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200 neue Herzen

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Nur etwas mehr als sechs Jahre sind vergangen, und wir haben an unserer Klinik 190 Herztransplantationen, acht Transplantationen nach Überbrückung mit einem künstlichen Herzen, zwölf kombinierte Herzlungentransplan-tationen und zwölf Transplanta-tionen einer oder beider Lungen durchgeführt.

Ein mit drei Jahren operiertes Mädchen ist nun im Kindergarten und von den anderen Kindern nicht zu unterscheiden. Ein damals 66jähriger Ministerialrat ist wohlauf und genießt seinen Ruhestand wie nie zuvor. Die Einjahresüber-lebensrate der Herztransplantier-ten liegt nun bei 79 Prozent; einige leben bereits mit ihrem dritten Herzen, fünf Transplantierte leben schon länger als fünf Jahre.

Ist der Austausch der Herzen und/ oder Lungen Routine? Die Antwort hier und heute ist ein klares Nein. Während die Herztransplantation weltweit Zahlen und Ergebnisse erreicht hat, von denen man vor wenigen Jahren nicht einmal ge-träumt hat, stehen wir mit der Transplantation von Herz und Lungen gemeinsam oder der Lungen allein noch am Anfang. Der Unterschied ist - noch - gewaltig.

Weltweit wurden bis Ende 1989 zwar 12.600 Herzen transplantiert, aber nur 780 kombinierte Hefzlun-gentransplantationen durchgeführt. Die Lungentransplantation steht mit 160 Transplantationen einer Lunge und 50 Doppellungentransplantationen überhaupt am Anfang. Während weltweit die Operationssterblichkeit der einfachen Herztransplantation etwas unter zehn Prozent liegt, steigt sie bei kombinierter Herzlungen- oder Einzellungen transplantation schon auf 16 bis 18 Prozent. Die Sterblichkeit der Doppellungentrans-plantation liegt immerhin noch bei 39 Prozent.

Das beginnt einmal mit den Kandidaten. Während die Herz-kranken in einem frühen Zustand zugewiesen und evaluiert werden, sind die Lungenkranken ihremvielleicht vermeidbaren - Ende viel näher. Viele Herztransplantations-kandidaten warten zu Hause auf ihre Chance. Wenn sie nicht gerade dekompensiert und dem Lungen-ödem nahe sind, wissen sie um ihre Krankheit, spüren sie aber nicht. Sie haben einen eingeschränkten Bewegungsradius, können aber in der Ebene - angesichts ihrer kata-strophalen Herzfunktion - dennoch Unglaubliches leisten.

Anders die Herzlungen- oder Lungenkranken: ihre krankheits-bedingte Auszehrung ist weit fort-geschritten. Sie ringen um Luft. Wenn sie in den Spiegel schauen, sehen sie ihre bläulichen Lippen und ihre ängstlichen Augen - das Leid steht ihnen ins Gesicht geschrieben. Es kann niemanden wundern, wenn sie die Transplantation nicht mehr erleben.

Es vollzieht sich hier Medizinge-schichte in trauriger Weise. Natürlich haben uns Internisten, allen voran die Kardiologen, die ersten Herzpatienten sehr zurückhaltend und zögernd geschickt. Vorerst, weil es die allerersten Patienten waren, dann, weil die anfänglichen Resul-tate natürlich schlechter waren als die, mit denen wir heute internatio-nal reüssieren können. Freilich ist die Sorge des Internisten um "seinen" Patienten verständlich, den er aus seiner Obhut in die Hände des Chirurgen entlassen muß - vielleicht auf Nimmerwiedersehen. Auch das Hinauszögern des Eingeständnisses, mit dem eigenen Behandlungslatein am Ende zu sein, ist verständlich, vor allem, wenn gewohnte und bewährte Alternativen fehlen. Ergänzt wird die Problematik durch die Tatsache, daß eben Internisten nicht jene sind, die üblicherweise Operationen empfehlen und dazu raten, während umgekehrt Chirurgen zu wenig überlegen, ob Operationen vermeidbar wären und wie eindeutig die Indikation ist. Wenn man allerdings einem Patienten jahrelang erzählt, er hätte nur eine kleine Herzschwäche und es würde schon werden..., dann auf einmal umzuschwenken und zu sagen, er sei jetzt todkrank und sein Herz müsse entfernt werden, ist schier unmöglich. Durch die späte-zu späte - Zuweisung verringern sich die Chancen des Erfolges.

So kommen heute Patienten mit Lungenkrankheiten oder angebo-renen Herzfehlern und Mitbeteili-gung der Lunge in desolatem Zu-stand mit der Frage "Transplanta-tion?" an die Klinik. Bei Herzkran-ken hat sich die Transplantation schon viel mehr ins Bewußtsein der Behandler eingeschlichen. Sie wer-den an uns empfohlen, noch bevor Niere und Leber und... und... und... mitgeschädigt sind. Darüber hinaus gibt es immer wieder erstaunliche Eigeninitiativen von Menschen, die von sich aus die Möglichkeit der Transplantation ausschöpfen wol-len, auch wenn ihnen Kollegen die Hoffnung fast geraubt haben oder ihr Ansinnen sanft belächelt wurde. Einige haben es erreicht und hervorragend überlebt.

Zurück zu den Lungenkranken. Sie sind auch von anderer Gestalt. Während der Koronarpatient ent-weder gleich aussieht wie sein Nachbar oder nur ein bißchen dik-ker, mit vom Blutdruck gerötetem Gesicht und noch immer voller Pläne, was er vorher noch unbedingt erledigen muß, ist der Herzlungenpatient müde, gelähmt und todkrank. Er ist dünn, zart, von kleinem Wuchs und ohne Muskeln.

