Zwischen Gottesstaat und Staat ohne Gott

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Nicht erst seit dem 11. September ist klar, dass das Verhältnis von Staat und Religion nicht nur eine juristische, sondern auch eine wichtige theologische Frage ist - und das Thema der 4. Ökumenischen Sommerakademie in Kremsmünster.

Das Ganze ist sattsam bekannt, und täglich hört man davon in den Nachrichten. Es scheint unvermeidlich zu sein, denn es vergeht nahezu kein Tag, an dem es nicht schon wieder eine neue Meldung gibt, in der in irgendeiner Form Juden, Christen und Muslime in unterschiedlichen Paarungen aufeinanderprallen - sei's in der Innenpolitik, wie jüngst in Deutschland, sei's in internationalen Konstellationen, im Westjordanland oder auf den Philippinen oder in Indonesien. Das Attentat vom 11. September erscheint wie eine unvermeidliche Fußnote zu diesen Konflikten.

Diese chronischen politischen Spannungen werden von vielen als symptomatisch für den Konflikt zwischen dem Islam und dem Westen angesehen. Aber auch die monotheistischen Religionen allgemein stehen im Verdacht, das Öl für das Feuer dieser Konflikte zu liefern. Denn, so das Argument, monotheistische Religionen seien unduldsam und hätten durch die enge Verknüpfung von Staat und Politik eine Tendenz zum Totalitären. Und wenn sich das Argument schon nicht auf alle drei Abrahamsreligionen bezieht, dann steht für die meisten jedenfalls für den Islam fest, dass es sich hier um eine totalitäre Religion handelt. Schließlich sei das Ziel des Islam der Gottesstaat.

Das unentwegte Thema

Aber so einfach ist es nicht. Wer so argumentiert, übersieht zunächst, dass die Konflikte zwischen Israel und den Palästinensern, zwischen der philippinischen Regierung und den muslimischen Rebellen oder zwischen den verschiedenen Bevölkerungsgruppen in Indonesien Kämpfe um Territorium, Selbstbestimmung und gesellschaftliche Anerkennung sind - dass diese Konflikte also das unentwegte Thema von Politik und kriegerischen Auseinandersetzungen noch einmal wiederholen. Dann aber ist die Frage nach dem Verhältnis von Politik und Religion in Judentum, Christentum und Islam sehr sensibel und nicht mit einer eindeutigen Antwort abzuhaken. Und außerdem betrifft diese Frage nicht nur Konflikte, von denen man bei den Abendnachrichten im Fernsehen ein paar Bilder sieht und morgens ein paar Schlagzeilen in der Zeitung liest.

Die Frage nach dem Verhältnis von Politik und Religion betrifft die Zukunft der Europäischen Union in mehrfacher Weise. Denn erstens besteht Europa schon seit langem nicht mehr aus mehr oder weniger monolithischen konfessionellen Blöcken, auch wenn die Spuren des Grundsatzes cuius regio, eius religio - wer herrscht, bestimmt die Religion der Untertanen - immer noch die Religionskarten bestimmen.

Zweitens versteht sich die Europäische Union als eine säkulare Föderation von Staaten, in der zwar alle Religionen Platz haben, jedoch von einer direkten Beteiligung an der Macht ausgeschlossen sind.

Drittens ist Europa religiös sehr vielfältig geworden. Dazu tragen wesentlich die durchschnittlich ungefähr 10 Prozent muslimischer Mitbürger bei, die heute in den Staaten der Europäischen Union leben. Damit aber baut sich ein Spannungsfeld der besonderen Art auf - zwischen den zumindest der Verfassung nach säkularen Staaten einerseits, den traditionell in Europa verankerten christlichen Konfessionen andererseits und dem Anspruch der Muslime, ihre Religion nach ihrem eigenen Verständnis leben zu können.

Genau hier aber stoßen dann die politischen Theologien der abrahamitischen Religionen mit einem säkularen Verständnis von Politik und Staat zusammen. "Gottesstaat oder Staat ohne Gott" ist das Stichwort, auf das man die Frage bringen kann. Unter diesem Titel widmet sich die heurige 4. Ökumenische Sommerakademie dem brisanten und schwierigen Thema. Vom 10. bis zum 12. Juli werden im oberösterreichischen Stift Kremsmünster namhafte Referenten - aus dem deutschen Sprachraum und von der Hebräischen Universität in Jerusalem und der Al-Azhar-Universität in Kairo - zu den anstehenden Fragen Stellung nehmen. Veranstalter der Ökumenischen Sommerakademie sind der ORF-Abteilung Religion Hörfunk, die katholische Privatuniversität Linz, der Ökumenische Rat der Kirchen und die Evangelische Kirche Oberösterreichs.

Im Zentrum der Tagung stehen die politischen Theologien der drei abrahamitischen Religionen. Judentum, Christentum und Islam enthalten alle eine "Anleitung für das rechte Leben" - das heißt, ethische Regeln und Handlungsanweisungen, die das tägliche Leben bestimmen. Das trifft allerdings für alle Religionen zu. Denn Religion ist nie bloß folgenloses Ritual oder Lektüre von heiligen Texten, sondern eine Lebenspraxis, die sich irgendwie auf alle Aspekte des Lebens bezieht, also auch auf die Beziehung zu anderen Menschen, auf den Umgang mit Besitz, und so weiter.

Und Menschenrechte?

