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WOHIN MIT DEN SCHÄTZEN?

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Im Stiegenhaus der Neuen Hofburg, dessen Eingang unter jenem Balkon liegt, der in der Geschichte Österreichs eine so unglückselige Rolle spielte, waren während der Sommermonate „provisorisch“ die Bilder und Plastiken der „Neuen Galerie des Kunsthistorischen Museums Wien“ ausgestellt, die hoffentlich bald eine bleibende Statt finden werden! Die Geschichte dieser Sammlung ist zum Teil eine Geschichte voll Kalamitäten, die sowohl den Aufbau wie die Unterbringung betreffen. Es ist eine bedeutende Sammlung, in manchem der „Neuen Galerie“ in Prag ebenbürtig, wenn nicht überlegen — was das 19. Jahrhundert betrifft —, in manchem unterlegen. Von ihrem wechselvollen Schicksal berichtet der Katalog mit echter Anteilnahme. — Wie sie sich in ihrem Provisorium präsentierte, umfaßt sie die Kunst des 19. und des beginnenden 20. Jahrhunderts in Deutschland, Frankreich, Belgien, der Schweiz und den Ländern der ehemaligen Monarchie.

Daß das 19. Jahrhundert vor allem eine große Zeit der französischen Kunst war, ist bekannt. Die französische Malerei schuf in enger Verbindung mit der Tradition einerseits die Grundbedingungen eines Cėzanne und damit die Voraussetzungen für Picasso, anderseits, in der Revolution des Impressionismus, der auf der Freilichtmalerei fußte, die Möglichkeit zur Auflösung der Form. In ihr liegen die Wurzeln der „modernen“ Kunst begründet. — In der „Neuen Galerie“ repräsentiert Corot (1796 bis 1875) die Entwicklung der Tradition, die zur Freilichtmalerei führte (immer wieder ungenau als „Frühimpressionismus“ bezeichnet), mit der hübschen kleinen Skizze des „Nemisees“ und dem „Bildnis einer jungen Frau“, das allerdings nicht zu seinen besten Figurenbildern gehört. Auch die beiden großen „Waldränder“ — außer Katalog — sind bei aller atmosphärischen Dichte nicht als Quintessenz Corotscher Größe zu bezeichnen. Hier hat Prag bessere Bilder. Der „Trompeter“ hingegen von Gėricault (1791 bis 1824) ist in seiner plastischen Eindringlichkeit ein äußerst wesentliches Bild des so jung verstorbenen Meisters, ebenso wie das „Blumenstilleben“ von Delacroix ein großartiges Beispiel der auf den „Rubenisten“ fußenden Virtuosität dieses Malers darstellt. Dieses Stilleben und die Skizze für die Fresken von St. Sulpice „Jakob ringt mit dem Engel“ sind zwei Höhepunkte der Ausstellung. Von den Freilichtmalern der Schule von Barbizon ist Diaz (1808 bis 1876) mit einer sehr Courbet ähnlichen „Stürmischen See“ und einem für ihn recht typischen „Waldinneren“ (eine wesentliche Neuerwerbung) vertreten. Auch das Selbstbildnis Millets (1814 bis 1875) ist eine wichtige neue Aquisition. Seine „Ebene von Chailly“ stellt ein Hauptwerk dieses seit geraumer Zeit wieder unterschätzten und mißverstandenen großen Malers dar. Die beiden Landschaften von Courbet (1819 bis 1877) sind schöne Beispiele seines poetischen Realismus, während das „Mädchenbildnis“ bei aller plastischen Eindringlichkeit unter zu uniformer warmer Farbigkeit leidet und „Der Verwundete“ Ribera verwandte Malerei und zu sentimentales Pathos in einer ungelösten Komposition verbindet. Ribera war auch Thėodule Ribot (1823 bis 1891) verpflichtet, dessen „Junger Hirte“ eine eindringliche Leistung darstellt. Daubigny (1817 bis 1878), ebenfalls ein „Barbizonist“, ‘ist mit einer fein empfundenen „Auland- schaft“ vertreten, deren Raumauflösung bereits in den Bereich des Impressionismus gehört. Daumier (1810 bis 1879) ist mit seinem „Sancho Pansa“ zwar sehr bezeichnend, aber nicht ganz hervorragend repräsentiert.

