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Lebensrettung reicht nicht

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In Zusammenarbeit mit Univ. Doz. Hans Summer, Vorstand der neurologischen A bteilung im Wiener Rudolfsspital, hat Dipl. Ing. Alfred Turnofszky - selbst schwer behindert und in Behindertenorganisationen führend tätig-ein Konzept zur wirkungsvolleren Betreuung von Behinderten im Spitalssystem entwickelt. Der vorliegende Beitrag skizziert die Grundideen dieses Konzepts und seine Vorteile.

Moderne Spitäler sind heute vor allem darauf ausgerichtet, mit Hilfe aufwendiger Apparaturen in akuten Notfällen rasche Hilfe zu leisten, lebensrettende Maßnahmen zu ergreifen und aufwendige Untersuchungen durchzuführen.

Nun zeigt sich aber, daß nur eine Minderheit der Patienten solche Akutfälle sind: 1978 und 1979 waren etwa im Rudolfsspital nur rund 30 Prozent der Betten von solchen Patienten belegt. In den übrigen 70 Prozent lagen chronisch Kranke. Ihre Betreuung bedarf aber anderer Ansätze.

Für sie muß das Spitalsbett keine Mini-Intensivstation sein, teure Apparaturen und Analyseverfahren sind weniger wichtig und sie müssen auch nicht in einem für Zwecke der Lebensrettung maßgeschneiderten teuren Bau untergebracht sein.

Es sind ja gerade die Erfolge der Akutintervention, die für einen wachsenden Personenkreis das Problem des Lebens mit Behinderung mit sich bringen: Der Tod des Patienten wird zwar verhindert, seine Gesundheit kann aber nicht wiederhergestellt werden.

Diese Aufgabe, auf ein Leben mit Behinderung vorzubereiten, gilt es daher im medizinischen System besser als bisher wahrzunehmen.

Nicht vergessen sei darauf, daß es schon derzeit Einrichtungen der Rehabilitation, d.h. zur möglichst vollständigen Wiederherstellung der verlorenen Fähigkeiten des Patienten gibt. Sie sind allerdings nur für einige Erscheinungen (etwa Herzinfarkt und Querschnittlähmung) vorgesehen, während es etwa bei Schlaganfällen und den damit verbundenen Folgen wie Lähmungen und Sprachstörungen keine Hilfe gibt, obwohl gerade hier rechtzeitiges und konsequentes Training viel Erfolg bringen könnte.

Ausgehend von dieser Situation versucht das Konzept Summer-Tur- nofszky eine Änderung des Spitalsy- stems vorzuschlagen. Dem Anliegen der Behinderten könnte durch eine Betreuung in drei Phasen besser Rechnung getragen werden:

Die erste Phase der Erkrankung würde weiterhin in klassischen Diagnostik- und Therapiestationen behandelt werden. Allerdings wären schon in dieser Phase einige - im Hinblick auf die spätere Rehabilitation - wichtige Maßnahmen zu berücksichtigen.

Vor allem geht es von Anfang an darum, bestimmte Sekundärerscheinungen (also gewissermaßen Spätfolgen der ursprünglichen Schädigung wie etwa Verkrampfungen gelähmter Glieder oder Erstarrung nicht betätigter Gelenke) zu verhindern.

Große Bedeutung kommt selbstverständlich auch der psychischen Betreuung des Patienten zu, der ja zunächst vor einem unfaßbaren Chaos steht und wie gebannt auf seine verlorenen Funktionen starrt. Hier gilt es behutsam die Aufmerksamkeit auf die erhaltenen Funktionen zu lenken.

Ganz wichtig ist auch, daß von Anfang an den nur allzu verständlichen Tendenzen zur Resignation und Regression liebevoll entgegengearbeitet wird. Burschikoses „es wird schon werden“ ist da zuwenig.

Wichtig ist auch schon in dieser frühen Phase, daß der Patient im Rahmen der Möglichkeiten gefordert wird. Damit wird eine Grundtendenz schon in dieser ersten Phase erkennbar, die sich in der zweiten verstärken wird: die stärkere Betonung der personalen Zuwendung zum Patienten.

Die erste Phase zielt also auf möglichst wirksame Krisenbewältigung ab, hat jedoch bereits die bevorstehende Rehabilitation im Auge zu haben, um ihre Erfolgschancen zu erhöhen.

