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Hilfe für den ganzen Menschen

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Das moderne Spital entstand seinem Konzept nach vor 500 Jahren. Bahnbrechend war die Initiative des Ordensgründers der Barmherzigen Brüder.

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Das moderne Spital entstand seinem Konzept nach vor 500 Jahren. Bahnbrechend war die Initiative des Ordensgründers der Barmherzigen Brüder.

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Die Barmherzigen Brü-der haben, von Anfang an und zu allen Zeiten, jedem ohne Unterschied geholfen. So auch in ihrem Krankenhaus in der Wiener Leopoldstadt, dem ältesten Krankenhaus der Stadt. Legendär ist die dortige Zahnambulanz, die von tausenden schmerzgeplagten Wienern jährlich aufgesucht wird. Dort wird - wie überall sonst im Haus - unentgeltlich und unbürokratisch geholfen, Jahr für Jahr in über 55.000 Fällen.

„Hilfe für alle, die unsere Hilfe brauchen”: Vor 500 Jahren vom heiligen Johannes von Gott, dem Ordensgründer der Barmherzigen Brüder, den Menschen versprochen, ist diese Devise bis an die Wende des dritten Jahrtausend im Orden lebendig geblieben. Wer war dieser Johannes von Gott, den wir heute als Pionier des abendländischen Spitalwesens bezeichnen ?

1495, als Sohn eines Gemüsehändlers in Montemor-o-Novo, südöstlich von Lissabon, geboren, läuft er mit acht Jahren von zu Hause fort, arbeitet als Hirte, Soldat, Gelegenheitsarbeiter, Straßenhändler und Buchhändler. Die große.Wende in seinem Leben erfolgt nach einer Predigt des Johannes von Avila im Jahre 1538.

Die Worte des Predigers treffen den Suchenden ins Herz. Nach der Freude kommen allerdings Entsetzen und Beue über sein vergangenes, verpfuschtes Leben. Er schreit, zerfetzt seine Kleider, schlägt um sich, zerreißt seine Bücher, gibt seine Habe den Armen. Man hält ihn für verrückt und bringt ihn in das „Königliche Spital” von Granada - zu den Irren, den am meisten Benachteiligten. Diese Erlebnisse, in der finsteren Welt der Schreie und des Schreckens, bestimmten sicherlich sein weiteres Leben.

Schon in der Anstalt beginnt er das Leid der Kranken und Ausgestoßenen zu lindern. Geläutert und gefestigt verläßt er im Frühjahr 1539 die Anstalt. Ab nun nimmt er sich der Kranken und der Bedüftigen von der Straße an. Noch im selben Jahr gründet er sein erstes Spital.

In den zwölf Jahren, die von der Gründung des ersten Spitals bis zu seinem Tode verstrichen, schuf er eine Pflegekultur, die das abendländische Hospitalwesen revolutionierte und das bis heute Gültigkeit hat.

Bevolutionär war vor allem die Qualität der Krankenbetreuung. In dem von Johannes gegründeten Spital wurden Begeln eingeführt, die in unseren modernen Krankenhäusern so selbstverständlich sind, daß wir uns gar nicht vorstellen können, daß es nicht immer so war.

Da war die Vorschrift, man solle für Buhe, Ordnung und Hygiene sorgen. Es war Johannes, der dies für seine Kranken erstmals forderte. Auch die Unterbringung der Pflegebedürftigen gesondert nach Geschlecht, Alter und Krankheit war zu seiner Zeit keineswegs üblich. Ebenfalls epochal war der Fortschritt, für jeden Kranken ein eigenes Bett bereitzustellen. Täglich zur vereinbarten Stunde, wenn der „Medico” oder Chirurg zur Visite kam, wurden Johannes und seine Helfer über die Krankheit jedes Patienten unterrichtet, über notwendige Heilmittel und Anwendungen. Um Irrtümer und Verwechslungen vorzubeugen wurden Beobachtungen am Patienten in Bücher und Hefte geschrieben. Johannes strebte eine ganzheitliche Pflege an.

