6560261-1948_44_07.jpg
Digital In Arbeit

Gräber der Vorzeit auf Wiener Boden

Werbung
Werbung
Werbung

Schon in ältesten Zeiten hat kein Ereignis de’ menschlichen Lebens auf die Seele einen so tiefen Eindruck gemacht, wie der Tod eines Nahestehenden. Das erkennen wir an der Art der Bestattung und der Fürsorge für den Toten. Da gab es, um nur einige der häufigsten Arten der Bestattung zu nennen: Körperbestattungen in ausgestreckter Lage auf dem Rücken, in Seitenlage oder sitzend mit stark gebeugten Gliedmaßen, sogenannten Hockern, Einäscherung des Toten am Grabe oder auf einem eigenen Verbrennungsplatz. Die Beisetzung des Körpers erfolgte in einer eigens dazu ausgehobenen Vertiefung in der Erde, in Höhlen, in Baumsärgen, ja in großen Tonurnen und in Schiffen. Bald waren es Flachgräber, bald „Steintische", Ganggräber oder Steinkisten, über denen sich ein Erdhügel wölbte, bald Blockhäuser oder „Steinpackungen“ in einem solchen, eingeäschert worden war, kam in Leopoldau, Wien XXI, zutage. Das Grab enthielt eine Amphore und einen Knochenzierat. Welche Vorstellungen dazu geführt hatten, die Toten zu verbrennen, ist nicht bekannt. Vielleicht war es der Gedanke, den langdauernden Verwesungsprozeß zu umgehen und so dem Verstorbenen die Erreichung des Jenseits rascher zu ermöglichen. An die Trennung der Seele vom Körper nach dem Tode des Menschen wurde nicht gedacht.

Um ein Brandgrab dreht es sich wohl auch bei einer 1906 in Aspern, Wien XXII., aufgedeckten Bestattung. Seine Ausstattung gehört zum Schönsten, was wir aus dieser Zeit besitzen. Sie besteht aus einem Tongefäß und einer sogenannten Armschutzplatte. Das ohne Töpferscheibe, freihändig geformte Tongefäß gleicht einer umgestülpten Glocke, ist au’ feinst gebranntem und geglättetem Ton von leuchtend roter Farbe der unterirdische Steinkammern. Nur selten fehlte, was man fürs Leben im Jenseits für nötig hielt; Waffe, Gerät, Schmuck, Speise und Trank. Aus diesem schier unerschöpflichen Gebiet seien eine Anzahl durch Anlage und Ausstattung bemerkenswerter Vorzeitgräber des Wiener Bodens besprochen.

Die ältesten bekanntgewordenen Bestattungen sind seltsamerweise die von Bergleuten. In den Stollen des einst unter Tag gewonnenen Hornsteines in Wien-Mauer stieß man vor etlichen Jahren bei der Gewinnung von Straßenschotter auf fünf Skelette, bei denen sich Steinbeile und Tongefäße befanden. Diese Beigaben ermöglichten erst, das Alter der Bestattungen mit rund 4500 Jahren anzugeben und damit die Zeit, in der der Hornstein bergmännisch für Klingen, Schaber urfd Pfeilspitzen gewonnen wurde. Die Bergleute von Mauer gehörten einem Volke friedlicher Ackerbauer und Viehzüchter an, das im dritten Jahrtausend v. Chr. die fruchtbaren Ebenen und Hügel des Donauraumes bewohnte. Seinen Namen kennen wir nicht.

Aus der Spätjungsteinzeit, der Epoche der großen nordischen Wanderungen 2400 bis 1700 v. Chr., die zur Besiedlung des größten Teiles Europas und halb Asiens führten, kennen wir mehrfach Bestattungen auf .Wiener Boden. Die älteste, bei der der Tote gefertigt und abwechselnd mit waagrechten Streifen, eingestochenen Punkten, Zickzackbändern und einem schachbrettartigen Muster verziert. Diese wundervollen Beigaben gehören einer aus Spanien stammenden Kultur an, die nach der kennzeichnenden Gefäßform als Glockenbecherkultur bezeichnet wird.