Die zweite Phase dient vorwiegend dem Aufbau vorhandener und der Besserung gestörter Fähigkeiten. Hier wird die Behandlung darauf abgestellt, daß der Patient zu einem stabilen Zustand seines Befindens geführt wird: Er sollte zu einem Lebensstil finden, der ihn möglichst unabhängig von fremder Hilfe macht.

Da die Lösung dieser Aufgabe stark von der persönlichen Situation des Patienten abhängt, ist diese zweite Phase als Abschnitt mit besonders individueller Betreuung zu konzipieren. Der apparative Aufwand ist im großen und ganzen gering, ebenso der Einsatz von Ärzten.

Schwestern hätten weniger für die Versorgung des Patienten, sondern eben für Aussprachen oder Spaziergänge zur Verfügung zu stehen.

Träger der Leistungen sind nunmehr vor allem Therapeuten, die ein umfassendes Trainingsprogramm in gegenseitiger Absprache entwickeln und durchführen. Wichtig ist daher natürlich die Mitwirkung des Patienten. Daher ist er ausführlich über die Ausrichtung der Aktivitäten zu informieren.

Der Arzt, der an der Behebung der akuten Notsituation mitgewirkt hat, sollte auch in dieser Phase weiterhin an der Betreuung des Patienten beteiligt sein und an der Koordinierung der Übungsprogramme mitwirken. Das begünstigt einerseits die Vertrauensbeziehung Arzt-Patient und ermöglicht auch einen Lernprozeß beim Arzt. Die bei der Rehabilitation gewonnenen Erfahrungen kommen ihm bei der Behandlung von Akutpatienten zugute.

Diese persönliche Kontinuität in der Betreuung ist nur möglich, wenn Intervention und Rehabilitation nicht räumlich getrennt sind, sondern unter einem Dach stattfinden. Der Patient übersiedelt also in eine neue Abteilung, wo er nunmehr mit Personen zusammenlebt, die ähnliche Probleme bei der Rehabilitation haben wie er. Dies ermöglicht, daß die Patienten voneinander lernen, sich gegenseitig ermutigen, Tricks beibringen.

Die derzeit geübte Praxis, Rehabilitationszentren weitab von den Behandlungszentren zu errichten, bringt unter anderem den Nachteil einer oft wochenlangen Trennung von der Familie mit sich. Dies ist äußerst ungünstig. Denn gerade die Familie, die den Behinderten wieder aufnehmen sollte, müßte ja in diesen Lernprozeß, den die Rehabilitation darstellt, eingegliedert werden. Auch die Familienmitglieder müssen ja lernen, unter den veränderten Bedingungen zu leben.

Daher sieht das vorgeschlagene Konzept auch vor, daß in der zweiten Phase die Familie eingeschaltet werden sollte.

Auf solchen Stationen zur Anpassung an einen neuen Lebensstil wären auch gewisse bauliche Maßnahmen erforderlich: Räume für Beschäftigungstherapie, Heilgymnastik, Arbeits- und Gruppentherapie wären einzurichten. Es sollten auch Möglichkeiten zu gemeinsamem Tun der Patienten gegeben und Mut zu Kontaktnahme gemacht werden.

Schließlich wäre eine dritte Phase im Rehabilitationsgeschehen vorzusehen. Es geht um die Eingliederung in die Umwelt unter neuen Bedingungen.

In Zusammenarbeit Ergotherapeuten, Sozialarbeitern, Ärzten und den einschlägigen Fachleuten gilt es, die Möglichkeiten der Technik optimal auf die Bedürfnisse der Person zuzuschneidern.

Die ärztliche Betreuung erfolgt in dieser Phase in eigens dafür eingerichteten Ambulatorien.

Folgende Vorteile zeichnen sich bei dem vorgeschlagenen System ab.

• Die Verweildauer der Patienten in aufwendigen Abteilungen wird verkürzt.

• Es kommt zu einer kontinuierlichen Betreuung des Patienten von der ersten Hilfeleistung bis zur Entlassung in die neue Lebenssituation.

• Die gesamte Behandlung wird vom Blickwinkel der zukünftigen Lebensgestaltung her gesehen und gesteuert.

• Die Zahl der Patienten, die relativ früh in häusliche Pflege entlassen werden können, ist hoch, die Selbständigkeit der Patienten größer.

Daß ein solches Modell durchausi nicht utopisch ist, zeigt die Tatsache, daß schon in der Zwischenkriegszeit, bei Tuberkuloseerkrankung, ein ähnliches Konzept realisiert worden ist.

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