Der Ansatz hatte Erfolg. Durch ein halbes Jahrtausend führen die Barmherzigen Brüder in 44 Ländern der Erde das Werk weiter. Nach wie vor gilt: Armen und Kranken zu dienen, sie zu betreuen, ohne nach Be-ligion, Herkunft oder Weltanschauung zu fragen.

Explodierende Kosten

Läßt sich dieses Ideal auch in unserer veränderten Welt, in der Gesundheitseinrichtungen zu Dienstleistungsbetrieben und die Gesundheit zum Geschäft geworden sind, verwirklichen? Kommt angesichts explodierender Spitalskosten und zunehmender Technisierung des Gesundheitswesens der selbstlose Dienst am Kranken und Sterbenden noch zu seinem Becht ?

Für Prior Fra-ter Paulus Kohler vom Krankenhaus der Barmherzigen Brüder in Wien stellt sich diese Frage nicht: „Der Mensch ist der gleiche wie zu Zeiten des heiligen Johannes. Das hat wenig mit Geschäft zu tun. Das einfache Gutsein ist heute aktueller denn je und das ist nicht so teuer.”

Das Krankenhaus in Wien hat 360 Betten. Insgesamt 460 Mitarbeiter, davon 92 Ärzte bemühen sich um die Kranken. Doch trotz sparsamer Gebarung, die nie auf Kosten der Patienten gehen darf - denn „da wäre es gescheiter, wir würden zusperren” -, ist jährlich ein Defizit zwischen 50 und 60 Millionen abzudecken. Daß es immer klappt, aus den roten Zahlen zu kommen, ist für Frater Paulus ein jährliches Wunder. Zu diesem „Wunder” tragen vor allem die vielen, vielen Spender bei der jährlichen Haussammlung der Barmherzigen Brüder bei.

Große Probleme hat der Orden mit dem Nachwuchs. Prior Paulus Kohler: „Wahrscheinlich müssen wir durch dieses Tief durch. In unserer Zeit der Werteverschiebung sind

Worte wie Liebe, Treue, Beständigkeit nicht modern.” So blieben alle bisherigen Bemühungen, junge Menschen für das Ordensleben zu begeistern, erfolglos. Was also tun ?

Die Ordensprovinz der Barmherzigen Brüder hat in Österreich zehn Niederlassungen. Um all die Werke im Sinne des Gründers weiterführen zu können, müssen immer mehr Mitarbeiter, die nicht dem Orden angehören, beschäftigt werden. Zur Zeit sind es österreichweit 3.400 Doch was wird sein, wenn in zehn bis 20 Jahren, die derzeit tätigen Brüder zurücktreten?

Dazu Provinzial Frater Florentin

Langthaler in der Festschrift der Österreichischen Provinz zum 500. Geburtstag des Ordensgründers: „Wir müssen jetzt die Denkansätze entwickeln, und ein realitätsbezoge-nes Umdenken einleiten, um unseren Weg über die Schwelle zum dritten Jahrtausend fortschreiben zu können. Die Marschroute hat uns Johannes von Gott, der Gründer unseres Ordensgemeinschaft, vorgezeichnet, es ist ein Weg zu den Armen und Kranken, die uns suchen ... Grundlegendes hat sich bereits angebahnt. Unser Orden hat sich - was die Hereinnahme der Laienmitarbeiter in die Verantwortung und

ihre Einbindung in sein Apostolat betrifft - gesamtkirchlich gesehen, am weitesten entwickelt. Wir Brüder wollen dabei als eine motivierte Gemeinschaft, mit unserer nach den Prinzipien des Evangeliums ausgerichteten I^ebensart und frei von den Anforderungen des Familienlebens, in unseren Werken durch unseren Dienst präsent bleiben.” Einen Rückblick auf 500 Jahre Krankenhaus- und Pflegewesen bietet die Ausstellung Abenteuer Leben ”, in der Galerie des Allgemeinen Krankenhauses, 1090 Wien, Währinger Gürtel 18-20. üie publikumswirksam aufbereitete Schau ist noch 6' Ende Juni 1995 frei zugänglich

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