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Auch der Tod gehört zum Leben

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In der Gesellschaft von heute, die das Sterben so gern verdrängt, scheint dieses Thema plötzlich aktuell zu werden. Österreichs Pastoralkommission, befragt über das Recht des Menschen auf einen gnädigen Tod, auf ein Sterben in Würde, hat kürzlich dazu Stellung bezogen.

Wem es nicht vergönnt ist, daheim im Kreise seiner Angehörigen aus dem Leben zu scheiden, muß den Tod im Krankenhaus erwarten. Hier ist er weitgehend auf Hilfe und Trost von Ärzten, Schwestern und Seelsorgern angewiesen. In ihre Hände gegeben sind Ausmaß und Zeitpunkt der Aufklärung über den Zustand des Patienten. Sie sind für den Ort, wo dieses zu geschehen hat, verantwortlich, aber auch für eine entsprechende Sonderbetreuung.

Zahlreich sind die Mängel in Österreichs Spitälern, und die Platzfrage stellt eines der brennenden Probleme dar. Aber solange nicht entscheidende Summen für den großzügigen Neubau von Krankenhäusern verwendet werden, mangelt es weiterhin an kleineren Räumen und Einzelzimmern. So bleiben oft nur das Badzimmer oder der Korridor, der- wie Krankenhausgeistliche in Lainz versichern - vor allem während der Nacht für den Sterbenden fast eine Art Zuflucht bedeutet. Hier wird er von Schwestern ständig beobachtet und gehört, hier hat er eher das Gefühl, nicht als anonyme Nummer im Massensaal vergessen zu werden. Nicht immer ist die Trennung des Sterbenden von den Zimmergenossen die ideale Lösung. Das Herausreißen aus der oft noch vertrauten Umgebung bedeutet neue Aufregung und Ängste, bedeutet für den sensiblen, noch wahrnehmenden Patienten die deutliche Kündigung des Endes.

Mancher jedoch sehnt sich nach dem Alleinsein, nach dem Sonderraum, in dem er ungestört seine Angehörigen empfangen und sich besinnen kann. Solange es keine geeigneten Sterbezimmer gibt - in einem Altenpflegeheim wie in Lainz mit 3500 Insassen und im zugehörigen Spital mit 1870 Patienten und einer dem entsprechenden Sterbequote eine Unmöglichkeit - hat man oft für die wirklich letzten Stunden nur das Badezimmer, dessen Umgebung der in Agonie Liegende kaum mehr registriert, oder als Alternative das Verbleiben im Großraum. Auch hier wird in den meisten Fällen nach besten Möglichkeiten gewissenhaft entschieden.

Weitaus freundlicher mutet dagegen das „Krankenhaus des göttlichen Heiles“ an. Seine Abteilungen haben eine Gesamtbettenzahl von 330, im Höchstfall 375. Es gibt zahlreiche Einzelzimmer, im Höchstfall werden die Räume mit fünf bis sechs Patienten belegt, die man nach dem Grad der Schwere ihrer Leiden kombiniert. Das überwiegend geistliche Personal behandelt selbstverständlich die Kranken ohne Ansehen der Konfession. Ältere Schwestern, die nicht mehr im vollen Einsatz stehen - also meist vom turnusmäßigen Nachtdienst befreit sind - widmen sich speziell den Sterbenden, denen auch manchmal Zimmer mit privatem Charakter zur Verfügung gestellt werden, besonders, um Angehörigen jederzeit Zugang zu gewähren.

Das Beispiel einer menschenwürdigen Sterbeklinik zeigt England mit seinem „Terminal Care Hospiz“. Diese Spitäler gibt es bereits in London und in Sheffield. Sie bieten 70 Patienten Platz, die, wissend um ihr Schicksal,, auf eigenen Wunsch in diese von 70 Ärzten und Schwestern und 300 Laienhelfern zwischen 16 und 80 Jahren vorbüdlich betreuten Häuser gehen. Hier steht der Patient mit allen seinen Launen und Wünschen, Tag und Nacht umsorgt, im Mittelpunkt Hier werden „non direktive“-Gesprä-che geführt, deren Inhalt er selbst bestimmt.

Wie die Schweizer Arztin Elisabeth Kübler-Ross in jahrelanger Beobachtung festgestellt hat, gibt es viele Patienten, die sich zwar über ihren Zustand klar sind und ausgiebig mit ihrem Sterben befaßt haben, plötzlich aber jeden Gedanken daran weit zurückweisen und in einer Anwandlung von Euphorie Zukunftspläne schmieden. Meist sind es jüngere Menschen, Krebs- oder Leukämiekranke. Da gilt es dann, vorsichtig die individuellen Bedürfnisse zu ertasten und das tatsächliche Wissen um ihre Krankheit zu ergründen. Das perfekte Management dieser freiwilligen, ehrenamtlichen Helfer-meist Hausfrauen und Mütter, in Spezialkursen durch Psychologen bestens geschult - hat nur ein Ziel: das betreute Sterben der Patienten. Hier wird nicht nur gelehrt, dem Todgeweihten und auch seinem Angehörigen Hilfe zu geben, sondern auch, wie man sich zu verhalten hat, wenn angebotene Hilfe abgelehnt wird. Oft kann man den Sterbenden sogar noch in häusliche Pflege entlassen; dann begleitet ihn ein „Home Care Team“, das ihn regelmäßig daheim besucht Muß er im Krankenhaus bleiben, so darf er in seinem Zimmer, das er meist mit mehreren- höchstens fünf-Patienten teilt, jederzeit Besuche empfangen. So kommen Angehörige aller Altersstufen - auch Kinder - zu ihm. Das kleinste war unlängst in Sheffield acht Tage alt

