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QUERSCHNITTE

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Kaiser Ferdinand „displaced“

Wer vor dem Krönungsbild jenes Habsburgers steht, der zwischen Kaiser Franz und Kaiser Franz Joseph das Zepter trug, kommt aus leisem Staunen nicht heraus. Das schmale, sensible Gesicht mit einem Ausdruck von Weichheit, über der ein Schatten von Skeptizismus liegt, will so gar nicht zu der überlieferten mentalen Schwäche passen, die von dem Beinamen „der Gütige" überlagert wird. Könnte es sein, daß irgendwelche Kammern dieses Gehirnes mit den anderen nicht verbunden waren, daß einem grausamen Spiel der Natur zufolge Verbindungsstränge, wie sie heute die Gehirnchirurgen in der Lobotomie durchtrennen, sich bei ihm nicht gebildet hatten oder blinde Leitungen geblieben waren?

Wir wissen es nicht. Es gehört zu den Geheimnissen, die keine Aufklärung finden werden. Ein anderes, ebenfalls schwer verständliches, aber vielleicht aufklär- baTes Geheimnis liegt in der Tatsache, daß man besagtes Krönungsbild, von niemand geringerem als Waldmüller und keinesfalls ohne Brillanz gemalt, auf einmal in einer für ihren erlesenen Geschmack und Feinsinn bekannten Salzburger Galerie, die aber letzthin doch kommerziellen Zwecken dient, wieder- findet. Brutaler formuliert: das Krönungsbild Ferdinands I. ist auf dem Kunstmarkt. Nur die letzte Demütigung „Vierzigtausend zum ersten, zum zweiten “ bleibt dem schönen Werk hier erspart. Tritt eines Tages ein Herr in die Direktion der Galerie, der in seiner sicheren, bescheidenen Gelassenheit sofort den hohen österreichischen Beamten verrät? Entsendet die Wiener Galerie des 19. Jahrhunderts nicht alsogleich einen Abgesandten in die Stadt an der Salzach? Rührt die Möglichkeit, daß Kaiser Ferdinand als „displaced person" ins Ausland wandere, kein offizielles Herz? Aber nein, nein, ganz im Gegenteil, das Bild stammt aus den Beständen der Belvedere- Galerie, man bemüht sich, es in Salzburg diskret loszuwerdenl Man flüstert sich zu, daß man um die erzielten Silberlinge (Vierzigtausend zum ersten, zum zweiten ) einen bedeutenden Franzosen ankaufen will, der bisher in der Galerie noch nicht vertreten ist. Wir wollen von vornherein annehmen, daß der Pinsel des begehrten Ausländers graziöser, sein Rot leuchtender, seine Auffassung genialer sein werde. Aber selbst, wenn man sich in Angelegenheit Waldmüller gegen den unbekannten Franzosen jeglicher Stellungnahme für Waldmüller enthält, bleibt doch die Tatsache bestehen, daß es sich um das wichtige Krönungsbild eines Kaisers handelt, der immerhin zwischen 1835 und 1848 Österreich, wenn auch durchs -Medium eines Kronrates, regiert hat. Und man müßte doch bemerken, daß in einer jubiläumsseligen Zeit, in der bereits drei- oder fünfjähriger Bestand Anlaß zu Feier und Bilderhissung geben, eine Kontinuität von Jahrhunderten auf dem Gebiet der Kunstbetreuung nicht durchbrochen werden sollte.

Die Anekdote will es haben, daß die Adjutanten Kaiser Ferdinands, der übrigens trotz seiner Schwächen durchaus populär war und selbst im revolutionären Wien umjubelt wurde, manchmal Mühe hatten, ihn vor unüberlegten Handlungen zurückzuhalten und bei Ausfahrten seine Hände mit den ihren banden.

Museumsdirektoren scheinen keine Adjutanten zu haben.

Aus dem sozialsten Staat

Daß Österreich es ist, hat sich mittlerweile herumgesprochen.

Ein junger Österreicher, beruflich den unverbindlichen Sammelbegriff „Schriftsteller" angebend, war vier Jahre lang Angestellter eines führenden Hauses unseres Kultursektors. Er weigerte sich, bestimmte geschäftliche, künstlerische, charakterliche „Gepflogenheiten" gutzuheißen, überwarf sich mit seiner Direktion und ging. Aufs Arbeitsamt wollte er nicht. Er schlug sich durch, hoffte auf bessere Zeiten, schrieb für schlechte Blätter und für gute, strich jede Anschaffung, jede Vergnügung und Anregung, jeden Bucherwerb aus seinem „Programm" und arbeitete fast mönchisch an seinem eigenen literarischen Vorhaben. Die Zeit verging. Eines Tages zerschlugen sich hinter

einander einige „gute Geschäfte“. Reserven hatte er nie besessen. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als „stempeln“ zu gehen. Ergebnis gleich null. Stellung gab es keine für ihn. Daraufhin wollte er nach angemessener Zeit Arbeitslosenunterstützung haben. — Nicht daran zu denken! Er hatte ja seit dem letzten Dienstverhältnis drei Jahre „unterbrochen . Was unterbrochen? Den Turnus. Zumindest hätte er früher kommen müssen. Zugebilligt wird die Unterstützung nämlich nur dem, der innerhalb der zwei vergangenen Jahre ein Jahr lang, arbeitslosen- und krankenversichert, gearbeitet hat. Was vorher war, verfällt Seine Frage: „Und was ist mit den freien Berufen? Es kann doch — selbst im sozialsten Staat der Welt — nicht jedermann Arbeiter oder Angestellter sein?!“ wurde mit einem Achselzucken quittiert.

Hier aber klafft wohl eine Gesetzeslücke. Eine beachtlich breite, unwürdige, unappetitliche Lütke in der Zahnreihe derer, die stolz auf ihre sozialen Leistungen sind. Oder klafft etwa gar keine Lücke? Liegt der Schaden „weiter hinten", so daß er nicht stört? Wollen wir nur im Lächeln makellose Zähne zeigen und vergessen darüber die Aufgabe des Gebisses überhaupt?

Zu diesem Thema hätten wir gern eine Stellungnahme.

Linksschreibung

Daß die Wissenschaft hinter dem Eisernen Vorhang ihre Objektivität eingebüßt hat, ist kein Geheimnis mehr. Auch der Duden, der Jahrzehnte als Ratgeber der deutschen Einheitsschreibung anerkannt war, ist jetzt in der Neubearbeitung, die das Bibliographische Institut Leipzig in

diesem Jahr besorgte, dieser Ausrichtung anheimgefallen.

Statt „Petrus (Apostel)“ gibt es nur noch „Peter (Vorname)". Das apostolische Glaubensbekenntnis, die anglikanische Kirche, die Sonntagsruhe und die Peters- kirche sind genau so aus dem Wortschatz gelöscht wie das Rittergut und der Handkuß. Dafür ist dann aber auch das russische Alphabet mit Wortbeispielen und deutscher Umschrift ausführlich behandelt. „MEGA“ ist als prägnante Abkürzung für „Marx - Engels - Gesamtausgabe" aufgenommen, und für Chef können sie auch „russ. Natschalnik" sagen. Die neuen Sinndeutungen bei Fremdwörtern, die das Vorwort als Resultat einer genauen Überprüfung des bisher Dagewesenen erwähnt, sind beachtlich. So ist ein „Gymnasium die frühere Form einer höheren Schule“. „Proletarier" sind „Angehörige der Arbeiterklasse, die, selbst ohne Besitz an Produktionsmitteln, ihre Arbeitskraft den Unternehmern verkaufen müssen", über Volksdemokratie berichtet der Duden: „Staatsform, bei der das Volk im Gegensatz zum bürgerlichen parlamentarischen Staat wirklich regiert. über den Marshall-Plan wird der geneigte Leser dahin aufgeklärt, daß er „das ,Hilfs'programm der USA für Europa nach dem zweiten Weltkrieg“ darstellt, „durch das Europa in die Abhängigkeit von Amerika gebracht und in die antisowjetische Front einbezogen werden soll“.

Daß allerdings die Definition des Konzentrationslagers als „Sammel- und Vernichtungslager für Gegner des Faschismus und Imperialismus" das Tatsächliche trifft, ist eine bittere Ironie und eine wohl von der Leipziger Duden-Redaktion so nicht gewollte Wahrheit.

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