Leidenschaftliches Plädoyer für erneuerten Islam

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FURCHE-Kolumnist Mouhanad Khorchide legt mit seinem Buch "Islam ist Barmherzigkeit“ sein klares Programm zur Entwicklung einer zeitgenössischen islamischen Theologie vor.

"Islam ist Barmherzigkeit“: Um die Aussage des Titels kreist Mouhanad Khorchide in seinem gut aufgebauten und allgemein verständlichen Buch. Der in Beirut ausgebildete Theologe und in Wien ausgebildete Soziologe, der seit 2011 das Zentrum für islamische Theologie an der Universität Münster leitet, legt darin ein klares Programm für die Entwicklung einer zeitgenössischen islamischen Theologie vor. Er tut dies in scharfer Abgrenzung von salafistischen, traditionalistischen Auslegungen des Islam, die Khorchide - der in Saudi-Arabien aufgewachsen ist - hautnah erlebte. Diese Erfahrungen vibrieren zwischen den Zeilen - und so ist kein trockenes theologisches Lehrbuch entstanden, sondern ein leidenschaftliches, konzentriertes, energisches Plädoyer für eine Erneuerung des islamischen religiösen Denkens von den Grundlagen her. Khorchide versteht darunter den Kern der ursprünglichen Verkündigung durch Muhammad: ein Gottdenken und eine Gotteserfahrung, in der die Barmherzigkeit und Liebe Gottes im Zentrum stehen, sowie die universalen ethischen Prinzipien der Gerechtigkeit, Freiheit, Gleichheit, Menschenwürde und sozialen Verantwortung.

Eine Theologie der Barmherzigkeit

Khorchide entfaltet in einem ersten Schritt eine koranische Gotteslehre, die um den Begriff der Barmherzigkeit kreist und das Fundament einer "Theologie der Barmherzigkeit“ bildet, die er explizit allen religiös und politisch repressiven, restriktiven und autoritären Auslegungen des Islam entgegensetzt und die er als "Theologie des Gehorsams und der Angst“ bezeichnet. Damit gewinnt er aus dem Koran selbst das zentrale hermeneutische Prinzip, das für die Interpretation der einzelnen Aussagen des Koran und der Sunna leitend sind. Gegen eine Veräußerlichung und Aushöhlung des Islam als Gesetzesreligion, bei der die Regeln und Vorschriften in den Vordergrund gestellt werden, gegen die Verrechtlichung aller Lebensbereiche setzt er die Bedeutung der Beziehung zwischen Mensch und Gott auf Basis von Liebe und Vertrauen. Gegen eine willkürliche Auswahl von Koranaussagen, die sie für die Rechtfertigung von Gewalt instrumentalisiert, wird die Interpretation des Koran an klare theologische Kriterien und koranische Maximen gebunden.

Khorchide bezeichnet diesen Zugang als "humanistische Koranhermeneutik“: "Im Koran geht es um den Menschen, nicht um Gott.“ Er stützt sich dabei explizit auf Ansätze einer historischen Kontextualisierung von koranischen Aussagen. Angelpunkt einer modernen Reform des islamischen Rechts ist für ihn wie für andere Reformdenker die Unterscheidung zwischen universalen ethischen Prinzipien, die in der mekkanischen Phase der Verkündigung offenbart wurden, und den partikularen juristischen Vorschriften und Maßnahmen aus der medinensischen Phase, im Kontext des Aufbaus eines islamischen Gemeinwesens im 7. Jahrhundert. Durch diese Unterscheidung soll eine Blockierung der Weiterentwicklung des islamischen Rechts und der Praxis überwunden werden und damit grundsätzlich die Kluft zwischen Islam und Moderne.

Auf den Schultern islamischer Reformer

Khorchide steht mit diesem Reformmanifest auf den Schultern von Riesen wie z.B. des pakistanischen Intellektuellen Fazlur Rahman oder des ägyptischen Gelehrten Nasr Hamid Abu Zaid, mit denen er das grundsätzliche Anliegen einer Befreiung des Islam von einer rückwärtsgewandten Verrechtlichung und Aushöhlung und den theologischen Zugang über eine neue Koranhermeneutik teilt. Der Unterschied zu den Reformdenkern in den islamischen Ländern ist, dass Khorchide diese radikale Reform im Kontext der Freiheit in Europa entfalten und institutionell umsetzen kann, ohne dabei Kopf und Kragen zu riskieren.

Ob ein beherzter, theologisch fundierter Reformansatz des Islam wie dieser langfristig an Boden gewinnen kann, betrifft die Zukunft des Islam ebenso wie die Frage der Integration der Muslime in die politische Kultur Europas und darüber hinaus das Zusammenleben der Verschiedenen im globalen Dorf insgesamt.

Der Autor, kath. Theologe und Religionswissenschaftler, leitet das Zentrum Religion u. Globalisierung an der Donau-Uni Krems.

Islam ist Barmherzigkeit

Grundzüge einer modernen Religion.Von Mouhanad Khorchide. Herder 2012.

220 Seiten, geb. € 19,60

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