Nach neuzeitlichem, säkularen Verständnis allerdings gehört Gott nicht in den Staat, und Religion ist Privatsache. Doch das ist ein Problem - denn wenn Religion Privatsache ist, woher kommen dann die ethischen Grundlagen, die den öffentlichen Bereich bestimmen? Heute würde man an dieser Stelle die Menschenrechte anführen - überstaatlich ratifizierte Normen, an die man appellieren kann. Dass nicht alle staatlichen Gesetze und Vorgangsweisen staatlicher Organe in der europäischen Union den Menschenrechten entsprechen, ist bekannt. Das gilt auch für Österreich, wie in der letzten Zeit verschiedentlich deutlich wurde.

Die Menschenrechte als ethisches Ideal unterlaufen allerdings die Vorstellung, es gäbe einen "Staat ohne Gott". Denn sie verdanken sich der Säkularisierung biblischer Haltungen, Stichwort "jeder Mensch ist Kind Gottes". Notwendig war diese Säkularisierung, weil die jahrhundertelange Allianz zwischen Kirche und Staat genau den Raum, in dem jedem Menschen gleiche Würde und gleiches Recht zukommt, zum "Gottesstaat" gemacht hatte. In der Praxis bedeutete das die Bildung von Hierarchien, die Ausgrenzung und gegebenenfalls auch die Kriminalisierung Andersdenkender - Protestanten, Juden, Pazifisten, etc. Die österreichische Variante des "Gottesstaates" dauerte bis 1938, bis zum Ende des Ständestaates.

Dass "Gott" - man sollte besser JHW schreiben, um die Transzendenz des biblischen Gottesnamens zu wahren - der Mittelpunkt für die Integration von verschiedenen Stammesgruppen zu einem Volk werden kann, lässt sich in der hebräischen Bibel nachlesen.

Der Eifer, mit dem die Propheten die Treue Israels zu JHW, dem Ewigen und Unfassbaren, reklamieren, entspringt einer Situation der Verzweiflung, weil die Integration zu einem Staat nicht gelingt oder weil das Volk Israel sich in Gefangenschaft und Unterdrückung befindet. Wenn aber aus dem Unfassbaren und Ewigen der real existierende Garant einer weltlichen und damit vergänglichen Ordnung werden soll, verschwindet JHW, und der Staat tritt in den Vordergrund.

Auch wenn sich Israel als ein säkularer Staat versteht, hat der Staat Israel diese Probleme geerbt. Der messianische Staat, den die Zionisten erträumten, war inspiriert von diversen europäischen Nationalismen des 19. Jahrhunderts. Und so wurde aus dem Kommen des Messias am Ende der Zeiten der säkularisierte Traum von einem jüdischen Nationalstaat. Die britische Kolonialpolitik hat den Staat Israel dann möglich gemacht. Aber das steht auf einem anderen Blatt.

Spätestens seit dem 11. September hat Schlagwort vom "islamischen Gottesstaat" an Bedrohlichkeit gewonnen. Dass viele hochrangige islamische Gelehrte den Anschlag verurteilten, und zwar aus religiösen Gründen verurteilten, wird meist nicht wahrgenommen. Und ebensowenig wird wahrgenommen, wie differenziert die Diskussionen um das Verhältnis von Gott und Staat, von Qur'an und Recht in der islamischen Welt ist.

Holzschnitt-Islam

Das liegt auch daran, dass die meisten nur eine Art Holzschnitt-Version des Islam kennen. Die vielzitierte Formel "Der Islam ist Religion und Staat" ist eine Kampfformel gegen den Säkularismus, so Gudrun Krämer, Islamwissenschaftlerin an der Freien Universität Berlin und Referentin bei der heurigen Ökumenischen Sommerakademie. Doch die Islamisten, die eine Einheit von Religion, Recht und Politik fordern, stoßen selbst innerhalb der islamischen Welt auf religiös motivierte Kritik. Denn der Koran ist zwar nach muslimischen Verständnis Wort Gottes im buchstäblichen Sinn, doch das macht - ebenfalls nach traditionell muslimischen Verständnis - eine durchgehende Auslegung des Korans notwendig. Allein der Umstand, dass es ganz verschiedene Formen des Islam gibt - von der harten Form der Wahhabiten in Saudiarabien bis zu den ganz anders gestimmten asiatischen Muslimen - zeigt, dass es nicht nur eine einzige Lesart des Koran gibt. Und die Intensität der Diskussionen, die etwa zur Zeit im Iran über die Verbindung von Demokratie und Islam geführt werden, ist bemerkenswert. Eine ähnliche Intensität würde auch österreichischen Christen gut anstehen, wenn es um die Beziehung von biblischer Sozialethik und aktueller Wirtschaftspolitik geht.

Die offene Frage ist: welche Stränge der politischen Theologie aus den drei abrahamitischen Religionen werden sich durchsetzen und das Verständnis der Gläubigen bestimmen? Und welchen Status und welche Bedeutung werden die Religionen in einem säkularen Europa haben? Belanglos sind die Fragen nicht. Denn Religion genauso wie Säkularität besteht nicht nur aus irgendwelchen Events, sondern gibt Handlungsweisen und Lebensformen vor und bestimmt dadurch das öffentliche Leben.

Die Autorin ist Religionswissenschafterin und Religionsjournalistin im ORF-Hörfunk.

Informationen zur 4. Ökumenischen Sommerakademie (10.-12. Juli) im Stift Kremsmünster: ORF-Hörfunk, Argentinierstr. 30a, 1041 Wien, Tel: 01/50101-18320, Fax: -18923, Internet: http://religion.orf.at

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