6600774-1953_37_06.jpg
Digital In Arbeit

Es geschah in Lauriacum...

Werbung
Werbung
Werbung

Kreuz und Adler schmücken den Wappenschild des ehrwürdigen Augustiner-Chorherrenstiftes St. Florian bei Enns. Nicht beziehungslos und von ungefähr erscheinen sie nebeneinander, das Friedenszeichen des Christentums und das einstige Symbol römischer Weltherrschaft. Der Endkampf zwischen heidnischer Staatsgewalt und der neuen Lehre war es, der hier unserer engeren Heimat einen christlichen Blutzeugen schenkte: Florianus.

Schauplatz der Tragödie war Lauriacum (Lorch-Enns), eine der vier städtischen Siedlungen der römischen Provinz Ufernoricum. Auch hier mußte sich das damals unter Kaiser Diokletian schwer um seinen Bestand ringende römische Imperium der Loyalität der Bürger versichern und als Zeichen der Staatstreue das offizielle Kaiseropfer verlangen, was wieder einmal — zum letzten Male — zur Auseinandersetzung mit dem christlichen Teil der Bevölkerung führte. In dieser schwersten aller Christenverfolgungen, deren Wellen bis an die Donaugrenze des Reiches brandeten, fiel zu Lorch ' am 4. Mai des Jahres 304, treu seinem Glauben, Florianus, nach dem Statthalter der höchste Zivilbeamte Ufernoriens.

Die Legende erzählt: In der Zeit des Kaisers Diokletian und seines Mitregenten Maximian fand auf Befehl des damaligen Praeses (Zivilstatthalters) von Ufernoricum, Acjuilinus, in Lorch eine Ghristensuche statt. Der im Stadtgebiet von Aelium Cetium (St. Pölten) im Ruhestand lebende ehemalige Vorstand der Statthalterei, Florianus, hörte davon, eilte nach Lorch und bekannte sich vor dem Statthalter als Christ. Nach erfolgloser Aufforderung, zu opfern, wurde Florian gemartert und schließlich mit einem Stein um den Hals von der Brücke in die Enns gestürzt. Der Fluß setzte seinen Leichnam jedoch an einem Felsen ab, wo er dann unter wunderbaren Begleiterscheinungen von einer frommen Frau, Valeria, geborgen und an den ihr vom Heiligen geoffenbarten Bestattungsort übergeführt wurde.

Die ältesten Handschriften dieser Legende stammen aus dem Ende des 9. und dem Anfang des 10. Jahrhunderts. Wichtig ist, daß uns Dienststellung, Martyrium und Todestag des Heiligen noch in einer zweiten, von der ersten unabhängigen Quelle vom Ende des 9. Jahrhunderts erhalten sind. Die Wunderberichte, die den zweiten Teil der Legende ausmachen, fehlen hier jedoch. Man hat daraus geschlossen, daß dieser zweite Teil karo-lingische Volksdichtung sei, ein Zusammenhang mit dem römischen Altertum sei jedenfalls dabei nicht möglich. Nur Florianus' Leben und Sterben sind allgemein als gesichert anerkannt, Ueberführung und Bestattung gelten als Sage.

Was weiß nun die historische Ueberliefe-rung über die letzte Ruhestätte des Heiligen? Die erste Erwähnung findet sich in einer Urkunde aus den ersten Dezennien des 9. Jahrhunderts. “Es heißt dort u. a.: ,, . . . bei Buch, wo der kostbare Märtyrer Florian dem Leibe nach ruht.. . “. Der Bestattungsort trug also' , damals noch nicht den Namen des Märtyrers, sondern wurde nach seiner Lage in Buchenwäldern so genannt. Ein knappes Jahrhundert später spricht man vom „ . . . Ort, wo der Leib des allerseligsten Märtyrers zur Verehrung bestattet ist. . . “. Dies ist zugleich auch die letzte Nachricht über das Irdische St. Florians.

Nun besteht gar kein Zweifel, daß diese Urkunden nur Reflexionen des Volksglaubens darstellen können, wobei allerdings merkwürdig ist, daß das Aufhören der Nachrichten genau mit den Ungarneinfällen in der ersten Hälfte des 10. Jahrhunderts zusammenfällt, durch die auch das junge Kloster St. Florian und sein Kirchlein verwüstet wurden. Man könnte hier ansetzen und sagen, daß die Ge-

beine des Heiligen, die in der Geborgenheit einsamer Buchenwälder die Stürme der Völkerwanderung überdauert hatten, nun mit dem Kloster zu Asche geworden seien. Aber das können immer nur Vermutungen bleiben.

Die im Jahre 1715 geweihte barocke Stiftskirche, der bedeutendste Sakralbau des gebürtigen Mailänders Carlo Antonio Carlone, erhebt sich der Tradition nach über der Stelle, an der die Witwe Valeria den Leichnam des Märtyrers beisetzte. Die Kathedrale folgt dem Grundriß ihrer Vorgängerin, der gotischen Kirche Meister Ottos, deren Einweihung 1291 erfolgte. Das Heiligtum des 13. Jahrhunderts stellte einen Neubau insoferne dar, als die Maße der kleineren, früheren romanischen Basilika, von der, wenigstens sichtbar, nichts mehr erhalten ist, nicht übernommen wurden. Aus den Quellen, die von dieser Kirche sprechen, können wir auch erschließen, daß es sich um keinen Erstbau handelte, sondern nur um eine Renovierung und Vergrößerung eines durch die Ungarneinfälle zerstörten Kirchleins wahrscheinlich karolingischer Zeit.