Die dem zweiten vorchristlichen Jahrtausend angehörende Bronzezeit brachte mit intensivem Bergbau vor allem auf Kupfer und Salz einen bedeutenden Aufschwung in Industrie und Handel und damit einen namhaften Bevölkerungszuwachs, der sich in der folgenden ersten und zweiten Eisenzeit des letzten Jahrtausends v. Chr. noch beträchtlich steigerte. Dies kommt unter anderem in den geschlossenen Friedhöfen der Spätbronzezeit 1200 bis 900 v. Chr. und frühen ersten Eisenzeit 900 bis 800 v. Chr. zum Ausdruck. An der Sitte der Leichenverbrennung wurde festgehalten. Die Asche wurde in einer Urne gesammelt und diese mit Bleigefäßen in einer Bodenvertiefung beigesetzt. Urnengrab reihte sich an Umengrab, einen ganzen Friedhof bildend. Der größte dieser Art wurde in Wien-Aspem aufgedeckt. Er reicht in die frühe Hallstattzeit hinein, so wie etliche Brandgräber in der Mühlsangergasse in Simmering. Ein rührendes Zeugnis elterlicher Liebe, dem wir unsere Anteilnähme nicht versagen können, kommt in einem Kindergrab durch Beigabe eines tönernen Saugfläschchens zum Ausdruck. Auch Aspern hat ein solches geliefert; leider ist die Zugehörigkeit zu einem Grabe nicht gesichert. Zuweilen finden wir auch Bronzen beim Leichenbrand: Nadeln, Messer, Schmuck. Wenn sie verzogen sind und rauhe, blasige Oberfläche zeigen, waren sie mit dem Toten auf dem Scheiterhaufen, wie ein Rasiermesser in Aspern. In manchen Gegenden Bayerns ist es heute noch Sitte, dem toten Manne ein Rasiermesser in den Sarg zu legen. Fehlt auch das einst leitende Motiv: die Ausstattung fürs Jenseits, der in der Urzeit wurzelnde Brauch ist geblieben.

Wer kennt nicht den verschwenderischen Reichtum ballstättischer Gräber unseres Naturhistorischen Museums? Sie stammen größtenteils aus Hallstatt selbst und stellen die Habe der reichen Salzherren und ihrer Frauen dar. Diese reiche, prunkliebende Zeit hat auch auf Wiener Boden ihren archäologischen Niederschlag gefunden, am stärksten auf Wiens Akropolis, dem Leo- poldsberg, der Fürstensitz war. Und fürstliche Bronzewaffen sind es, die das 1917 bei Anlage eines Fliegerabwehrgeschützes entdeckte Brandgrab der Frühzeit herausgab: eine herrlich gravierte Waffe, wegen ihrer Grifform als Antennenschwert bezeichnet, und ein ebensolches geschweiftes Messer. Für die Frühzeit 800 bis 700 v. Chr. überraschend reiche Bronzen geschweiftes Messer, Lanzenspitze, Rasiermesser, Reif sowie prächtige Tonurnen enthielten auch die anläßlich des Baues der Höhenstraße aufgedeckten Brandgräber, die sich durch ihre Ausstattung gleichfalls als Gräber Edler dokumentieren. Etwas später nach 700 v. Chr. wurden für Edlinge eindrucksvolle Grabhügel errichtet, die Lee- oder Leberberge vom althochdeutschen hie, das Hügel, nämlich Grabhügel bedeutet. Sie umschlossen ein Blockhaus oder eine Steinpackung, die die Asche, die Beigefäße, Bronzen, Eisengegenstände, Speisen usw. barg. In Wien-Simmering ist durch die Flurnamen „Leberberg“ und die gleichnamige Straßenbezeichnung die Erinnerung an solch einen Tumulus der mittleren Hallstattzeit festgehalten. Auf ihn bezieht ‘ich auch eine literarische Quelle, die aus dem 14. Jahrhundert stammende „Chronik von den 95 Herrschaften“, die vom „pühel bei Sand Lazar“ das ist St. Marx als dem Grab eines Heidenkönigs spricht. Träger der Hallstattkultur waren die in der Spätbronzezeit 1200 bis 900 v. Chr. aus dem ehemaligen Ostdeutschland zugewanderten Veneter.

