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Osterreidiisdie Kunst im Wandelbild der Zeit

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Mit dem Gefühle des Stolzes und innerer Beglüdiung durchwandert man die Schausäle des „ö sterreichischen Museums“ am Stubenring, fast erdrückt durch die Fülle des Gebotenen, das in seiner Gesamtheit einen unvergeßlichen Eindruck österreichischer Kunst und Kultur hinterläßt, wie er in dieser Lückenlosigkeit überhaupt noch nie geboten wurde. Diese prächtige Ausstellung, die anläßlich der „Feier von 950 Jahren Österreich“ zustande kam, stellt aber auch die Forderung, es nicht bei dieser einmaligen Veranstaltung bewenden zu lassen, sondern so bald als möglich an die Gründung eines eigenen Museums österreichischer Kunst zu schreiten, das jedem Österreicher und Ausländer ein Bild des gewaltigen künstlerischen Schaffens in unserer Heimat während eines Jahrtausends gibt. Daß Österreichs Kunst nicht bloß ein Anhängsel der gesamtdeutschen Kunst war und ist, daß sie als Synthese verschiedener Kulturströmungen vielfach eigene Wege ging und so ein einzigartiges Gepräge erhielt, wird in dieser Ausstellung auch jenen klar werden, die dies bisher nicht wahrhaben wollten.

Die ersten drei Jahrhunderte österreichischer Kuns:schif'ens sind nur durch wenige, aber erlesene Stücke vertreten, da die Werke dieser Epoche zumeist architektonischer Natur sind oder nur schwer von' der Architektur getrennt werden können. Aber der romanische Faltstuhl aus A d-m o n t, die interessante Riesenbibel (Mitte des 12. Jahrhunderts) aus dem gleichen Stift mit den Illuminationen eines Salzburger Monumentmalers und die zwei Stücke des herrlichen Gösser Ornates, einer der großartigsten spätromanischen Seidenstickereien, geben immerhin ein eindrucksvolles Bild dieser naturabgewandten Kunst, die in Österreich sehr rasch in die gotische Kunst überging, ohne zu einer hochentwickelten Späcblüte zu gelangen.

Dafür ist aber die österreichische Gotik überraschend reich an überragenden Kunstwerken. Sie findet wieder den Weg zur Natur Wenn sie auch in ihren Anfängen form-gebundn ist und sich vor allem durch phantastisches I.inienspiel auszeichnet, nähert sie sich immer mehr und mehr einem edlen Naturalismus, bis sie zur Renaissance übergeht, in welcher der Aiisdruck des Übersinnlichen zurücktritt zugunsten des Menschen als Maß aller Dinge. Kunstgewerblicher Art sind die ältesten gotischen Denkmäler der Ausstellung: eine schöne Kärntner Mitra aus dem Beginn des 14. Jahrhunderts und das prächtige Melker Reliquiar (um 1320) Aus der gleichen Zeit stammen die „Admonter Madonna“ in ihrer wundervoll erhaltenen alten Fassung, die bekannte „Wiener-Neustädter Madonna“ aus der Minoritenkirche dieser Stadt, deren Schöpfer die Plastiker des Stephansdomes sehr stark beeinflußt hat, sowie die schöne „Verkündigungsgruppe“ aus Maria am Gastade. Sehr deutlich kann man in dieser Abteilung verfolgen, wie sich im Laufe der Stilentwicklung die frühere Starre der Formengebung allmählich in Weichere, bewegtere Gestaltung auflöst, bis sie in den spätgotischen Figuren zu wundervoller Bewegtheit wird, die den hinreißenden Schwung des österreichischen Barocks vorausahnen läßt.

Besonderes Interesse erwecken die architektonischen Bauzeichnungen aus der Dombauhütte von St. Stephan von 1420 bis 1515, also aus der Zeit der großen Meister Hans von Prachatitz und Hans Buxbaum. Köstlich sind die illuminierten Handschriften des 14. und 15. Jahrhunderts, unter denen die Lehrbücher Kaiser Maximilians nicht nur künstlerische Anteilnahme erwecken, sondern auch kulturgeschichtliche Dokumente darstellen. An Handzeichnungen sind die herrlichen Blätter vom frühen 14. bis zum Ende des 15. Jahrhunderts und eine Anzahl alpen-ländischer und salzburgischer Einblattdrucke von hervorragender Qualität hervorzuheben.

