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Eine Gegenwartsaufgabe der Medizin

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Im Rahmen der Ersten österreichischen Ärztetagung in Salzburg, bei der namhafte Gelehrte des In- und Auslandes das Wort zu den Gegenwartsaufgaben der wissenschaftlichen und praktischen Medizin ergriffen, gab ein anerkannter Fachmann, der Vorstand der Züricher chirurgischen Universitätsklinik, Univ.-Prof. Dr. A. Brunner, eine umfassende Schau über die modernen Methoden der Behandlung der Lungentuberkulose. Wir folgen im nachstehenden den bedeutsamen Ausführungen des Forschers. „Die Furche“

Die überraschenden Erfolge, die die Chemotherapie und die Entdeckung des Penicillins bei der Bekämpfung verschiedener Infektionskrankheiten gebracht haben, erwecken begreiflicherweise die Hoffnung, daß auch ein Mittel gefunden wird, das sich gegenüber den Tuberkelbazillen als wirksam erweist. Tatsächlich scheint nun das Strep-tomyein bei gewissen akuten Formen der Tuberkulose einen günstigen Einfluß auf den Verlauf der Erkrankung zu nehmen. Es dürfen freilich davon vorläufig noch keine „Wunder“ erwartet werden, zumal bei längerem Gebrauch des Präparates unerwünschte Nebenwirkungen nicht ausgeschlossen sind. Nach den bisherigen Erfahrungen kann aber vielleicht schon in kurzer Zeit ein modifiziertes, völlig unschädliches Präparat erwartet werden, das die bisherigen Behandlungsmethoden durchgreifend umgestalten wird.

Jede Bekämpfung einer Infektionskrankheit beginnt mit der Vorbeugung. Hiezu zählen bei der Tuberkulose genügende Ernährung und hygienische Wohnverhältnisse, frühzeitige Erfassung der unerkannten, meist undisziplinierten Bazillenstreuer und umfassende Reihenuntersuchungen.

Bei der aktiven Behandlung der Lungentuberkulose kommt der Heilstättenbehandlung in klimatisdi günstiger Lage bei vollwertiger Ernährung eine überagende Bedeutung zu. Dabei können auch noch ausgesprochen schwere, fortschreitende Formen der Tuberkulose in kurzer Zeit zum Stillstand kommen. Auch psychische Faktoren wie das Gefühl des eigenen Geborgenseins sowie die Beruhigung, die Angehörigen ausreichend befürsorgt zu wissen, können den Heilungsprozeß günstig beeinflussen. Das wichtigste Ziel der Heilstättenkur liegt heute darin, die Offentuberkulosen in die geschlossene Form überzuführen, womit die Lebenserwartung unvergleichlich günstiger gestaltet wird. Die zunehmende Verbesserung der Kurergebnisse ist im wesentlichen auf die vermehrte Anwendung der Kollapsbehandlung zurückzuführen. Es handelt sich dabei um operative Eingriffe, welche die tuberkulös erkrankte Lunge zum Zusammensinken bringen und durch diese funktionelle Ruhigstellung die Ausheilung begünstigen. Die Dauererfolge, die sich an Hand großer Untersuchungsreihen zeigen Jassen, erstrecken sich nicht nur auf leichte und mittelschwere Fälle; auch bei schweren Fällen, wie doppelseitigem Lungenbefund und großen Kavernen, können Dauererfolge in einem hohen Prozentsatz, mit voller Erwerbsfähigkeit und bazillenegativem Auswurfbefund erzielt werden.

Daraus ergibt sich: Das Schicksal der Offentuberkulösen wird in der Heilstätte entschieden. Der weitere Verlauf hängt davon ab, ob es gelingt, die offene Tuberkulose in eine geschlossene Form überzuführen. Wenn dieses Ziel erreicht wird, wird nicht nur das Leben verlängert, sondern es läßt sich auch ein hoher Prozentsatz Schwer--kranker klinisch heilen und voll arbeitsfähig machen. Diese Erfolge werdea durch Heilstättenbehandlung unter günstigen klimatischen Bedingungen in Verbindung mit sachgemäß durchgeführter Kollapstherapie erreicht.

Die Voraussetzung für eine erfolgreiche Therapie ist in erster Linie die Frühbehandlung. Sobald bei einer Lungentuberkulose eindeutiger Gewebszerfall festgestellt wird, darf mit der Anlegung des künstlichen Pneumothorax nicht gezögert werden. Da, wo Verwachsungen der Luftfüllung Schwierigkeiten bereiten, muß durch entsprechende Verfahren eine Lösung versucht werden. Die künstliche Zwerchfellähmung kommt dabei nur mehr ausnahmsweise bei Höhlenbildungen in den Unterlappen zur Anwendung, da sich gezeigt hat, daß der Zwerchfellatmung eine viel größere Bedeutung zukommt, als man eine Zeitlang anzunehmen geneigt war. Die öleinfüllung als früherer oder späterer, Ersatz der Lufteinfüllung wird nach wie vor abgelehnt, weil sie zu unerwünsditen Begleiterscheinungen und auch noch nach Jahren zu Spätkomplikationen Veranlassung geben kann. Hingegen hat sich bei bestimmten Formen der Kavernenbildung, namentlich bei älteren Leuten, nach Lösung der Verwachsungen, die Paraffinplombe bewährt.

