"entdeckungreise Ins Eigene Ich"

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Florian Henckel von Donnersmarck hat seinen ersten Spielfilm "Das Leben der Anderen" (2006), für den er den Auslands-Oscar erhielt, in der Abgeschiedenheit des Stifts Heiligenkreuz in Niederösterreich geschrieben, sein Onkel Gregor Henckel-Donnersmarck, damals Abt im Stift, war sein Gastgeber. Für seinen neuen Film "Werk ohne Autor" konnte Donnersmarck das Kloster nicht mehr nutzen, weil es ihm zu laut war, wie er im FURCHE-Interview verrät. Und er erzählt auch, warum er sich die Geschichte eines Künstlers ausgedacht hat, der durch die Nazi-und DDR-Mentalität gehen musste, um danach befreit zu seinem künstlerischen Stil zu finden. Dieser fiktive Kurt Barnert (gespielt von Tom Schilling), dessen Gestalt an den realen Maler Gerhard Richter angelehnt ist, hat im Film auch einen Widersacher, den NS-Arzt Seeband (Sebastian Koch).

DIE FURCHE: Wieso lehnten Sie Ihre Geschichte an das Leben Gerhard Richters an?

Florian Henckel von Donnersmarck: Ich war lange auf der Suche nach einer Geschichte über menschliche Kreativität. Ich habe Jürgen Schreibers Biografie von Gerhard Richter gelesen. Vieles in meinem Film ist fiktional, aber eine Sache habe ich von dort übernommen. Gerhard Richter hatte eine Tante, die er auch gemalt hat, wie sie ihn als Kind in den Armen hielt, und diese Tante wurde im Zuge der Euthanasie-Programme von den Nazis umgebracht, weil man ihr Schizophrenie attestierte. Das Mädchen, in das sich der kleine Junge auf dem Bild später als junger Erwachsener verlieben wird, ist die Tochter dieses Nazi-Arztes, der seine Tante in den Tod schickte. Ich dachte: Das ist ein unglaublich guter Startpunkt für eine dramatische Erzählung. Und es erlaubte mir, die Geschichte unserer Länder Deutschland und Österreich zu erzählen, weil damit illustriert wurde, wie Täter und Opfer gemeinsam in denselben Familien zusammenlebten.

DIE FURCHE: Kurt Barnert kann sich unter den Nazis und in der DDR künstlerisch nie entfalten.

Henckel: Barnert ist zunächst mit zwei Regimen konfrontiert, die ihn und seine Kunst formten, weil sie gewisse Vorstellungen von Kunst hatten. Danach, an der Kunstschule und in der Freiheit der 1960er-Jahre, muss sich Barnert erst einmal daran gewöhnen, keine Vorgaben mehr zu erhalten und wird zu einem Suchenden. Der erste Teil des Films erzählt von einem Gefangenen und der zweite von einem, der Freiheit kennenlernt. Aber die Summe ist das, was als Erfahrung in seine Kunst einfließt. Ich bin absolut davon überzeugt, dass die Summe unserer Erlebnisse unsere Gegenwart und Zukunft bestimmt.

DIE FURCHE: Der NS-Arzt Seeband rettet dank seines Eingreifens den Neugeborenen des russischen Generals, der ihn für seine Verbrechen zur Verantwortung ziehen soll. Als Dank für den geretteten Sohn sagt er: "Wer ein Leben rettet, rettet die ganze Welt." Und stellt den Massenmörder Seeband unter seinen persönlichen Schutz. Klingt zynisch.

Henckel: In dieser Situation hat er ja tatsächlich dieses eine Leben des Neugeborenen geschützt und gerettet. Ich glaube, wenn die Nazis so weithin für alle sichtbar grausam gewesen wären, wie es uns viele Filme gezeigt haben, dann wären wohl ganz Deutschland und Österreich in den Widerstand getreten. Es geht hier um das versteckte Böse, das sich unsichtbar gemacht hat. Man muss sehr vorsichtig sein, wenn man es sucht, denn es ist gemischt mit etwas, das auch verführerisch ist. Ein hochtalentierter Arzt wie Seeband, auch wenn er Nazi-Verbrechen begangen hat, macht dann unerwartet Dinge wie diese und rettet ein Leben. Das bedeutet aber nicht, dass er einer von den Guten geworden ist.

Die Furche: Sprechen wir über den Schaffensprozess von Kunst: Sie selbst haben das Drehbuch zu "Das Leben der Anderen" im Stift Heiligenkreuz geschrieben, der Ruhe wegen. henckel: Man braucht die Ruhe, um etwas zu schaffen. Wir alle, die wir mit etwas Immateriellem arbeiten, kennen diese Erfahrungen. Für uns ist es essenziell, der eigenen Stimme zu vertrauen, obwohl diese nicht immer so einfach zu hören ist. Ein Kloster ist dafür der ideale Ort. Aber "Werk ohne Autor" entstand nicht in Heiligenkreuz, weil mir dieser Ort aufgrund seiner Bekanntheit inzwischen zu unruhig ist. Mein Onkel war der Abt, die Menschen strömen gerne in dieses Kloster, und nach dem Oscar für "Das Leben der Anderen" hatte ich dort keine Ruhe mehr, sondern musste zwischen den Mahlzeiten Autogramme geben. Das ist nicht der Sinn, wenn man an etwas Neuem arbeiten will. Diesmal fand ich meine Ruhe in Sebastian Kochs Zweitwohnung im Osten Deutschlands, wo es weit und breit kaum Zivilisation gibt.

Die Furche: Nach dem Oscar drehten Sie in Hollywood "The Tourist" und nun kehren Sie zurück nach Deutschland.

henckel: Die Welt wird kleiner. Was wir wo auf der Welt tun, ist zunehmend von der Örtlichkeit unabhängig. Die ganze Filmwelt ist doch im Umbruch. Unter den richtigen Umständen würde ich sicher wieder einen Studio-Film drehen, aber ich merke, dass es mir so viel wichtiger ist, meine eigenen Geschichten zu erzählen. Das ist viel befriedigender. Es ist eine Entdeckungsreise ins eigene Ich. Es geht darum, den Geschichten zu folgen, die nach mir rufen.

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