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Concentus Musicus und Schönberg-Konzerte

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Die Idee, alte Musik stilgerecht aufzuführen, ist nicht neu. Neu ist der Radikalismus, die Konsequenz, mit der ein aus jungen Wiener Musikern bestehendes Ensemble unter der Leitung von Alice und Nicplaus Harnoncourt ihre in mehrjähriger Arbeit gewonnenen Erkenntnisse in die Tat umsetzt. Das Ensemble für alte Musik, „Concentus Musi-c u s“, das sein erstes Wiener Konzert im Marmorsaal des Palais Schwarzenberg gab, spielt ausschließlich auf alten Instrumenten, in der richtigen Erkenntnis, daß Klang, Tempo, Dynamik und Artikulation von diesen weitgehend abhängig sind und nur so realisiert werden können. Die Vorführung niederländischer Instrumentalmusik um 1500 und englischer Streichermusik um 1600 kam einer Wiederentdeckung gleich. Natürlich haben solche Veranstaltungen einen gewissen esoterischen Charakter: dem Publikum wird zugemutet, „die altgewohnten Maßstäbe neu zu ordnen, die dynamischen und harmonischen Reizschwellen zu verschieben“, das heißt weit zurück zu verlegen. Daß dabei aber trotzdem mehr herauskommt als ein Museum oder ein musikhistorisches Seminar, ist der Qualität der jungen Musiker zu danken.

Auch im 4. Konzert des Zyklus „Hundert Jahre Wiener Singakademie“ wurde eine „Ausgrabung“ vorgeführt: die Motette „Superflumina Babylon i s“ für drei Soli, Chor und Orchester von Francois G i r o u s t. Und obwohl dieser Meister, der 1738 bis 1799 lebte und ein so erfolgreicher Modecompositeur war, daß er bei einem Wettbewerb für das Concert spirituel mit der genannten Motette (in zwei verschiedenen Fassungen) gleich beide ersten Preise erhielt, uns zeitlich näher steht, wirkte die Aufführung im Großen Konzerthaussaal unter Heinrich Hollreiser wesentlich „historischer“. — Den zweiten Teil des Programms bildete H i n d e-m i t h s einstündiges Oratorium „Ein Requiem für die, die wir lieben“, das 1946 geschrieben und anläßlich seiner Wiener Erstaufführung an dieser Stelle besprochen wurde. Dieses Schöne und ernste Werk auf Worte aus Walt Whit-mans „Grashalmen“, die Hindemith unter dem Titel „Als Flieder jüngst mir im Garten blüht“ aus dem Englischen übertragen hat, ist vielleicht jenes Werk aus Hindemiths Opus Americanum, in welchem ge-

wisse Manieren des Komponisten — das manchmal ein wenig handwerksmäßige Musizieren und Marschieren — am wenigsten dominieren. Im großen Chorfugato des 7. Teiles, der das stolze Manhattan, Ohios Strand, Missouri und die weiten, endlosen Ebenen, trächtig mit Mais und Gras, besingt, hat Hindemith wohl den großartigsten Hymnus auf das junge Amerika geschrieben. In „Komm, komm, lieber und sanfter Tod“ klingt das Altdeutsche, Altmeisterliche, das wir an Hindemith so lieben, ergreifend durch. — Man wünscht diesem Werk, daß es zu einem festen Bestandteil im Repertoire unserer großen Chorvereinigungen werden möge.

Als erster Gratulant zum hundertjährigen Jubiläum des Singvereins hatte sich der Chilenische Kammerchor der Universität Valparaiso eingestellt. Wegen eines gleichzeitig stattfindenden Orchesterkonzerts konnten wir nur den zweiten Teil des Programms hören: chilenische Volkslieder in sehr anspruchslosen und konventionellen Bearbeitungen mit vielen Terzen und Sexten (Leitung: Marco Dusi). #

Im Quäkerhaus spielten Mitglieder der „P h i 1-harmonia Hungarica“ Kammermusik von Haydn, Händel, Mozart, Beethoven und einem jungen ungarischen Komponisten (lanos Kömüves). Der Gewinn dieses Abends war die Begegnung mit einem ganz hervorragenden Oboisten. Er heißt Tivadar Bantay und sei der Aufmerksamkeit unserer Konzertveranstalter dringend empfohlen.

Im Zyklus „Oesterreichisches Musikschaffen der Gegenwart“ leitete Gustav K o s 1 i k, der im letzten Augenblick für den erkrankten Dirigenten Miltiades Caridis einsprang, ein Konzert des Tonkünstlerorchesters. Aufgeführt wurden Werke von Gerhard Wimberger (Divertimento für Streichorchester), Kurt Schmidek (Concertino für Klavier, Streicher und Blechbläser), Karl Schiske (2. Symphonie), Otto S i e g 1 (Konzert für Flöte und Streichorchester) und Franz Hasenöhrl (Capriccio marciale). Die drei erstgenannten, die auch die jüngeren dieser Gruppe sind, haben die großen Meister unserer Zeit — Prokofieff, Strawinsky, Bartök, Milhaud und einige andere — mit gutem Nutzen gehört und sich assimiliert. Sie können instrumentieren und verstehen es, sich in knapper Form auszudrücken.

Charakteristisch ist ferner die Dreisätzigkeit, auch

in der Symphonie von Schiske, der eine Handschrift von unverkennbarem Eigenstil besitzt.

Das gilt auch für Peter Traunfellner, dessen „Symphonie 1956“ in einem von der Musikalischen Jugend veranstalteten Konzert mit den Tonkünstlern unter Gustav Koslik uraufgeführt wurde. Zu den genannten Elementen und Anregungen tritt hier noch der Jazz, den Traunfellner geschickt und wirkungsvoll in seine gutklingende und unterhaltsame Symphonie einbaut.

In einem von der IGNM veranstalteten Konzert im Brahms-Saal spielte das Orchester der „P h i 1-harmonia Hungarica“ drei von Alban B e r g für Streichorchester bearbeitete Stücke aus der „Lyrischen Suite“ und die 2. Kammersymphonie von Schönberg: bedeutende, zukunftweisende und originelle Musik, die von Michael G i e 1 e n mustergültig interpretiert und vom Orchester mit bemerkenswerter Einfühlung und Virtuosität gespielt wurde.

Schönbergs 1. K a m m e r s y m p h o n i e und den „Pier rot L u n a i r e“ hörten wir an zwei aufeinanderfolgenden Abenden (IGNM und Musikalische Jugend) unter der Leitung des jungen indischen Dirigenten Zubin M e h t a, ausgeführt von Studierenden der Akademie bzw. einem Kammerensemble des Haydn-Orchesters. Rezitiert und gespielt wurde mit lobenswerter Gewissenhaftigkeit und schönem Eifer. Die absolute Sicherheit und Leichtigkeit des Vortrags wird sich bald einstellen.

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