Vermutlich waren schon frühzeitig die Bestattungen mit gewissen Feierlichkeiten verknüpft, vor allem, wenn e’ sich um hervorragende Personen handelte. Leider gibt die Archäologie darüber keinen Aufschluß. Erstmalig erfahren wir für die Hallstattzeit Ausführliches über den Totenkult. Welcher Art die Leichenfeierlichkeiten beim Tode Edler waren, ist auf kegelförmigen Bronzeeimern, den Situlen, zu sehen. Sie stammen aus Venetien und wurden von dort ins Alpengebiet gebracht, zum Teil sind es wohl auch Nachahmungen heimischer Bronzeschmiede. In waagrecht angeordneten Bildstreifen enthalten sie Szenen des’ täglichen Lebens, zu denen eindrucksvollste Leichenfeierlichkeiten gehören. Berühmt ist die in einem Keltengrab der Frühzeit 400 bis 300 v. Chr. in Kuffarn bei Herzogenburg in Niederösterreich gefundene Situla, die einen Bildstreifen aufweist. Er zeigt in höchster Lebendigkeit ein Wagenrennen, eine Trinkszene, in der dem Zechenden die Trinkschale aus einem größeren Gefäß mittels einer Schöpfkelle gefüllt wird, indes ein anderer eifrig mit zwei umfangreichen Behältnissen davoneilt, neuen Trank zu holen. Rechts ein Gestell mit Gefäßen. Es dreht sich da jedenfalls um den Leichentrunk. Von besonderem Interesse ist ein Boxkampf zweier Faustkämpfer mittels Hantel, mit einem Preisrichter und einem buschigen Helm als Kampfpreis. Hier Sandelt es sich ohne Zweifel um Kampfspiele, die anstatt von Kämpfen mit blanker Waffe ausgeführt wurden, bei welch letzteren nicht selten Blut floß oder sogar Bedingung war, daß der Kampf erst mit dem Ende eines Kämpfers geschlossen werden durfte. Erinnern wir uns nur an die in der Ilias geschilderte Leichenfeier des Achilles, die der Held seinem gefallenen Freunde Patroklus zu Ehren veranstaltet: der Pelide selbst opfert zwölf kriegsgefangene Troer am Scheiterhaufen des Freundes. Bei den zu Ehren des berühmten Toten veranstalteten Kampfspielen gibt es einen Zweikampf, bei dem Blut fließen muß. Ein oskisches Grabgemälde in Kampanien stellt solch einen blutigen Speerkampf vor.

Aus der ungeheuren Zahl der bekanntgewordenen urzeitlichen Bestattungen Europas haben wir etliche aus rund 2500 Jahren vom Wiener Boden herausgegriffen. Ob es nun Angehörige des donauländischen Kulturkreises in Wien-Mauer, Indogermanen, Veneter oder Kelten waren, immer stand innige Liebe am Rande auch jener zeitlich fernen Gräber, und das Allgemein- Menschliche ist es, das uns mit jenen längst Dahingegangenen verbindet. Waren es doch Menschen, an denen sich Menschenschicksal erfüllte wie an uns, die Freud und Leid erlebten wie wir! Daher steht auch der Forscher, vor dem sich so manches Vorzeitgrab geöffnet, nicht ohne Bewegung vor einem solchen. Ist es nicht ergreifend, wenn um 900 v. Chr. Eltern ihrem toten Liebling das Saugfläschchen aus Ton mitgaben, oder als köstlichste Gaben, die um 1700 v. Chr. die Spätjungsteinzeit zu bieten hatte, der herrliche Glockenbecher und die kunstvoll geschliffene Armschutzplatte den teuren Toten ins Jenseits begleiten sollten? Und noch ein Trostreiches muß hervorgehoben werden, das uns das Wichtigste an Erkenntnis scheint: der Glaube an ein Fortleben im Jenseits, der in den Beigaben zum Ausdruck kommt, der Unsterblichkeitsglaube, der unserem Leben Zielsetzung und Sinngebung bedeutet.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung