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Kunst, Reklame, Renommee ...

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Das künstlerisch bedeutendste Ereignis des heurigen Salzburger Festspielsommers — und für die anspruchsvolleren Gäste wohl auch das interessanteste — war der Ballettabend zu Strawinskys SO. Geburtstag. Zwar war er nur zum Teil „Eigenbau“ (im Orchester saßen die Wiener Philharmoniker, ein Kammerchor der Salzburger Festspiele und eine Reihe von Solisten: Sänger und Pianisten); aber darauf kommt es weniger an als auf den internationalen Rang einer Veranstaltung. Und dieser kann dem Abend des „Ballett du X X - i emes i ic 1 e“ vom Theätre Royal de laMonnaie, B r u x e 11 e s, ohne Vorbehalt zuerkannt werden.

Extra für die Salzburger Festspiele hat Maurice B i j a r t, der Leiter und Choreograph der Brüsseler Balletttruppe, Stra-winskys „Russische Tanzszenen mit Gesang und Musik“ mit dem Titel „L e s N o-ces“ inszeniert und einstudiert. Das Originellste riff'dieser'lÄen, “äe^äurS|rllirg*'-liehen Libretto nur wenig verpflichteten* Choreographie, war die Einführung zweier Gestalten, die durch ihr Tänzertrikot vom übrigen (kostümierten) Ensemble abstachen und die „Gedanken“ des Bräutigams und der Braut symbolisieren, um die sich diese ganze folkloristische Zeremonie dreht. Neuartig und phantasievoll auch die Dekorationen und Kostüme von Joelle R o u s t a n und Roger B e r n a r d, die von einem Prunk und einer Farbenpracht waren, die aus der „Bauernhoch-reit“ eher eine „Nobelhochzeit“ machten. Aber man läßt sich das gerne gefallen, wenn alles so bezaubernd und einfallsreich realisiert ist, wie von Bejart und seinen Helfern, und wenn für die Hauptpartien so bildschöne und virtuose Solotänzer zur Verfügung stehen, wie Duska S i f n o i s und Jörg L a n n e r.

Das Glanzstück aus Bejarts Repertoire, „Le Sacre du Printemps“, haben wir anläßlich eines Gastspiels der Brüsseler bereits an der Wiener Staatsoper gesehen und an dieser Stelle ausführlich gewürdigt. Diese ebenso eigenwillige wie kühne und gekonnte Deutung der Stra-winskyschen Musik gewinnt bei der zweiten Begegnung sehr. Was man, in den Massenszenen zu Beginn dieses Balletts, zunächst als ein wenig zu gymnastisch (Bodenturnen I) empfand, enthüllt beim Wiedersehen (und bei genauer Überlegung) seine elementare Kraft, zumal jeder einzelne Tänzer unter Hochspannung arbeitet und diese Intensität auch ins Parkett ausgestrahlt wird. Hier waren Tania Bari und Germinal C a s a d o, als Erwählte und Erwählter, die Hauptakteure, von denen fast Übermenschliches verlangt wird. — In dem spärlichen Bühnenbild feilen lediglich die männlichen und weiblichen Symbole im Stile Henry Moores auf. Sonst bleibt — optisch — alles mehr oder weniger grau in grau. Aller Glanz, alles Feuer und alle Spannung kommen aus der Aktion und — aus der Musik Strawinskys, in der sich Elementares und Raffiniertes in einzigartiger, kaum wiederholbarer Synthese verbinden. Der französische Komponist Pierre Boulez dirigierte diese rhythmisch hochkomplizierte Musik mit souveräner Sicherheit und einem minimalen Aufwand an Gesten.

Ein großer, festlicher Abend vor einem großteils aus Kennern und Liebhabern bestehenden Publikum, glanzvoll und festlich, trotz der etwas spärlichen Stimmen, die bei „Les Noces“ aus dem Orchesterraum kamen, festlich trotz des hierfür wenig geeigneten alten Hauses. (Warum man wohl der Bejart-Truppe nicht das neue Haus zur Verfügung gestellt hat? Aber dort mußten ja Orchesterkonzerte und, ä tout prix, der „Troubadour“ stattfinden...)

In der Felsenreitschule sah man mit Respekt die von Günther Rentiert neuinszenierte „Iphigenie in A u I i s“ von Gluck, mit Karl Böhm am Pult und Inge Borkh, Christa Ludwig, James King und Otto Edelmann in den Hauptrollen. Es ist dies eine der letzten Ausstattungen Caspar N e h e r s in seinen bekannten Nobelfarben Rostrot, Mattgold und Altsilber. Nehers allerletzte Bühnenbilder und Kostüme wird man im Lauf der nächsten Spielzeit in Köln sehen können, wo sein Assistent die noch von Neher entworfenen Skizzen zu Schillers „Räubern“ und Büchners „Woyzek“ ausführen wird...