Von Manet (1832 bis 1883) besitzt die „Neue Galerie“ heute nur noch ein Pastell, das recht reizvolle — aber unvollendete oder beschädigte? — „Damenbildnis“. Der Verkauf des großen Manets „Der alte Spielmann“ wird immer ein dunkler Punkt in der Geschichte der Galerie bleiben. Degas (1834 bis 1917) „Harlekin und Columbine“ ist eines der Juwelen der Ausstellung, wie seine kleine Bronze der „Femme sortant du bain“. Von Monet (1840 bis 1926) sind in erster Linie die „Fischer“ hervorzuheben, dann der „Gartenweg“, während ”üer Koch“ eine interessante, aber keineswegs erstrangige Leistung darstellt. Renoirs später Akt ist trotz aller por- zellanernen Glätte ein Meisterwerk, ebenso wie seine Plastik der „Venus Victrix“. Mit der anderen Plastik „Maternitė“ und "dem früheren Akt zusammen ist er ausgezeichnet repräsentiert. Von Cėzanne (1839 bis 1906) besitzen wir leider nur ein in Größe und Durchführung allerdings einzigartiges Aquarell, ein Stilleben, Gauguin, Lautrec und Seurat fehlen ebenso wie Sisley. Eine bedeutende Neuerwerbung ist das Selbstbildnis von van Gogh (1853 bis 1890), während seine schöne „Landschaft von Auvers“ im Laufe der Zeit ebenso gelitten zu haben scheint wie die restaurierten Breughels des Kunsthistorischen Museums. Pissarros (1831 bis 1903) „Straße“ ist ein gutes Bild des Meisters.

Die deutsche Malerei des 19. Jahrhunderts hatte der französischen nichts Ebenbürtiges an die Seite zu stellen. Sie ist in dieser Sammlung sehr zahlreich und oft nicht sehr glücklich enthalten. Blechens „Große Marine auf Capri“ und das „Forum Romanum“ sowie die Bilder Caspar David Friedrichs sind recht eindringliche Beispiele der deutschen Romantik, ebenso wie Schirmers „Landschaftsstudie1. Der Eklektizismus Böcklins aber ist nur im Lenbach-Bildnis, nicht in seiner blechernen Maschinerie der Meeresgeschöpfe erträglich, ebensowenig wie die leeren Draperien Anselm von Feuerbachs, dessen „Bildnis der Mutter“ heute sehr überschätzt wirkt, ebenso wie das „Selbstbildnis“ den Ankauf eines zweiten Selbstbildnisses als zumindest überflüssig erscheinen läßt. Die Bilder von Adolf Menzel gehören nicht zu seinen Glanzleistungen, die etwa im „Balkonzimmer , im „Bauplatz“ und im „Theätre du Gymnase“ zu suchen sind, während Marėes nicht mit Hauptwerken, aber doch sehr eindringlich aufscheint. Das trifft auf Leibi (1844 bis 1900) nur bedingt zu. Schön sind seine Skizzen, in denen sich noch malerisches Temperament ausspricht, peinlich jedoch die Studien, in denen mißverstandene Tradition schon Sepp Hilz vorwegnimmt, und unbefriedigend das „Bildnis der Gräfin Treuberg“. Auch von Max Liebermann (1847 bis 1935) überzeugt ganz nur der „Spitalgarten in Edam“, schon weniger der „Jäger in den Dünen“, und das „Bildnis der Tochter“ ist schwache und flache Malerei, wie die meisten Bilder Slevogts, von denen nur das „Terrassensouper“ ausgenommen werden kann. Diese Malerei war — ohne Theorie und ungenügend differenziert — wohl Plainairismus, aber nie Impressionismus und ohne Kenntnis der plastischen Form, selbst der dekorativen Form, die von den Franzosen noch geachtet wurde. Ein Prototyp der Vulgarität ist Max Klingers „Paris- Urteil“, dessen prominente Aufstellung in der Ausstellung hoffentlich nur einer Raumfrage, nicht einer Wertschätzung zu verdanken ist und das ungeachtet aller Modefragen, die den „art nouveau“ heute hochgespielt haben, möglichst bald wieder ins Depot verschwinden sollte. Der Ankauf des Bildes von Franz von Stuck „Verirrt“ (im Jahre 1959!) ist, bei unseren kargen Mitteln, ebenso unerklärlich wie der des Repräsentationsbildes von Munkacsy „Kaiser Franz Joseph in ungarischer Husarenuniform“ (1956!), da das eine ein malerischer Tiefpunkt wie das andere ist, das eine „Jugendkitsch“, das andere grobschlächtig schlechte „Bildnismalerei“ par excellence.