Still ist es in den Krankenzimmern, Sammlung und Ruhe herrschen auch in einer neutralen Kapelle, die eher einem Weiheraum entspricht Konfessionen spielen hier keine Rolle mehr -die große Sinnfrage, die mit Priestern aller Religionen und Konfessionen erforscht wird, steht über allem.

In diesen Sterbekliniken wird jede Form der Euthanasie abgelehnt Allerdings hat man sich entschlossen, keine Medikamente oder Beihilfen zur Lebensverlängerung zu verabreichen, sondern ausschließlich schmerzstillende Präparate zu geben, die dem Kranken die letzten Lebenstage noch erträglich machen, selbst wenn die Stärke der Dosen diese reduzieren sollten.

Zu gleicher Auffassung bekennt sich nun auch die katholische Kirche in einer jüngsten Aussendung der österreichischen Pastoralkommission. Sie plädiert für „die im Zuge des ärztlichen Beistandes mögliche und vielleicht notwendige Anwendung von leidensmindernden Mitteln, die sich unter Umständen lebensverkürzend auswirken können (wobei diese mögliche Folge um der Leidensminderung willen in Kauf genommen wird) „und verwirft“ die um der Leidensminderung wülen vorsätzlich durch aktive Maßnahmen (etwa die Verabreichung lebensbeendender Mittel) herbeigeführte Tötung eines schwerkranken oder sterbenden Menschen.

Wenn auch der Arzt gemäßg dem hippokratischen Eid keine Sterbenachhilfe geben darf, muß er bei seihen Maßnahmen dennoch entscheiden, wie sehr diese für den Todkranken eine Hüfe bedeuten, menschenwürdig zu sterben. Er muß „Lebensverlängerung, -erhaltung oder -Verkürzung, Leidverminderung und Freiheitsgewinn (als Möglichkeit, von seinen Angehörigen Abschied zu nehmen) gleichermaßen berücksichtigen“.

Ärzte und Schwestern plädieren meist dafür, dem Todkranken seinen Zustand zu verheimlichen und durch positives Verhalten seine Hoffnung auf Gesundung zu nähren und dadurch den Lebenswillen zu stärken, wogegen Seelsorger feststellen, der Sterbende wäre immer dankbar für die Wahrheit und damit für die Chance, seine irdischen Angelegenheiten noch zufriedenstellend regeln zu können. Hier muß wohl individuell entschieden werden. Grundsätzlich ist jeder Sterbende echt getröstet, wenn jemand - sei's Angehöriger, Arzt oder Priester - in seiner Nähe weilt

Mindestens ebenso wichtig wie jeglicher Beistand in der Todesstunde aber ist es, den Menschen immer wieder daraufhinzuweisen, daß sein eigener Tod zu seinem Leben gehört, daß er sich ein Leben lang in sein Sterben einüben muß. Das Sterben, das er als letzte große Lebensaufgabe zu bewältigen hat, sollte ihn nicht weithin unerwartet und unvorbereitet treffen. Zwar wird ihm im Krankenhaus die beste Hüfe der Medizin geboten, gleichzeitig aber der Weg zur Besinnung und Vorbereitung für einen christlichen Tod oft erschwert Das Krankenhaus ist eben ein Abbild der Gesellschaft, die es instituiert und unterhält

Es wäre ein Fehler,, zu denken, der Seelsorger fände dort keine geeignete Untersützung seiner Tätigkeit. Es gibt nicht nur eine beachtliche Zahl von Gläubigen, die im Grunde, trotz mancher Zweifel und Probleme, der christlichen Auffassung des Lebens treu geblieben sind, sondern auch die angeblich irdisch denkenden und praktisch gottlos und kirchenfern gewordenen Menschen sind meistens nicht so radikal religiöser Gesinnung abgewandt, daß sie nicht für eine gerade durch die Grenzsituation der Krankheit begünstigte Besinnung zugänglich wären.

Sterbehilfe bedeutet als christliches Prinzip nichts anderes, als den Nächsten in seiner kritischen Situation der Todesnähe zu helfen. Sie bezieht sich nicht nur auf den geistigen, sondern auch auf den körperlichen Beistand und stellt allerdings an Ärzte, Seelsorger und Pflegepersonal große Anforderungen; heute gibt es für diese Formen des Beistandes bereits eine spezielle Schulung, das „pastoral clinical training“ - die klinische Seelsorgeausbildung, wie sie kürzlich in Wien in einem Versuchskurs mit 20 Teilnehmern praktiziert wurde.

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