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Kelten, Römer und Germanen

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In Salzburg fand im Sommer vergangenen Jahres die 6. Tagung österreichischer Historiker statt. Die im vergangenen Jahr auch von offizieller Seite ausdrücklicher betonte Notwendigkeit einer durchgreifenden Belehrung und Aufklärung der Jugend, aber auch der älteren Generation über die jüngste Geschichtsperiode Europas, Österreichs und somit auch Deutschlands müßte hierbei ausgiebigst erörtert worden sein und Vorschläge zur praktischen Durchführung dieser Forderung gezeitigt haben. Die Teilnehmer dieser Tagung kamen von den verschiedensten, den Geschichtswissenschaften beigeordneten Interessengruppen, so u. a. als Fachleute der Volks- und Völkerkunde, der Landesund Siedlungskunde, der historischen Geographie und Rechtskunde, der Numismatik und der Genealogie sowie als Museumsbeamte Außer der Gruppe der eigentlichen Historiker waren auch die Vertreter der Ur- und Frühgeschichte und der provinzialrömischen Forschung anwesend.

Die Forschungsaufgaben

Der Aufgabenkreis der beiden letzteren Forschungsgruppen ist durch die eigene Wahl ihrer Bezeichnung abgesteckt: Die provinzialrömische Forschung beschränkte ihren Kompetenzbereich (bis vor kurzem) von der Besetzung und Eingliederung Norikams (des keltischen Königreiches, welches u. a. das östliche, mittlere und südliche Österreich umfaßt haben soll) und Rätiens (Tirol und Vorarlberg) in das Römische Imperium (15 vor Christo bis 45 nach Christo) bis zu dessen Niedergang und Ende (in unseren Breiten zirka 400 nach Christo). Über diesen Zeitpunkt hinaus hat man provinzialrömisches Kulturgut in seinen letzten Äußerungen (frühchristliche Bauten und Denkmäler, spätantike Befestigungen) bis in das 6. Jahrhundert verfolgt.

Seit sich das Bild der mitteleuropäischen, Geschichte .jedoch .durch, die Ettfdeckiing des ,£ie;Kult0rkfeS(s (ąjs dffisęu alleigS„Jrągęi[ gfflßliW gerne die Kelten angesehen werden)- 2u Beginn dieses Jahrhunderts ausgeweitet hat, bildet der Fundkomplex dieser sich am Rande der historischen Welt (in Europa Griechenland und Rom) entwickelnden Gruppe den Kristallisa-

tionspunkt der Kompetenzstreitigkeiten zwischen den Vertretern der Urgeschichte und der Provinzialarchäologie.

Die Gruppe der Ur- und Frühgeschichte (vor 1938 schlicht Prähistorie genannt) wiederum begrenzt ihren Forschungsbereich nach rückwärts mit dem Paläolithikum ( = Altsteinzeit). Von diesem leitet das Mesolithikum zum Neolithikum, die Ältere, Mittlere und Jüngere Bronzezeit zur Älteren Eisenzeit über. Dieser Forschungsabschnitt wird mit der Jüngeren Eisenzeit (= La-Tene-Zeit) nach oben begrenzt und er reicht somit vom x-ten Jahrtausend bis etwa zu Christi Geburt.

Als zweiten Abschnitt ihres Kompetenzbereiches betrachtet diese Gruppe die (deutsche) Frühgeschichte und meint damit die Funde der Völkerwanderungszeit, also der Germanen, einschließlich der Hunnen, Awaren und Slawen. Diese Periode wird rund vom 5. bis zum 9./10. Jahrhundert angesetzt.

Im letzten Jahrzehnt hat ihnen die nun auch in Österreich ins Leben gerufene Gesellschaft für die Erforschung früh- und hochmittelalterlicher Denkmäler die Obsorge um Überreste des diesen Perioden parallellaufenden Kulturabschnittes (ihr Hauptinteresse gilt den Bauten der Karolinger- und Otto- nenzeit) abgenommen. Ihre Mitarbeiter rekrutieren sich sowohl aus der Gruppe der Provinzialarchäologen und Kunsthistoriker als auch der Historiker; denn die Beschäftigung mit diesen Denkmälern erfordert vor allem eine gründliche humanistische Bildung, die die unerläßliche Voraussetzung für das Verständnis vergangener Kulturepochen bildet. Während sich nun der Bildungsgang der eben genannten Studienfächer auf einer einigermaßen eir'reiflichen Ebene bewegt, ist dieser bei den Prä- historikern (oder vielmehr Ur- und Frühgeschichtlern) verschiedenster Natur. Eine nicht unbedeutende Anzahl unter ihnen stieß seit dem Aufkommen dieses Wissenszweiges in den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts aus dem Kreise der Germanisten hinzu, und Germanisten stehen heute noch (wenn man sich den Bildungsgang unserer bekannten Prähistoriker vergegenwärtigt) im Führungskader dieses Faches.

Einen bemerkenswerten Einfluß auf die Denkart und die Interpretationsweise der Prähistoriker üben die Anthropologen aus. Sie haben den Rassentheoretikern der Vergangenheit die willkommensten Argumente für den Primat der Herrenrasse geliefert (Lang- gegen Kurz- oder Rundschädel,

noraisci)e gegen ostiscne ocier meaiter- IOässe/usw. trareh die Stichworte), ler und der Sprachforscher (Indogermanisten) oder in einigen Fällen auch der Ethnologen gingen spätere Prähistoriker hervor. Eine Ausnahme bildete der Begründer und gleichzeitig der berühmteste Prähistoriker Österreichs,

Moritz Hoernes, der seine Laufbahn als klassischer Archäologe begann und dessen Hauptwerk: „Die Urgeschichte der bildenden Kunst in Europa“, auch heute noch seine Aktualität und Gültigkeit bewahrt hat (2. Auflage 1915).

