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Grobe Symphonie und reihe

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Das erste Konzert im Zyklus „Die große Symphonie“ leitete Sir Malcolm S a r g e n t, der ständige Dirigent der populären Londoner Promenadenkonzerte. Er hatte die „Fantasie über ein Thema von Thomas Tallis“ seines Landsmannes Ralph Vaugham Williams (1872—1958) und die Wassermusik des Wahlengländers Georg Friedrich Händel auf sein Programm gesetzt, dazwischen spielte Ania Dorfmann Mozarts Klavierkonzert Es-dur. Dieser erste Teil verlief ein wenig spannungslos, vor allem infolge der unpersönlichen und kraftlosen Interpretation des Soloparts in einem Klavierkonzert, das ein Höhepunkt des Programms hätte sein können. — Halten wir uns also an den zweiten Teil des langen Abends: Dimitri Schostakowitschs 1. Symphonie, die 1926 in Leningrad uraufgeführt wurde und einen Neunzehnjährigen zum Autor hat. Dieses halbstündige Stück ist ein Geniestreich durch die Originalität, wie eine traditionelle Form mit neuem Leben erfüllt wird, durch die Phantasie, den Geist und das völlig sentimentfreie, unpathetische Gefühl, nicht zuletzt durch eine virtuose Orchesterbehandlung, die diesem Wunderkind gewissermaßen in die Wiege gelegt worden ist. Dabei erweist sich diese Musik fast völlig frei von zeitgenössischen Anklängen. Da und dort denkt man an Mahler, aber ob der junge Schosta-kowitsch dessen Werke damals überhaupt schon gekannt hat? (Später hat er sie genau studiert und schätzen gelernt.) Dieses Werk war auch, was die Interpretation durch dieWienerSymphoniker betrifft, das Glanzstück des Konzertes und erhielt lebhaften Beifall.

Auch im 1. Kammerkonzert des Ensembles „die reihe“ stand das interessanteste und stärkste neue Werk am Schluß; Edgar Vareses „Ionisation“ für 13 Schlagwerker. das 1931 entstanden ist und seither manchen Skandal ausgelöst hat. Die beiden heulenden Sirenen muten ein wenig antiquiert an, aber aus dem Schlagwerkarsenal holt Varese (geboren 1885 in Paris, seit 1916 in den USA) auch heute noch erstaunliche Wirkungen heraus, deren stärkste gegen Ende des Fünfminutenstückes erzielt wird, wenn Röhrenglocken, Klavier und Xylophon mit ein paar gewaltigen Akkorden die Geräuschsymphonie beschließen. — Mit den „Strophe n“ von 1959 schuf der 1933 geborene polnische Avantgardist Krysztof Pendericki ein typisches Nachholwerk: eine dünne, punktuelle Musik für zehn Instrumente, Sopran und Sprechstimme auf große Texte der Weltliteratur, die in der Ursprache (Griechisch, Hebräisch und Persisch) vorgetragen werden. „Pütra^L*“ heiUt-sdas Experiment von I. o.go t h. et i s, „die menschliche Entscheidi heif1'wieder'!fl'S'Sp'!?l''2i] bringen, wobei “bis''zu i gewissen Grade Komponist und Interpret identifiziert werden“. Was man hier zu hören bekommt, ist nicht uninteressant, aber völlig unkontrollierbar. — Um so klarer erkannte man in Debussys Sonate für Flöte, Bratsche und Harfe aus dem Jahre 1916 und in Ravel* Mallarme-Liedern (die Marie Therese Escribano sang) Meisterwerke der impressionistischen Musik, während die vier von Ivan Eröd vorgetragenen Etüden Debussys sich als etwas schwächer erwiesen. (Dirigent des instruktiven Konzerts war Friedrich Cerha.)

Im Mozartsaal des Konzerthauses unternahmen Irmgard S e e f r i e d und Oskar Werner den Versuch, das gesprochene Wort und das gesungene gegenüberzustellen. In der ersten Abteilung wurden Gedichte von Heinrich Heine neben Lieder von Schumann, in der zweiten Verse von Mörike neben Lieder von Hugo Wolf gestellt — und zwar verschiedene Dichtungen, in der Ideenführung und der gedanklichen Zuordnung wohlabgewogen. Der Versuch hat sich gelohnt. Die feine Charakterisierungskunst der Sängerin fand ein interessantes Ebenbild in der Rezitation des Burgschauspielers. Die Verwandtschaft des inneren Wortklanges wurde deutlich offenbar, deutlich aber auch die große Kunst der Komponisten, diesem Wortklang nachzuspüren.

Die Geigerin Ella K a s t & 1 i z leitete ihr Programm im Brahms-Saal mit dem spanisch-zigeunerisch gefärbten Stück „Romanmichels“ von Max d'O Hone ein und beschloß den Abend mit einer ausgefeilten Interpretation der A-dur-Sonate von Cesar F r a n c k, das Ginette Neveu in ihrem letzten Wiener Konzert, kurz bevor sie bei einem Flugzeugunglück den Tod fand, gespielt hat. Es war daher sinnvoll, in die Mitte das Werk eines heimischen Zeitgenossen zu stellen, die „Fantasiesonate in memoriam Ginette Neveu“ von Fritz S k o r z e n y, ein gefühlvolles, reich verzweigtes und formal originell, aus dem Wesen der Geige heraus geschriebenes Stück.

Edith P e i n e m a n n, die gemeinsam mit lörg Demus im Mozart-Saal zu hören war. spielte ebenfalls die Franck-Sonate — in der Gesamthaltung etwas kühler und mit Distanz, aber mit bestechendem technischem Können. Hier und bei einer Mozart-Sonate war Jörg D e m u s der Geigerin ein trefflicher, einfühlsamer uegleiter.

Glanzpunkt des letzten Abends unseres Konzerthausquartetts war unleugbar das Quintett in F (zweite Viola Helmuth Weis) von Bruckner ; weniger war der Wiedergabe des Streichquartetts in F, op. 18/3, von Beethoven abzugewinnen, hier waltete zuviel Routine. Die Herren des M u s i k v e r e i n s-quartetts boten neben Werken von Cherbuini und Dvorak eines ihrer bekannten Paradestücke, Ravels F-dur-Opus, und ernteten starken Beifall.

Von den zahlreichen Pianistenabenden, die nachgerade zur Regel des allgemeinen Konzertprogramms, nicht immer zu seinem Wohl werden, rangieren jener von Hans Nast und Alfred Brendel weit vor jenen, die Tiny Kaiser und Sir Francis Cassel gaben. Nast begann zwar unsicher mit den Bagatellen von Beethoven, erreichte aber später mit dem Opus 10 des Meisters ereignishaften Zug. Brendel, der heuer einen Beethoven-Zyklus veranstaltet, hat vor die beherrschte Technik eine subtile Verteilung der Tonquantitäten gesetzt. Tiny Kaiser stand Chopin mit allzuviel Reserve gegenüber, die Virtuosität wirkte noch starr und unorganisch. Sir Cassel, unter anderem auch mit Chopin aufwartend, geriet in breite Sentimentalität, Beethovens „Mondscheinsonate“ war völlig unrhythmisch und in den Linien verzeichnet. *

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