Corinth (1858 bis 1925) ist mit zwei Landschaften, „Der Herzogstand am Walchensee“ und der „Tirolerlandschaft mit Brücke“, elementar da. Weniger mit dem immer wieder überschätzen verblasenen „Bildnis Eulenberg“ und schon gar nicht mit seinen anderen Bildern, die leider von vulgärer Geschmacklosigkeit und Mache sind. Ferdinand Hodlers „Bewunderung“ ist eine sehr dünne, aber typische Kreation dieses keineswegs genialen Dekorateurs, während Adolf Hoeizels „Weiden“ nicht nur entwicklungsgeschichtlich interessant sind. Ob der Ankauf des Bildes von Fernand Khnopff (1895 bis 1921) „Stilles Wasser“ zum heutigen Bestand der Sammlung notwendig war, ist zumindest fragwürdig. Wie seine Plastik, hat es keinerlei besondere künstlerische Bedeutung, ebensowenig wie Leistikows „Dänische Landschaft mit Villa“. Munch (1863 bis 1944) ist wesentlich und stark repräsentiert. Vor allem mit der „Meereslandschaft“ und dem „Park in Kosen“, gegen die die „Männer am Meer“ und das „Doppelbildnis“ abfallen oder — wie bei letzterem Bild — Stilbrüche aufweisen. Ensors „Stilleben mit gerupftem Huhn“ ist ein bedeutendes Stück Malerei, weniger seine phantastische Etüde, die mehr phänomenologischen und pathologischen Charakter besitzt. Trübner und Uhde, einst über die Maßen geschätzt, wirken heute nur noch als Produkte der provinziellen Münchner Schule. Thomas „Mainlandschaft“ hat hingegen erstaunliche Qualitäten. Der spanische Eklektiker Zuloaga — der immerhin Greco sammelte — ist mit einem Bildnis, Segantini mit einer unglücklichen Komposition, die Altösterreicher Navratil und Michalowski sind mit recht interessanten Leistungen zu sehen. In der Plastik ist vor allem der große Maülol (1861 bis 1944) hervorzuheben — ein Hauptwerk der Ausstellung, dann Rodins „Eva“, jedoch weniger sein „Mahler“ und „Rochefort“. Von Jan Stursa — der keineswegs „als der bedeutendste moderne Bildhauer der CSSR“ gilt — besitzen wir eine „Pubertät“, von Renėe Sintenis einen karikaturativen „Ringelnatz“ und ein schwaches „Selbstbildnis“, von Hermann Haller einen ebenso schwachen „Abessinischen Knaben“, von Emst Barlach ein Porzellanbildnis (!) der „Tilla Durieux“, von Erneste de Fiori das „Dempsey-Porträt“ und von Hildebrandt die wichtige Büste „Hans Thomas“. Constantin Meunier und Ivan Mestrovic sind ebenso repräsentiert wie Georges Minne.

Bei allen Schwächen und Lücken — deren Ursachen auf einem anderen Blatt zu verzeichnen wären — sind in dieser Sammlung doch viele und schöne Schätze zu finden. Es erscheint beinahe unglaublich, daß sie, sieht man von einer kurzen Teilausstellung vor Jahren in der Akademie der bildenden Künste und Ausstellungen in einigen Landeshauptstädten ab, einundzwanzig Jahre nicht zu sehen war. Auch daß sie heuer noch keine Heimstatt gefunden hat — eine Sammlung von internationaler Bedeutung, deren Existenz und Evidenz vor allem auch für die studierende Jugend so wichtig ist!

Für sie nicht schleunigst eine endgültige Aufstellung zu finden, kann sich kein Kulturstaat leisten. Österreich kann es anscheinend. Kann es das wirklich?

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