Nordischer Stammbaum?

Es ist also aus den geschilderten Umständen verständlich, wenn die Gruppe der Ur- Und Frühgeschichtler die historischen Kulturperioden, wie in unseren Breiten die Römerzeit, Spätantike oder das frühe Mittelalter, aus ihrem Ausbildungsgang und infolgedessen auch aus ihrem Forschungsbereich ausschließt. Man könnte dem

gemäß auch meinen, daß sie sich damit begnügen würde, eine reine Sachkunde zu sein, deren Hauptaufgabe darin liegt, den nun einmal vorhandenen Fundstoff unhistorischer Perioden und Völker der europäischen Vergangenheit in ein (wenn auch nur relativ gültiges) chronologisches und typologisches System einzuordnen. Allein sie hat es vielmehr verstanden, im Fundgut sämtlicher prä- und frühgeschichtlicher Entwicklungsphasen, vor allem aber in der Keramik, indogermanische ( ~ nordische) oder mediterrane Elemente sowohl in der Form als auch in der Ornamentik zu differenzieren, und sie hat somit diesen erstmalig ethnischen Aussagewert beigemessen. Hatten sich realistisch denkende Forscher bis dahin begnügt, das Fundmaterial nach Fundorten zu gruppieren (zum Beispiel Lausitz, Baden, Frögg, Gemeinlebarn, Hallstatt oder La Tene — einem Ort in der Westschweiz), so wurde diese Gepflogenheit nunmehr zugunsten einer ethnischen Deutung aufgegeben. So wurden die Träger der Lausitzer oder Urnenfelderkultur als Indogermanen deklariert. „Indogermanen" ist ein völlig hypothetischer, konstruierter ethnischer Begriff, den die Sprachwissenschaft kreierte, um die äußersten — geographischen — Grenzen ihrer Forschungen, nämlich Indien und Germanien, zu illustrieren. Dieser Begriff hat außerhalb der deutschsprachigen Forschung keine Geltung, und wo er verwendet wird, wurde er sinngemäßer zu „indoeuropäisch“ umgedeutet.

Infolge dieser ethnischen Deduktion wurden die „Indogermanen“ zu Stammvätern der Illyrer, die nunmehr den Trägern der Hallstatt-kultur gleichgesetzt wurden. Diese Illyrer wiederum, deren Volks- oder Völkemame, aus der griechisch-römischen Welt überliefert, geographisch und zeitlich willkürlich gedehnt wird, indem man ihn Völker ganz Mit

tejeuropas und dann über ein Jahrtausend hinaus appliziert, werden nun die Väter, der Kelten und Germanen. Somit ist eine Verwandtschaft etabliert, die in der modernen Geschichte der prähistorischen und archäologischen Forschung nicht ohne tiefere Bedeutung blieb.

Bei der respektiven Einteilung des Skelettmaterials leisteten die Anthropologen wertvolle Hilfe, ebenso, wie bereits angedeutet, die Sprachforscher bei der Auffindung indogermanischer, im bereits konkreteren Fall illyrischer, dann keltischer und germanischer, aber auch lateinischer und slawischer Wurzeln unserer Fluß-, Orts-, Gebirgs- sowie Eigennamen. Das Ergebnis dieser gemeinsamen Bemühungen war, daß man sich somit wissenschaftlich berechtigt glaubte, von „altstammes- kundlicher Seite“ her die germanische Besitzergreifung in Europa (und die kulturelle Bedeutung dieser) bis in das

Neolithikum ( = Jungsteinzeit) ungebrochen nachweisen zu können.

Der Begründer dieser „Siedlungsarchäologie“ genannten Methode war der Deutsche Gustaf Kossinria., J)Įaęh' dem ersten Weltkrieg' erklärte eil, daß Gesinnuiig, Frühgeschichte der völkischen Bewegung zuführe und diese in den Dienst des Kampfes gegen den Romanismus in allen seinen Erscheinungen stelle und für die restlose Ausmerzung der Lüge von der Unkultur unserer germanischen Vorfahren (und somit für die Überlegenheit der nordischen Rasse und Kultur gegenüber der des Mittelmeeres) kämpfe“.

Seine Pionierarbeit wurde mit der Gründung des „Reichsbundes für Deutsche Vorgeschichte und dem Reichsamt für Vorgeschichte der

NSDAP“ mit Heinrich Himmler an der Spitze gekrönt. Dieses Amt stellte seine Mitarbeiter in den Dienst des „Kampfes um die Ostmark“, etwas später auch tun den „uralten deutschen: Siedlungsraum“ an der Weichsel ■■■**; Polen —, der Tschechoslowakei und in Ki-ain. ' Abteilung türn'Uf- tind Frühgeschichte am Bundesdenkmalamt verdankt diesen Prämissen ihre in ihrer heute unmotiviert wirkenden Begrenzung — Ausschluß des Römischen sowohl in sachlicher als auch personeller Hinsicht — ihre Gründung im Jahre 1938. Die Wichtigkeit, die die Machthaber der vergangenen Ära dem „schürfenden Spaten des Vorgeschichtlers“ beigemessen haben, kommt vielleicht auch darin zum Ausdruck, daß ein Prähistoriker zum Unterrichtsminister des Ministeriums Seyß-lnquardt ernannt wurde.

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