem Bild endet der Weg eines Malers aus der Hässlichkeit der fetten Leiber von Prostituierten zur absoluten Schönheit einer Ikone der Mutter der drei Religionen. Georges Rouault geht diesen Weg mit dem Christus der Passion und prägt ungezählten Bildern das Brandzeichen seines Antlitzes ein.

Rouault gilt als der "katholische Maler" der klassischen Moderne. Seine Christusköpfe sind die Andachtsbilder einer Zeit, in der man Georges Bernanos' "Sonne Satans", Charles Péguys "Mysterium der Hoffnung" und Gertrud von Le Forts "Schweißtuch der Veronika" liest.

Inzwischen ist es um sie alle - und leider auch um Rouault - stiller geworden. Zuletzt konnte man 1993 eine große Personale im Salzburger Rupertinum sehen; heute freut man sich schon, wenn im fünfzigsten Jahr nach seinem Tod (innerhalb der Batliner-Schau in der Albertina) ein winziger Clown zu sehen ist.

Derzeit steht Rouault abseits von allen Blockbuster-Malern. Es sei einfach einmal unterstellt, dass dies mit seiner radikalen Sakralität zu tun hat. Denn an Qualität und malerischer Attraktivität steht er den Lieblingen der klassischen Moderne nicht nach. Allerdings kann man seinen Bildern eines im Menschen mit-leidenden Gottes nichts Modisches abgewinnen. Sie fordern ein Ja oder ein Nein. Zu unserer Einsamkeit, unserer Misere, unserer Hoffnung. Selbst die Frommen haben es vor diesen Bildern nicht leicht.

Rouault, die "Granate"

Rouaults Vater, Bretone und Kunsttischler in der Pariser Klaviermanufaktur Pleyel, hat aus Protest gegen die kirchliche Verurteilung des katholischen Sozialreformers Lamennais seinen Sohn nicht taufen lassen. Georges ist am 27. Mai 1871 im Keller eines Pariser Vorstadthauses zur Welt gekommen, in dem während des letzten Bombardements der Kommune gerade eine Granate eingeschlagen hatte. "Sind alle tot?", soll der Großvater gerufen haben. Darauf die Großmutter: "Nein, es ist einer dazu gekommen!" Aus Spaß nannte man ihn "die Granate".

Dieser Großvater bewunderte die Maler Daumier, Manet und Courbet; er hat dem Enkel den Sinn für Kunst geöffnet. Mit vierzehn lernt der Junge bei einem Glasmaler Kirchenfenster zu restaurieren, hält deren flammende Farben in Händen, dunkles Rot, goldenes Gelb und kühles Ultramarin. Schließlich wird er unter der verständigen Führung des Symbolisten Gustave Moreau zum Maler - neben Henri Matisse und einer Handvoll anderer begabter Mitschüler. Matisse schildert ihn als schmächtigen blassen Burschen mit feuerroten Haaren, der für Rembrandt und Signorelli schwärmt.

Huren und Säuferinnen

Während Matisse sich aus impressionistischen Anfängen ins ornamental Farbige befreit, beginnt für Rouault bald nach der Abnabelung vom Lehrer "eine Reise durch die Hölle" der Huren, Säuferinnen und Zirkusreiterinnen. Anders als Degas und Toulouse-Lautrec stellt er die Welt dieser Frauen radikal in ihrer ganzen abstoßenden Hässlichkeit dar. Er "leidet und weint um Geschöpfe, die so verfallen, wenn sie nicht geliebt werden", wie einer der wenigen Kritiker schrieb, die ihn damals verstanden hatten. Daneben malt er Gerichtssaalszenen mit Richtern, aus deren Gesichtern die Angst spricht, die den Maler "angesichts von Menschen befällt, die beauftragt sind, über andere zu richten".

Rouault gerät in die Konvertitenkreise um Joris-Karl Huysmans, schließt Freundschaft mit dem Ehepaar Maritain und vor allem mit Léon Bloy, der heftigsten und wenig sympathischen Stimme des Renouveau catholique. Kurzschlüssig spricht man auch bald von ihm als dem Léon Bloy der Malerei. Rouault aber bekommt bald dessen Bekenntniswut, hart an der Grenze zum religiösen Wahn, zu spüren. Anlässlich einer Ausstellung seines Triptychons "Dirnen" sagt sich Bloy rüde von ihm los: "Wenn Sie des Gebets, des Glaubens an die Sakramente und des göttlichen Gehorsams fähig wären, könnten Sie keine so schrecklichen Bilder malen!"

Katholisch, nicht kirchlich

Rouault, inzwischen zutiefst vom Glauben an die Erlösung durch den Gekreuzigten durchdrungen, erfährt sich "von sehr gläubigen und respektablen Katholiken" unverstanden, ja abgelehnt. "Sie haben mich", schreibt er, "wo ich Religion am meisten brauchte, in tiefe Verwirrung gestürzt." Er bleibt aber auch von sich aus ein Einzelgänger, der sich nicht in den kirchlichen Dienst nehmen lässt. Das wird sich sein ganzes Leben lang nicht entscheidend ändern. Auch nicht durch einen hohen päpstlichen Orden für den Achtzigjährigen. Dass er 1945 einen Auftrag für Glasfenster der Kirche des "Plateau d'Assy" annimmt, ist nur dem Bemühen des Dominikaners Marie-Alain Couturier zu verdanken, der zur Ausgestaltung dieser Kirche neben Rouault auch Matisse, Braque, Chagall, Léger und Bonnard gewinnen konnte.

Grafik und Gebet

Fünfundzwanzig Jahre lang arbeitete Rouault für den legendären Kunsthändler Ambroise Vollard, der 1914 das ganze Atelier mitsamt den jeweils für fertig erklärten Bildern gekauft hatte. Damit hatten Rouault und seine Familie das finanzielle Auskommen. Bei Vollard studierte Rouault auch seinen Cézanne.

Gleichzeitig bedeutete diese Abhängigkeit aber das Dasein eines Leibeigenen, der nur für seinen Patron zu arbeiten hatte. Immerhin entstand aber unter diesem Druck - und zwischen den beiden Weltkriegen - eines der bedeutendsten grafischen Werke des zwanzigsten Jahrhunderts, der Zyklus "Miserere". 58 Tafeln künden von Tod und Erlösung, und nie ist die Kunst der Radierung dem Gebet so nahe gekommen.

Als der Kunsthändler Vollard 1939 plötzlich starb, existierten im Atelier an die neunhundert unvollendete Werke Rouaults, darunter zahlreiche Ölbilder. Nach langem Rechtsstreit mit den Erben erhielt er 1947 einen Großteil zurück. Diese und spätere unfertige Arbeiten hat die Familie 1962 nach dem Tod des Malers dem französischen Staat geschenkt.

Eine eindrucksvolle Auswahl daraus wird bis zum September 2008 im Centre Pompidou erstmals gezeigt. Diese Würdigung im fünfzigsten Jahr nach dem Tod des Malers ist deswegen sensationell, weil sie seine Arbeitsweise zeigt. Rouault hat immer an einem riesigen Tisch - keiner Staffelei! - und gleichzeitig an verschiedenen Bildern gearbeitet. An manchen sogar ein Jahrzehnt. So hat sich Farbe über Farbe darauf abgelagert.

Von Rouault zu Rothko

Wir wissen, dass Rouault die amerikanischen Maler des abstrakten Expressionismus stark beeinflusst hat. An vielen seiner Bilder wird dies auch für das ungeübte Auge sichtbar. So zeigen de Koonings wilde Frauenbilder oder Mark Rothkos Farbflächen unverkennbaren Einfluss seiner frühen wie späten farblichen Expressionen. Zum Studium Rouaults hatten sie ja in den zahlreichen Ausstellungen in Amerika ausgiebig Gelegenheit.

Clown und Christus

Die dreißiger und frühen vierziger Jahre von Rouaults Malerei sind geprägt vom Antlitz. Dem Antlitz des Clowns, des Pierrot, der Pierrette, von schönen und hoheitsvollen Frauengesichtern - und vor allem vom Antlitz Christi.

Clown und Christus besitzen die gleiche "Herrlichkeit der geschmähten Liebe" (Hans Urs von Balthasar). Heimatlos, schutzlos, ausgesetzt. Ecce Homo. Schon dem Porträt "Alter Clown" von 1917 geht der Kreuzesbalken durch den Kopf.

Picassos Clowns scheinen zu sagen: Vielleicht doch der König? Rouaults Clowns dagegen: Vielleicht doch der liebende Logos, "das Wort"? Andererseits: Sind wir nicht alle Clowns? Wahrscheinlich war Blaise Pascal wichtiger für Rouault als Léon Bloy. Pascal hat geschrieben: "Wir verbergen und verkleiden uns vor uns selber. Wir sind alle Possenreißer."

Abendröte des Christentums

Wie bei Tizian oder Goya erneuert sich Rouaults Malerei noch einmal im letzten Schaffensjahrzehnt. Mitten darin der Gehenkte des Bildes "Homo homini lupus". Über den rauchenden Trümmern des Zweiten Weltkriegs und über der blutroten Sonne ein ausgesparter weißer Fleck: der Morgenstern?

Es entstehen seine "heiligen Landschaften". Abendsonne, ein Weg, ein markanter Kirchturm. Oder das Ufer eines Gewässers, Schiffe, Wolken, Segel. Alles erscheint entfernt, auch die Gestalten. Sind es Jünger, Frauen, Fischer? Man kann nur erkennen, dass sie sich einander zuneigen. Eine von ihnen wird wohl Christus sein. Immer ist es Abend, manchmal auch lichte Nacht.

"Ach, es ist ja nur die Abendröte des Christentums, die ich Ihnen zu zeigen vermag", sagt der väterliche Theologe und Philosoph zu Veronika in Gertrud von Le Forts Roman "Kranz der Engel". Und: "Was ich weiß, ist, dass man noch von einer großen Abendröte leben kann." Georges Rouault ist die große Abendröte einer von Christus durchdrungenen Kunst. Ob und was für ein Morgen kommen wird, wissen wir nicht.

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