6656936-1959_34_11.jpg
Digital In Arbeit

Die österreichische Kaiserkrone

Werbung
Werbung
Werbung

Umsturz und Umbruch, Einbruch und Zusammenbruch, Bewegung und Befreiung, Staatsakt und Staatsstreich ziehen über unsere Generation hinweg; und das entscheidende Verbum heißt „Angeben”. Die Großen tun es im neudeutschen, die Kleinen im österreichischen Sinn dieses Vokabels; aber Angeben muß man — so oder so. Der geführte und angeführte Mensch fragt sich schließlich, warum das alles so sein muß? Und so interessiert man sich für die Geschichte der politischen Ideen. Am faßlichsten studiert man die p. ‘irischen Ideen aber an ihren authentischen Symbolen; und daher kommt der heutige Aufschwung der Insignienkunde. Fachleute und Laien, Historiker, Politiker und bloße Untertanen fragen immer mehr: Wie sind Hoheitszeichen entstanden? Warum sind sie so und nicht anders? Was ist mit ihnen geschehen? Was haben sich die Herrscher und Beherrschten dabei gedacht?

Diesem wachsenden Interesse entspricht das neue Buch über die Hoheitszeichen des österreichischen Kaisertums. H. Fillitz, der die Insignien in der Schatzkammer zu umsorgen hat, gibt nun der Oeffentlichkeit ihre Geschichte und Beschreibung. Willy Lorenz aber gibt dieser Beschreibung den Rahmen — er sagt uns, welche Bewandtnis es mit der Entstehung des österreichischen Kaisertums hatte.

Der Titel seines Beitrags, „Das Heimliche Römische Reich”, ist sachlich ganz zutreffend. Als Kaiser Franz Kaiser Napoleon gegenüberstand, da ging es darum, das rechte Kaisertum dem Zugriff des Angreifers zu entziehen; das römische Kaisertum mußte verschwinden, unbemerkt mußte die „translatio Imperii ad Austriacos” geschehen — nicht anders, als da die Reichskrone, unter gemeiner Fracht verborgen, geflüchtet wurde. Begriffe aus der Geschichte heutiger Okkupationen — Ausdrücke wie Widerstandsbewegung, Attentismus, Tarnung, clandestinite — drängen sich auf, wenn man die völkerrechtliche Präzisionsarbeit Kaiser Franz’ beobachtet. Die spannende Geschichte ist denn auch nicht ohne Anteilnahme des Erzählers geschrieben.

Irgendwie kühler wirkt dagegen die streng sachliche Arbeit von Fillitz, welche auf alle Kleinigkeiten der Anfertigung und Erhaltung der Kleinode eingeht. Freilich weiß der Autor sehr wohl, worin das Interesse solcher Kleinodien beruht: in der Be- ziihungistes Sinnbild(mizu ‘dein;’ Bedeuteten. So wird denn im einzelnen belegt; wie die Entstehung und Verwendung der Tnsigrhreri flriyir’ äar österreichischen Kaiser- und Staatsidee zusammenhängt.

Wir sagten es eben: die Arbeit ist streng objektiv; und so wird nicht nur die Stärke, sondern auch die Problematik dieser Idee nachgewiesen. Es geht nämlich einerseits um die Kontinuität der fast zwei- tausendjährigen römischen Weltmonarchie (mit allem, was ihr vorausgeht. . ), anderseits um den sehr modernen, von Josef II. ausgebauten Staat. Aus den staatsrechtlichen Kämpfen von Ungarn und Böhmen wissen wir allzu gut, daß der österreichische Kaiserstaat nicht nur (wie es Lorenz nachweist) als Träger, sondern umgekehrt auch als Gegner der Tradition gesehen werden konnte. Diese Seite wird in Fillitz’ Arbeit sehr deutlich dargestellt. Das Geschichtslose an dem österreichischen Kaisertum kann man etwa an einer Einzelheit absehen: man vergleiche das kärgliche Literaturverzeichnis bei F i 1- 1 i t z mit der langgezogenen Liste, welche bei Podlaha-Šittler für die böhmischen Reichskleinodien zur Verfügung steht! Nun eben: hier achtunddreißig Könige, achtundzwanzig Krönungen; dort vier Kaiser, und — keine Krönung. Der Autor verweilt natürlich mit gebührendem Nachdruck bei der unausdenkbaren Tatsache, daß hier Kroninsignien vorliegen, mit denen n i e eine Krönung vollzogen wurde. Warum nicht? — Hier wirken drei sehr verschiedene Ursachen mit:

Kaiser Franz ließ sich mit der Rudolfinischen Krone nicht krönen, wie auch seine Vorfahren am Reich sich mit ihr nicht krönen ließen, und sie dennoch trugen. Eine Kaiserkrönung vollziehen kann nur der Papst; aber auch der „zum Kaiser erwählte”, zum Römischen König mit der Reichskrone gekrönte Monarch besitzt (laut dem Weistum von Rense) alle Kaiserrechte und trägt die Kaiserkrone daher. Aber auch Ferdinand der Gütige hat die Kaiserkrone ohne Kaiserkrönung getragen. Er herrschte ja über den modernen Staat, über die Monarchie der josefinischen Aufklärung. Da besaß der Monarch alle Souveränitätsrechte vom Ableben seines Vorgängers an: weder kirchliche Salbung noch Austausch von Eiden mit den Ständen waren ihm vonnöten. Und endlich kann eine Krönung eben nur stattfinden, indem eine Staatsverfassung von Herrscher und Volk eidlich bekräftigt wird. Aber die österreichische Monarchie hatte nie eine Ordnung gefunden, in der die nationalen Eigenstaatlichkeiten mit der föderalen Bindung zu einer Form vereint worden wären, welche allgemeine Anerkennung gefunden hätte. Es konnte gar keine Kaiserkrönung geben, solange die mitteleuropäischen Fragen ungelöst blieben. All diese Beziehungen sind ganz deutlich zu erkennen.

Die vorliegende Arbeit ist denn auch nicht dazu geschaffen, daß etwa nur der österreichische Traditionalist, der österreichische Patriot oder der austro- phile Besucher sie lesen soll. Im Gegenteil: es wäre sehr zu wünschen, daß auch der revolutionäre Oesterreicher, auch der nationale, das heißt antinationale Oesterreicher,. auch der ausländische (įjegp.er 5 des alten Oesterreichs sie aufmerksam lese. Hiej ist ! .reichliches Material zu interessierter Lektüre „und zu : sachlicher Forschung vorhanden.

Es versteht sich, daß ein so kompliziertes Thema in einem handlichen Bändchen nicht so verarbeitet werden kann, daß der Kritiker nicht manche Formulierung anders gewünscht hätte. Es hätte aber wenig Sinn, an einzelnen Sätzen zu beweisen, daß sich über Details und Akzente streiten läßt. Heben wir lieber noch einen Vorzug des Büchleins hervor: die zahlreichen, instruktiven Bilder. Den Wiener speziell werden die Angaben über die Gewerbetreibenden freuen, welche an den bedeutsamsten Schmuckstücken ihrer Monarchen gearbeitet haben.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung