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Moderne englische Malerei

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Wenn die wirtschaftliche Ankurbelung im gleichen Tempo vor sich ginge wie der kulturelle Wiederaufbau unseres schwer geprüften Landes, könnten wir zufrieden sein. Die Festspiele und Festwochen in den verschiedenen Hauptstädten der Bundesländer erweckten nicht allein in Österreich Interesse, vor allem aber können wir auf dem Sektor der bildenden Kunst Veranstaltungen verzeichnen, die wahrhaft repräsentativen Charakter tragen und den Beweis erbringen, daß in den Kulturzentren Europas auf künstlerische und kulturelle Beziehungen zu Österreich größtes Gewicht gelegt,wird.

Nach dem Ereignis des „Salon d'automne“, dieser imponierenden Schau französischer Gegenwartskunst, hat nunmehr die künstlerisch interessierte Öffentlichkeit Wiens Gelegenheit, einen Uberblick über das moderne Kunstschaffen Englands zu gewinnen, das in einer prachtvollen Auslese der berühmten Londoner „Täte Gallery“ gegeben wird. Man muß dem British Council, der sich bereits so große Verdienste um die Vertiefung der kulturellen Beziehungen zwischen England und Österreich erworben hat, wärmstens dafür danken, daß er diese sehenswerte Ausstellung ermöglicht hat, die am 7. dieses Monats in feierlicher Weise eröffnet wurde.

Mary C h a m o t hat vor kurzem in diesem Blatte über die Eigenart der englischen Malerei geschrieben und dabei auf eine Reihe von Künstlern hingewiesen, deren Werke nunmehr gezeigt werden. Unter den 124 Bildern dieser Ausstellung sind sehr deutlich einige Gruppen von Malern zu unterscheiden. Es sind dies die mehr konservativ eingestellten Impressionisten, die impressionistischen Romantiker und die Surrealisten, aus deren Werken 'die Furchtbarkeit des jüngst beendeten Völkcrmordens am stärksten zu uns spricht.

Im allgemeinen ist der Grundcharakter der englischen Malerei stark unterschieden von dem der französischen Malerei, obwohl die modernen Kunstströmungen in England immer wieder durch die letztere ihre stärksten Impulse erhalten haben Aber wie si.n, durch die insulare Lage bedingt, auch durch die klimatischen Verhältnisse beeinflußt, ei.i ganz eigenartiger Volkscharakter entwickelt hat, der infolge der gewaltigen Größe des britischen Imperiums auch an Weltaufgeschlossenheit und Weitblick gewonnen hat, so zeichnet sich auch die englische Malerei durch eine gewisse Gedämpftheit der farbigen Palette, durch innerliche Ruhe und durch ein in gewisser Hinsicht „über den Dingen Stehen“ aus.

Es ist ein großer Genuß, durch diese / us-stellungsräume zu wandern und das künstlerische Fluidum der Bilder auf sich wirken zu lassen. Zur älteren Generation der ausstellenden Künstler gehört Ph. W. S t e e r, ein Landschafter von feinster farbiger Stimmung und ein Porträtist, der Gainsborough zu seinen künstlerischen Ahnen zähk. Sein „Bildnis der Mrs. Cyprian Wilhams“ gehört zu den kultiviertesten Arbeiten dieser Sc' au. Als Bildnismalcr von hervorragendem Können, der sich bewußt gegen die modernen Strömungen seiner Zeit stellte, ist Augunus John mit einigen Porträts, die technisch und künstlerisch vollendet sind, zu nennen. Namentlich ein Jungmännerbildnis prä?t sich dem Gedächtnis cn.

Als Dramatiker der Malerei fällt James

Pry'de auf, dessen Tätigkeit als Schauspieler nicht ohne Einfluß auf seine Kunst geblieben ist. Sein großes Werk „Das Grab“ wirkt wie eine großangelegte Bühnenszene. Ein feiner Sinn für Farbe eignet Sir William Nicholson, dessen französische Schule deutlich erkennbar ist. Sein Stilleben „Champignons“ ist ein kleines koloristisches Meisterwerk. Als feinfühlige Porträtistin erweist sich Gwen John, die Schwester von Augu-stus John, in einem noblen Selbstbildnis. Vom französischen Impressionismus ist Sir William Rothenstein, beeinflußt, entwickelt sich aber später zum Romantiker. Seine Bildkomposition „Die Prinzessin Ba.'rul-badur“, in der Farbengebung zuweilen an die großen Niederländer gemahnend, ist ein Werk von starker Eigenart und großer malerischer Kultiviertheit.

W. R. Sickert ist neben Steer wohl der einflußreichste und bedeutendste unter den britischen Impressionisten. Dies zeigt sich nicht nur in dem bezwingenden Porträt „George Moores“, sondern auch in seinen englischen und venezianischen Landschaften. Die Eigentümlichkeit seiner früheren Manier verrät sich in dem stimmungsvollen Interieur aus der Markuskirche in Venedig, wie er ja überhaupt in seiner Frühzeit düstere Interieurs und finstere Gassen und Plätze bevorzugte.

Eine künstlerische Persönlichkeit von ganz eigenartiger Prägung stellt Starley Spencer dar. Seine religiösen Bilder, die von merkwürdiger visionärer Phantastik erfüllt sind, werden in der Aussteilung durch die ganz seltsame, aber sehr wirkungsv ille „Kreuztragung Christi“ vertreten, die sich vollkommen von allem Herkömmlichen entfernt, aber durch die Intensität der Empfindung überrascht.' Charakteristisch für seine Kompositionsart ist das Bild „Ricketts-Farm in Cookham Dene“ mit den brillant gemalten Schweinekobeln. Jedes Gebäude, jede Pflanze und jedes Tier scheint hier ein Eigenleben zu führen. Der Namensvetter dieses Künstlers, Frederick Gore Spencer, steht stark unter dem Einfluß des französischen Nachimpressionismus. Sehr fein ist sein Bild „Mornington Crescent“, eine Gartenlandschaft von schöner farbiger Stimmung.

Starke Eigenart offenbart sich in den Arbeiten Edward B u r r a s. Er liebt als Aquarellist die großen Formate, wobei er eine ganz seltsame Phantastik bevorzugt, die sich besonders in der grotesken Komposition „Soldaten“ offenbart, einem „Danse macabre“, in dem die pessimistische Weltanschauung dieses Künstlers zu wirkungsvoller Geltung kommt.

Gauguin, Van Gogh und Cezanne gehören zu den künstlerischen Paten H. Gilmans und Ch. G i n n e r s, deren Palette durch diese Vorbilder leuchtender wurde, aber doch die typisch britische Dämpfung aufweist. Gilmans Bildnis seiner „Mutter“ beweist dies unverkennbar. Zu dieser Gruppe gehört auch J. D. Inn es, der sich aber weit schärfer als die vorher Genannten vom Impressionismus losgelöst hat und in seinen lyrisch empfundenen Landschaften aus Nord-Wales sich zu starker Stimmung steigert. So bildet er ein Gegenstück zu L. P i s s a r o, dessen frische impressionistischen Landchaften durch eine besonders starke Einfühlung in Licht und Atmosphäre Englands ausgezeichnet sind.

Recht eindrucksvoll ist der britische Surrealismus in dieser Ausstellung vertreten, der durch das Kriegserlebnis seine eigene Prägung erfahren hat. Wadsworth und H i 11 i e r sind wohl die stärksten Vertreter dieser Richtung, die durch die peinlich genaue Wiedergabe jeder gegenständlichen Einzelheit gekennzeichnet ist. Sehr zahlreich sind die Arbeiten der surrealistischen Künstler, die aus dem Geschehen des letzten Weltkrieges geschöpft sind und in ihrer Gesamtheit ein eindrucksvolles Bild der furchtbaren Zerstörungen und des grausigen Erlebnisses dieses gigantischen Völkerringens geben. Aber auch in ihnen spricht sich die britische Eigenart aus, die, etwa im Gegensatz zur französischen Kriegsmalerei und -graphik, eine sachlich-kühle Note aufweist und auch im Furioso kriegerischen Geschehens über den Dingen zu stehen scheint. John Armstrong, Bawden, A. Groß, Henry Moore, dessen im Kriege entstandenen Bunkerszenen all das Grauen dieser Zeit heraufbeschwören, A. R i c h a r d s, E. R a-v i 1 i o u s und Graham S u t he r 1 a n d, der seinem ganzen Charakter nach Surrealist ist, sich aber von innerer Phantastik mitreißen läßt, gehören zu den einprägsamen Schilderern des zweiten Weltkrieges.

In manchen Malern dieser Ausstellung, wie bei John P i'p e r, läßt sich eine deutliche Rückkehr zur romantischen Malerei des beginnenden 19. Jahrhunderts feststellen, wie ja überhaupt die Romantik die Kunstrichtung ist, die immer und immer wieder nach Zeiten abstrakt betonter Malerei zu neuem Leben erwacht.

Wenn noch auf die bemerkenswerten Bilder von Gertler, Grant, John und Paul Nash, Tunhard, diesem Meister gegenstandsfreier Kompositionen, Ethel Walker und Wood hingewiesen wird, ist wohl das Bemerkenswerteste dieser interesssanten

Bilderschau angeführt worden, ohne daß damit eine wirklich erschöpfende Würdigung gegeben werden konnte. Jedenfalls aber sollte es kein Kunstfreund verabsäumen, diese Auslese britischer Gegenwartskunst durch eigenen Augenschein auf sich wirken, zu lassen. Österreichs Künstlerschaft, namentlich die jungen Maler, können daraus viel lernen und wertvolle Anregungen gewinnen.

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