Alä eine echte Attraktion für Einheimische und Ausländer, jung und alt, erweist sich, ebenfalls in der Felsenreitschule, Raimunds Originalzaubermärchen mit Gesang „Der Bauer als Millionär“ in der Inszenierung Rudolf Steinboecks. „Leider verstehe ich den Text nicht“, sagte in der Pause ein junger Herr aus einer Gruppe französischer Festspielbesucher. „Aber es ist ein Meisterwerk, ein unvergleichliches Meisterwerk!“ belehrte ihn in seiner Muttersprache“ temperamentvoll eine junge Dame — und meinte damit wohl auch die phantastischen und reizvollen Dekorationen Lois E g g s, die schönen Kostüme Erni Knieperts und die ganz ausgezeichnet zu dem Stück passende Bühnenmusik Paul Angerers.

Die vielen auswärtigen Gäste... Salzburg kann sich nicht beklagen, von Depression ist keine Spur, eher von Hochkonjunktur — bei etwa 98 Prozent ausverkauften Veranstaltungen. Dabei macht Salzburg keine Reklame, vergibt keine bezahlten Inserate und gehört nicht der Internationalen Vereinigung der europäischen Festspiele an. Aber es hatte im vergangenen Jahr fast 900 in- und ausländische Journalisten zu Gast, die für Salzburg Reklame gemacht haben. Heuer sind es „nur“ 700, und das gut funktionierende Pressebüro hat alle Hände voll zu tun. Es mußte eine ganze Anzahl von Interessenten abweisen, da der Rechnungshof das Kontingent an Pressekarten um etwa zehn Prozent gekürzt hat. Ob das wohlgetan und am rechten Ort gespart war? Denn schließlich gibt es keine billigere Propaganda für Salzburg als einen Zeitungsartikel ta den „Colorado News“ oder im „Wunsiedler Boten“: Gegenleistung für eine Pressefreikarte zur einen oder anderen Aufführung. — Noch profitiert Salzburg von seinem Renommee, noch herrscht Hochkonjunktur auf allen Gebieten — aber es können einmal andere Zeiten kommen, und da ist es gut, sich nicht auf den „Mir-san-mir“-Standpunkt zu stellen...

Wie weit sich Salzburg auch in Zukunft behaupten wird, ist vor allem aber eine Frage seiner geistigen und.künst-lerischen Potenz. Gewiß sind mit dem „Kulinarischen“, das gegenwärtig dominiert, die Bedürfnisse und Erwartungen eines Großteils des Festspielpublikums zu befriedigen. Aber es gibt doch zu denken, wenn man beobachtet, um was sich die Gespräche, etwa im Cafe Bazar, hauptsächlich drehen: Ob der italienische Tenor Corelli an einer bestimmten Stelle des „Troubadour“ ein hohes C oder nur ein H singen wird, ob bei seiner nächsten Sitzung das Kuratorium den Leiter der Bundestheaterverwaltung ausbooten und an seiner Stelle Karajan berufen wird (man hat ihn inzwischen berufen, wie man weiß)... Und die wohl interessanteste und bedeutendste, gegenwärtig in Salzburg weilende Persönlichkeit, der Komponist Alexander Tscherepnin (der am Mozarteum einen Kompositionskurs leitet) bleibt so gut wie unbeachtet. — Nirgends ein Bild des Autors der Oper nach Hofmannsthals „Die Hochzeit der Sobeide“, keine Zeit für ein Interview mit dem in Amerika lebenden Komponisten russischer Abstammung, deT übrigens der Träger eines weltbekannten Musikernamens ist. Man hat Wichtigeres zu tun und zu verhandeln, macht sich Sorgen, daß die Berliner Philharmoniker allzu oft nach Salzburg kommen, bringt einen zwei Seiten langen, illustrierten Bericht von einem Besuch in Karajans Salzburger Domizil, vermerkt, daß er — und mit wem — in seinem neuen Porsche-Rennwagen „mit 170 Sachen“ (!) zum und vom Flugplatz rast — und spricht jetzt schon von einem Salzburger „Boris“ für 1964. Da werden sich die deutschen, französischen, amerikanischen und holländischen Festspielbesucher aber freuen! Und Hofmannsthal, Reinhardt und Strauß auch, wenn sie herunterschauen auf das Treiben...

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