Es sind also drei Vorgängerkirchen der heutigen Stiftskirche belegt: eine gotische, eine romanische und eine des 8. oder 9. Jahrhunderts, wobei die letztere nur noch indirekt überliefert ist. Die Baugeschichte der Andachtsstätten über dem traditionell geglaubten Floriansgrab war daher ebenfalls, wie auch die diesbezüglichen schriftlichen Nachrichten, nur bis in jene Zeit zurückzuverfolgen, in der nach der Forschung die Bestattungslegende entstand.

Im heurigen Jahre wurde nun zum erstenmal in der Gruft der Stiftskirche, dort, wo Pröpste und Meister Anton Bruckner ihren letzten Schlaf schlafen, auf kleinstem Raum eine systematische Versuchsgrabung durchgeführt. Schon vorher waren unter dem Gruftpflaster Mauerwerk und Steinblöcke, mit denen man nichts anzufangen wußte, zutage gekommen.

Die Arbeit des Archäologen besteht zunächst darin, an aussichtsreicher Stelle einen Graben durch das Erdreich bis auf den gewachsenen Boden zu führen, um an Hand der Bauperioden, die sich an den Grabenwänden im Schnitt zeigen, in die Jahrhunderte und

Jahrtausende hinuntersteigen zu können. In St. Florian stieß man bereits nach nicht einmal einem Meter Tiefe auf Löß ohne Kultureinschlüsse, also auf anstehendes Erdreich. Aber zwischen diesem und dem durchschnittlich 70 Zentimeter höherliegenden Gruftpflaster entrollte sich eine Baugeschichte von fast eineinhalb Jahrtausenden. Die erste wichtige Erkenntnis, war die, daß der Boden der gotischen Kirche nicht mehr vorhanden ist; er lag höher als der heutige Gruftboden und wurde bei dessen Legung in der Barockzeit beseitigt. Das heißt aber weiter, daß alle Schichten unter dem barocken Niveau — es sind deren drei — älter sein müssen als die gotische Kirche. Da gibt es zwei Steinfußböden, und die tiefste, bereits auf dem sterilen Lößboden aufliegende Kulturschicht wird durah die Brandreste eines ehemaligen Holzbaues dokumentiert; dieser ruhte auf einer Lehmanschüttung, die mit zerbrochenen römischen Dachziegeln geradezu gespickt ist. Und dann war noch eine solid gefügte, tadellos erhaltene Fundament-mauer vorhanden, die selbst wieder älter ist als die erwähnte Brandschicht über der Lehm-Ziegelplanie.

Der Gedankengang war nun folgender: Die in schon gebrochenem Zustand als Aufschüttungsmaterial verwendeten römischen Dachziegel müssen von einem damals bereits zerstörten Gebäude der Römerzeit herrühren. Sie bezeichnen daher, da keine Vorgängerschicht mehr vorhanden ist, spätestens die erste nachrömische Bauperiode, wohl die Völkerwanderungszeit. Die als älter erkannte Fundamentmauer ist folglich auf jeden Fall römischen Ursprungs.

So brachte die erste Grabung zwar keine Schätze, aber durch genaue Detailbeobachtung und logische Schlußfolgerungen Erkenntnisse, die uns die Florianslegende mit anderen Augen ansehen lassen. Es steht nunmehr unumstößlich fest, daß die heutige Stiftskirche eine bis in die Antike zurückreichende zusammenhängende Bauge-schiebte besitzt, und weiter, daß zwischen Antike und gotischer Kirche mindestens drei zeitlich scharf voneinander getrennte Bauperioden existiert haben müssen. Man kann zwar noch nicht mit Bestimmtheit sagen, welchen vorgotischen Kirchenbauten die Steinfußböden zuzuweisen sind; es ist aber so gut wie sicher, daß ein bislang unbekanntes, schlichtes Holzheiligtum während der Völkerwanderungszeit bestanden haben muß. Ob das römerzeitliche Gebäude, dessen Fundamentmauer erhalten ist, ebenfalls ein Sakralbau war, muß sich erst herausstellen.

Damit ist aber auch die Bestattungslegende insoferne gerechtfertigt, als ihr geleugneter Zusammenhang mit dem römischen Altertum tatsächlich vorhanden ist. Die Verehrung des Heiligen an ein und demselben Platz besteht nicht erst seit der Karolingerzeit, sondern reicht bis in die Antike zurück.

Florianus, der höchste kaiserliche Beamte der römischen Provinz Ufernoricum, der Ritter mit Schild und Fahne in der mittelalterlichen Darstellung, der spätere Nothelfer in Feuersgefahr, ist zu Lorch den Martertod gestorben. Sein Grab wurde von Anbeginn bis zum heutigen Tage durch mindestens fünf aufeinanderfolgende Gedächtnisbauten verherrlicht. Ob aber dieses Grab tatsächlich jemals existiert hat, bzw. ob der Heilige darin bestattet war, ist eine andere Frage.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung