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Religion als Wirklichkeit

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CHRISTENTUM UND RELIGION. Von Heinrich Kahlefeld — Ulrich Mann — Bernhard Welte — Claus Westermann. Pustel-Verlag-, Regensburg, 1966, 106 Seiten, kartoniert. DM T.SO.

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CHRISTENTUM UND RELIGION. Von Heinrich Kahlefeld — Ulrich Mann — Bernhard Welte — Claus Westermann. Pustel-Verlag-, Regensburg, 1966, 106 Seiten, kartoniert. DM T.SO.

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Im Bewußtsein des „Mannes auf der Straße“ sind Christentum und Religion keine sich irgendwie gegenüberstehenden Begriffe, sondern das Christentum ist entweder die wahre Religion, im Unterschied zu den „vielen falschen Religionen“, oder es ist gar eine unter vielen Religionen. Spätestens seit Karl Barth ist aber gegen solche Vereinfachung protestiert worden, und seitdem hat die Diskussion über das Verhältnis dieser beiden Größen weitere Kreise gezogen. Dietrich Bonhoeffer spricht vom Ende der Religion durch die Säkularisation und sieht darin das legitime Ergebnis des paulinischen und reformatorischen Evangeliums. Anderseits ist es unbezweifelbar, daß sich das heutige Christentum nun einmal auch unter religionsphäno-menologischem Aspekt zeigt und daß die Tiefenpsychologie (s. C. G. Jung) die Wirklichkeit der Religion im Menschen erkannt hat.

Uber diese Fragestellungen hinaus drängt auch die heute durch das Zusammenrücken der Menschheit bedingte verstärkte Begegnung von Christentum und Religionen zu einer Behandlung dieses Themas. Auf einer gemeinsamen Tagung der Evangelischen Akademie Tutzing mit der Katholischen Akademie in Bayern im März 1965 in München wurde dieses Thema von den verschiedenen Seiten her beleuchtet. Die Referate wurden gesammelt und gedruckt herausgegeben.

Der Heidelberger Alttestamentler Claus Westermann behandelt das Thema vom Alten Testament her und sucht dort das typisch Religiöse vom nicht typisch Religiösen abzugrenzen: „Was nach dem Bericht des AT zwischen Gott und Seinem Volk geschehen ist, hat eine spezifisch religiöse und eine nicht spezifisch religiöse Komponente“ (S. 16). Dies zeigt er an Hand des Exodusberichtes, des Gebetes im AT und der Urgeschichte in Gen. 1—11. Das nicht typisch Religiöse liegt im Exodusbericht und im AT-Gebet in Bezug auf die Geschichte, auf das geschichtlich Einmalige. „Die Urgeschichte zeigt einmal, daß Israel, das Volk Gottes, bei aller scharfen und deutlichen Absonderung von den Religionen seiner Um- und Vorwelt doch seine Zugehörigkeit zu einer Menschheit, zu deren Daseinsform Religionen gehörten, bejaht und theologisch durchdacht hat. Sie zeigt gleichzeitig, wie das Bekenntnis zu dem einen Gott die mächtigen Grundmotive der mythischen Religionen verneinte und eben damit die Welt, der Mensch und die Menschheitsgeschichte als diesseitiges Gegenüber zu Gott dem Schöpfer und dem Herrn der Geschichte gesehen wurden“ (S. 31). Die nicht typisch religiösen Faktoren können im AT noch nicht auf einen Nenner gebracht werden, sie können aber in ihren verschiedenen Ausprägungen verständlich machen, daß das Ziel dieser „Geschichte Gottes mit Seinem Volk“ die Inkarnation, die Menschwerdung Gottes war.

Heinrich Kahlefeld vom kirchlichen Institut für Katechetik und Homiletik in München stellt seine Überlegung anhand des Johannesevangeliums an. Der Verfasser des Johannesevangeliums spricht in einer synkretistisch gesinnten Welt; die johanneische Sprache klingt sehr an die hellenistische Sprache an. Aber im Unterschied zu den gnosti-schen Mythen zeigt dieses Evangelium immer wieder, daß es ihm um die inmitten der Geschichte stehende Gestalt Jesu von Nazareth geht. Auch das Erlösungswerk ist streng an diese geschichtliche Gestalt gebunden. Das Heil wird immer nur aus Glauben an diese geschichtliche Gestalt geschenkt, und auch dieser Glaube ist eine Gabe, die nicht erworben, sondern nur schlechthin empfangen wird. Das vierte Evangelium zeichnet sich also aus durch eine Ernstnahme und Kenntnisnahme der Religion: Johannes bejaht dieses schöpferische Vermögen; es steht offensichtlich dafür, diese Denkart mit dem Evangelium zu konfrontieren; das heißt aber bereits: die Selbstgenügsamkeit die ser Religion aufzubrechen. Gelingt dies, wird Religion zum Glauben erhöht. Anderseits bewahrt sich der Glaube vor Dürre und Wertlosigkeit, wenn er auf die Religion hinschaut und in ihrer Sprache und Denkart redet. Aber bei alldem ist zu bedenken, daß das Verhältnis labil ist, daher stets Wachsamkeit und Überprüfung geboten ist.