Verhältnismäßig arm ist die Ausstellung an Werken von der Mitte des 16. bis etwa zur Mitte des 17. Jahrhunderts, eines Zeitabschnittes, in dem die religiösen Kämpfe, die Katastrophe des Dreißigjährigen Krieges und die Türkengefahr an und für sich kein Aufblühen der Kunst gestatteten. Erst unter Kaiser Leopold I. begann eine der größten Kultur- und Machtepochen Österreichs, die künstlerisch im österreichischen Barock eine Höchstblüte erreichte. Allerdings muß berücksichtigt werden, daß eine Ausstellung von Barockkunstwerken in modernen Schauräumen immer gewisse Schwierigkeiten bietet, da im Barock der Gedanke des Gesamtkunstwerkes an erster Stelle steht und barock? Bilder und Plastiken der Entfaltung architektonischen Prunks bedürfen, wenn sie voll zur Geltung kommen sollen. Trotz dieser Einschränkung bietet es einen erlesenen Genuß, die Meisterwerke eines Paul Troger, eines Daniel Gran und Michael Rottmayr, vor allem aber des größten unter ihnen, des mystischen Maul-pertsch, eingehend und ius der Nähe betrachten zu können. Donners Bleifiguren, Messerschmidts unübertreffliche Charakterköpfe und das Heiligenkreuzer Ofenmodell Giulianis sind Leckerbissen plastischer und kunsthandwerklicher Kunst.

Das ausgehende 18. Jahrhundert, vom Nationalismus beeinflußt, führte auch in Österreich einen Wandel der künstlerischen Auffassungen herbei, der in dem Staatskanzler Fürst Kaunitz einen mächtigen Förderer fand, der junge österreichische Künstlet als Staatsstipendiaten nach Rom, Paris und London sandte, wodurch die Entwicklung der klassizistischen Periode in Wien verhältnismäßig rasch vor sich ging. Die neue Kunst folgte im wesentlichen dem Naturalismus im klassizistischen Sinne. F ü g e r, der Wahlösterreicher, die Nazarener Kupeiwieser und F ü h r i c h, sowie der Romantiker Schwind sind die Hauptvertreter der neuen Strömungen, die mit einigen kennzeichnenden Proben ihrer Kunst zur Geltung kommen.

Wichtiger erscheint aber die Entfaltung der Biedermeierkunst, die in dieser Ausstellung ihre Köstlichkeiten offenbart. Diese echtbürgerliche Kunstübung, die durch ein besonders inniges Verhältnis zur Natur gekennzeichnet ist, zeigt schon aus diesem Grunde ein starkes österreichisches Gepräge. Das köstliche Oeuvre Waldmüllers, des wohl größten europäischen Malers aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, die Bilder von Peter Fendi, Karl Schindler und Amerling sowie die Bildnisminiaturen eines Danhauser lassen erstmalig die ganze Bedeutung dieser Kunstepoche erkennen.

Mit dem Fall der Stadtwälle und der Entwicklung Wiens als Großstadt vollzieht sich auch in der bildenden Kunst Österreichs ein starker Wandel. Ausländische Kunrt-einflüsse treten immer häufiger in Erscheinung, aber trotzdem bewahrt sich die österreichische Kunst ihre Eigenart. Aus der zweiten Häl.'te des 19. Jahrhunderts bis herauf zur Zeit des ersten Weltkrieges bringt diese Ausstellung eine Reihe charakteristischer Proben, Bilder M a k a r t s, des Vertreters des Prunkwillens der Ringstraßenzeit, Romakos, dieses seltsamen Gestalters inmitten einer realistischen Kunstauffassung, J. E. Schindlers, des Meisters Rudolf von A11 und Pettenkofens, in dessen Schaffen sich der Pariser Einfluß am stärksten widerspiegelt Gegen Ende des Jahrhunderts wird auch die Wiener Kunst in den Widerstreit der Kunstrichtungen hineingezogen, der in der Gründung der „Sezession“ die modern fühlenden Künstler zusammenschloß. Mit Werken Klimts, des früh verstorbenen Egon Schiele, sowie mit Arbeiten von Egger-Lienz, Faistauer und Carl Moll gibt die Ausstellung einen Ausschnitt aus einer Kunst, in der sich zum Teil die müde Dekadenz einer sterbenden Zeit, zum andern Teil das Aufflammen eines neuen Kunstwillens offenbart. Aber immer trägt sie den Stempel österreichischer Geistigkeit, klingt in ihr eine alte Tradition nach und spiegeln sich in ihr die köstliche Schönheit österreichischer Landschaft und die Wesenseigenart des österreichischen Menschen wider.

Dies gilt auch für die kunsthandwerklichen Proben des 19. Jahrhunderts, für die ausgewählt schönen Stücke Alt-Wiener Porzellans von Paquier bis Sorgenthal, für die köstlichen Mildner und Kothgasser Gläser und nicht zuletzt für die Werkstücke der „Wiener Werkstätte“, die so viel zum Wiederaufstieg des Wiener Kunstgewerbes beigetragen hat.

Wohl könnte diese Ausstellung noch wesentlich reichhaltiger sein, aber ihre Initiatoren und Leiter haben sich mit Recht auf das Wichtigste und Kennzeichnendste beschränkt, um so die klare Linie der österreichischen Kunstentwicklung in ihren wichtigsten Vertretern und bedeutendsten Werken aufzuzeigen. Wir haben allen Grund, uns dieses Erweises tausendjähriger Kulturleistung zu freuen.

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