Bei älteren Kavernen wird die sogenannte Thorakoplastik bevorzugt. Es handelt sich dabei um einen Eingriff, der durch Entfernung von Rippenteilen die Elastizität der sonst starren Brustwand gegen schrumpfendes Rippenfell und Lunge ermöglicht. Dieses Verfahren kann ohne Bedenken auch doppelseitig ausgeführt werden, es hat, wie unter anderem an einem Beispiel mit teilweiser Enfernung von fünf Rippen der einen und vier Rippen der anderen Seite gezeigt werden konnte, trotz schwerer Erkrankung zur Rückgewinnung der Arbeitsfähigkeit geführt.

In letzter Zeit werden auch Versuche unternommen, bei besonderen Formen der-Lungentuberkulose die Krankheitsherde durch noch radikalere Eingriffe, wie Entfernung von Lungenlappen, zu -beseitigen. Durch solche Eingriffe ist es wiederholt gelungen, die Kranken von ihrem quälenden Husten, der großen Auswurfmenge und auch von den Bazillen zu befreien.

Es ergibt sich daraus, daß die Möglichkeiten der chirurgischen Behandlung der Lungentuberkulose in ungeahnter Weise erweitert worden sind. Bei sorgfältiger Auswahl des Eingriffes bilden Doppelseitigkeit der Erkrankung sowie hohes Alter kein Hindernis mehr für die Heilung. Natürlich erfordert eine so intensive Behandlung eine gewisse Zeit, die durchschnittliche Kurdauer wurde mit etwas über elf Monaten errechnet. Einzelne Kranke, bei denen mehrfache Eingriffe notwendig sind, bis endlich die erwünschte Bazillenfreiheit erreicht wird, müssen auch bis zu zwei Jahren in der Heilstätte bleiben. Die Behandlungszeit ist in jenen Fällen kürzer, in denen mit der aktiven Behandlung sehr früh eingesetzt wurde. Man muß sich aber darüber klar sein, daß die Schematik zeitlich begrenzter Kuren eine Gefahr bedeutet. Tritt der Patient zu früh wieder ins Erwerbsleben, so kommen nicht selten Rückfälle vor, die den ganzen Erfolg der ersten Kur gefährden. Deshalb haben sich bei Kranken, die sehr langwierige Kuren hinter sich haben und solcherart der Arbeit ganz entwöhnt sind, die Einweisung in eigene Arbeitsheilstätten als sehr vorteilhaft erwiesen; sie leisten dort unter fortgesetzter ärztlidner Kontrolle eine langsam sich steigernde, regelmäßige Arbeit unter gleichzeitigem Abbau der Liegekuren, und ordnen sich so schrittweise wieder in die Arbeitsansprüche des täglichen Lebens ein.

Aber auch nach der Entlassung aus der Heilstätte dürfen die Genesenen nicht ganz ihrem Schicksal überlassen werden. Die meisten Rückfälle pflegen in den ersten zwei Jahren nach der Entlassung aufzutreten. Zu einer rationellen Behandlung gehört deshalb auch die Überwachung der Genesenen, am besten durch die Fürsorgestelle, auf die Dauer von 12 bis 15 Jahren.

Zur rationellen Tuberkulosebehandlung gehört aber auch die Lösung sozialer Fragen. Man kann von einer Kur nur eine Wirkung erwarten, wenn der Kranke von materiellen Sorgen befreit ist. Als ideales Ziel wird an eine Lohnausfallentschädigung gedacht, wie sie in der Schweiz bei Arbeitsunfähigkeit wegen Unfalls in der Höhe von 80 Prozent des Lohnes, neben freier ärztlicher Behandlung gewährt wird. Ebenso wichtig ist aber auch die Wiedereingliederung der aus der Heilstätte Entlassenen in den Arbeitsprozeß. Der Genesene soll einen Arbeitsplatz erhalten, der seiner Leistungsfähigkeit angepaßt ist; allenfalls ist Berufswechsel, beziehungsweise Umschulung notwendig.

Abschließend kann gesagt werden, daß die eindrucksvollen Verbesserungen in der aktiven Behandlung der Lungentuberkulose einen gewaltigen Fortschritt darstellen. Ergänzt werden die oben geschilderten Heilmethoden noch durch die wachsend erfolgreiche, wenn auch noch nicht ganz befriedigende Anwendung medikamentiöser Mittel, wie etwa des Streptomycin. Gerade in dieser Richtung darf von dem unermüdlichen Forschergeist noch vieles erwartet werden, was die schwergeprüfte Menschheit in weitestem Ausmaße von der schrecklichen Seuche der Tuberkulose befreien wird.

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