In seinem Beitrag „Religion als theologisches Problem unserer Zeit“ bietet Ulrich Mann eine Übersicht über die Entstehung der Problemlage bis herauf zu Karl Barth, Dietrich Bonhoeffer und John A. T. Robinson. K. Barth tendiert zu einer rein innermenschlichen Auffassung der Religion. Religion steht damit als historisches Phänomen der Offenbarung strikt gegenüber. Für Barth ist Religion nur Menschenwerk. Offenbarung ist daher die „Aufhebung der Religion“. Karl Barth nimmt allerdings die außerchristlichen Religionen gar nicht wirklich in den Blick. „Was er unter Religion versteht, ist vorwiegend eine scheinbar christliche, kulturprotestantischen .Religiosität'“ (S. 69). Von einem ähnlichen Religionsbegriff geht Dietrich Bonhoeffer (t am 9. April 1945 im Konzentrationslager Flossenbürg) aus. Bon-hoeffers entscheidender Schritt über Barth hinaus bestand darin, daß er Barths Auffassung in die geistesgeschichtliche Lage unserer Zeit übertrug. Er hat die „säkularisierte“ Welt vom Glaube -Jer begriffen. „Das Evangelium hat die Welt ent-göttert, um sie dem wahren Gott zu unterstellen“ (S. 70). Säkularisation dar! bei Bonhoeffer nicht verwechselt werden mit Säkularismus. Letzterer „ist die eigenmächtige Übersteigerung, worin der Mensch sich vom Auftraggeber des Schöpfungsgebotes löst und die Welt als sein Eigentum ansieht“ (S. 70). Religion versucht immer, eine Grenze zu ziehen und Gott in eine ferne Transzendenz hinauszuschieben, von wo aus Er hier und da noch als „Lückenbüßer“ für ungelöste Probleme ins Diesseits hereingeholt werden kann. Nach Bonhoeffers Denkweise ist jedoch „Gott i n der Welt jenseitig“ (S. 71). „Die Religion, verstanden als Synthese von Metaphysik und Religiosität, ist nun am Ende .. Für John A. T. Robinson ist der über- und außerwelttiche Gott erledigt, Gott muß ganz und gar im Diesseits gesucht werden“ (S. 71).

In einem zweiten Teil kritisiert U. Mann diesen Thesen: Barths Entgegensetzung von Offenbarung und Religion ist höchst problematisch, weil sie dem Gedanken der Inkarnation des Gotteswortes nicht voll Rechnung trägt (S. 72). Wenn man die biblische Offenbarung nur in ihrer Verflechtung in die religionsgeschichtliche Umwelt wirklich verstehen kann, so „versteht man zugleich damit die Religion als das un-aufgebbare Medium der Gottesoffenbarung“ (S. 73). Das Unterscheidende kann erst sichtbar werden, wenn man auch die Verflechtungen sieht.

Die im Anschluß an Bonhoeffer manchmal so sicher und lautstark vertretene Lehre vom Ende der Religion in unserer Zeit widerspricht in wesentlichen Zügen einfach der Wirklichkeit. Diese These enthält eine unbestreitbare Teilwahrheit, nämlich, daß der Begriff der Religion in unserer Zeit fraglich geworden ist. „Außer Frage steht jedoch, daß die Sache Religion weiter-existiert“ (S. 76). Die Wirklichkeit der Religion hat sich mittlerweile längst in zwei Bereichen der Wissenschaft wieder als unbezweifelbar erwiesen: in der Religionsphänome-nologie und in der Tiefenpsychologie (S. 79). Die Religion lebt noch, „wenn auch verborgener als in früheren Zeiten. Sie lebt vor allem im Bereich der Tiefe unserer Seele weiter“ (S. 80). „Unter diesem Aspekt ist die in unserer Zeit übliche theologische Scheinerledigung der Religion geradezu als gefährliche Verdrängung zu bezeichnen. Der Theologe, der das .Ende der Religion' für das Wesen der biblischen Offenbarung hält, macht sich also dieser höchst gefährlichen Verdrängung schuldig“ (S. 81).

Die Beiträge des genannten Buches bieten auf die zu Anfang genannten Probleme wirklich Antwort. Die Beiträge sind von Fachleuten geschrieben und auch für einen weiteren Leserkreis verständlich. Ein Literaturverzeichnis wäre allerdings wünschenswert.

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