Das impliziert natürlich eine längere Wartezeit. Die Spender, die unsinnig und viel zu früh absterben, sind häufig junge Männer vor der Blüte ihrer Jahre. Groß, stark, hoffnungsträchtig, mit ihren Ma-schinen schneller als notwendig unterwegs, jedenfalls schneller, als es ihren Möglichkeiten entsprach. Was überbleibt, ist ein großer, starker Leib, dessen Organe sinnbringend verwendet werden sollten, wenn schon ihr Tod vordergründig keinen Sinn gibt. Für den Herzempfänger kann es nichts besseres geben, als ein großes, kräftiges Herz. Je größer das Herz, desto besser seine Pumpfunktion. Das ist das einzige, was man von diesem Organ erwartet: Daß es ohne großes Auf-sehen, jedenfalls ohne durch Herz-klopfen oder gar Schmerzen auf sich aufmerksam zu machen, den Kreislauf aufrechterhält und das Blut durch den Körper jagt.

Anders die Lungen. Ihre zarte, wabige Struktur reagiert empfindlich auf Druck von außen. Sie ist gewöhnt, von dünner Flüssigkeits-schicht umgeben, nur passiv gezo-gen zu werden. Dann gibt sie in ih-rem Inneren Raum, schafft Platz für die einströmende Luft. Schon die Beatmungsmaschine, die über einen Schlauch wie ein Blasebalg auf sie einwirkt, schadet ihr. Noch mehr eine Hand, die sie angreift, noch mehr ein Trauma des Brustkorbes. Auch bei tadellosem Röntgenbild bietet sich dem Auge oft ein unerwartet schlimmer Befund. Luftleere Bezirke, Quetschungen, Befunde, nach denen man die Lun-ge nicht mit gutem Gewissen ent-nehmen und wiederverwenden kann.

Die Anfälligkeit dieses Organs geht nach der Transplantation weiter. Es ist anfällig für Infektion und Abstoßung in seiner Doppelfunktion als Atemorgan mit einer Al-veolenfläche, so groß wie die Wartehalle des Westbahnhofs, und als Zielorgan der Lymphozyten. Ja, die Lunge opfert sich geradezu auf, wenn sie gemeinsam mit dem Herz-en transplantiert wurde. Auf wun-dersame Weise wird das Herz dieser Patienten nicht abgestoßen: Es wird von ihrer Lunge geschützt. Die Lunge reagiert auch auf Abstoßung und Infektion in gleicher Weise: die Lungenfunktion wird schlechter, im Röntgen bilden sich Infiltrate, sie wird angeschoppt von Zellen und die essentielle Frage-stellung nach jeder Organtrans-plantation steht im Raum: Absto-ßung oder Infektion?

Woran sonst sollte man bei einem versagenden transplantierten Herzen denken, als an eine Abstoßung? Die Vermutung liegt nahe, der nächste diagnostische Schritt - eine Entnahme eines kleinen Gewebe-stückes - ist klar, die Befundung prompt und einfach, die Therapie erprobt und meistens erfolgreich. Aber bei der Lunge? Die gezielte Entnahme von Gewebsproben ist schwieriger. Die vielfachen Ver-zweigungen würden wesentlich mehr Entnahmen notwendig machen und können Komplikationen verursachen, die beim unempfind-lichen Herzen keine Rolle spielen: was macht schon eine Blutung im Inneren des Herzens? Es zeigt sich also, daß die Kandidaten um etli-ches kränker sind als die Herzpa-tienten, Spender seltener und zu schlechter Letzt die Behandlung schwieriger und komplikations-reicher.

Nun können wir stolz sein, daß Österreich ein Zentrum hat, an dem bereits vier Herzlungentransplan-tierte längere Zeit überleben und von den zwölf lungentransplantier-ten Patienten mehr als die Hälfte überlebt haben.

Es ergäben sich aber auch Konse-quenzen für eine überregionale Pla-nung, wenn man über den Tellerrand des eigenen Spitals etwas hin-ausschaut. Betrachtet man die österreichische Herztransplantati-onslandschaft, so ist in Wien mit Umgebung (wozu man weiteste Teile Niederösterreichs zählen muß) die größte Transplantationsdichte zu finden. Das liegt natürlich in erster Linie am Einzugsgebiet, aber offensichtlich auch am Informa-tionsvorsprung und einer entspre-chenden Handlungsfreudigkeit. Hier findet sich auch das größte Spenderaufkommen, was ebenfalls auf die beiden genannten Faktoren zurückzuführen ist. Die Aktivität der Anästhesie im Bereich der vielen Intensivstationen, allen voran der Intensivstation I der Klinik für Anästhesie und Intensivmedizin, kann nicht genug bedankt werden.

Blickt man weiter hinaus, findet sich lediglich in Oberösterreich und in der Steiermark eine gewisse Verdichtung an durchuntersuchten und zugewiesenen Patienten, als auch an einem über dem Durch-schnitt der anderen Bundesländer liegenden Spenderaufkommen.

Noch sind die Unterschiede zwi-schen Herz-, Herzlungen- und Lun-gentransplantation groß. Aber mit früheren Zuweisungen zur Trans-plantation - oder zumindest Über-legungen Richtung Zuweisung -wird sich auch bei diesen schwerkranken Patienten mehr Erfolg einstellen. Voraussetzung ist die Bereitschaft, einen Strohhalm zu erfassen, bevor die Fluten über dem Kopf zusammenschlagen, wenn Rettungsboote anderer Art fehlen.

Der Autor leitet das Transplantationszentrum an der Zweiten Wiener Chirurgischen Universi-tätsklinik.

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