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Kein „Heiliger Krieg“ mehr?

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Moschee und Kirche, die sich an der Spitze berühren: Zeichen eines Dialogs — und einer möglichen Zusammenarbeit? In Tripolis, der Hauptstadt Libyens, prangten die zum Doppelturm gewordenen Gebetsstätten von Christentum und Islam an der Stirnseite: während eines fünftägigen Dialoggesprächs, das als Sensation in der Wechsel vollen Geschichte beider Konfessionen anzusehen ist. Und doch: sind die Grenzen, die diese beiden großen monotheistischen Weltreligionen trennen, nicht zu signifikant, die Gräben nicht zu tief? Sind die Gegensätze nicht auch aktuell zu „politisch“?

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Moschee und Kirche, die sich an der Spitze berühren: Zeichen eines Dialogs — und einer möglichen Zusammenarbeit? In Tripolis, der Hauptstadt Libyens, prangten die zum Doppelturm gewordenen Gebetsstätten von Christentum und Islam an der Stirnseite: während eines fünftägigen Dialoggesprächs, das als Sensation in der Wechsel vollen Geschichte beider Konfessionen anzusehen ist. Und doch: sind die Grenzen, die diese beiden großen monotheistischen Weltreligionen trennen, nicht zu signifikant, die Gräben nicht zu tief? Sind die Gegensätze nicht auch aktuell zu „politisch“?

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Mehr als ein Jahrtausend lang standen einander Islam und Christentum als Todfeinde gegenüber. Bis heute ist im Orient die Zeit der Kreuzzüge nicht vergessen, die Spuren der abendländischen Ritterheere sind im Morgenland allerorten anzutreffen; es ging den Christen darum, die helligen Stätten von den „Ungläubigen“ zu befreien, das Kreuz wieder in Jerusalem aufzupflanzen. In Spanien wurden die islamischen Mauren in einem jahrhundertelangen Kampf vertrieben, später blutig verfolgt; Spanien und die mittelalterliche Gefühlswelt sind in ganz Europa von der ruhmreichen Recon-quista nicht zu trennen.

Anderseits: der Siegeszug der Türken trug den Islam bis vor die Tore Wiens. Die Zurückgewinnung und Befreiung des christlichen Balkans wurde zu einem Hauptziel von Renaissance- und Barockkaisern, und auch noch Ludwig XIII. und Kardinal Richelieu ließen sich noch von Kreuzzugsideen inspirieren — auch sie planten einen gemeinsamen Zug gegen den islamischen Mittelmeerfeind.

Um die Seeschlacht von Lepanto (1571) und ihren ruhmreichen Sieger, Juan d'Austria, den Sohn Karls V., rankten sich heroische Legenden, die zu einem Missionsbewußtsein ganzer Generationen der abendländischen Völker wurden. Und bis in die jüngere Geschichte, die vom Kolonialismus überlagert wurde, sind es immer die Gegensätze, die alle Gemeinsamkeit überlagern.

Der Islam hat sich in der Gegenwart überdies als eine Kraft formiert, die heute gegen die politischen Zielvorstellungen des demokratischen Europa und der USA gerichtet

ist. Die arabische Welt mißdeutet die Unterstützung für den Staat Israel als eine Kollaboration mit dem politischen Judentum, dem man die Punze „Zionismus“ aufdrückte. Die islamische Welt von Marokko bis Pakistan empfindet sich überdies als Anwalt der Dritten Welt, als ein mittlerweile zu Reichtum aufgestiegener Vorkämpfer gegen Kolonialismus und Imperialismus des „Westens“. In dieser Auseinandersetzung wurde die Erdölwaffe als politisches Druckmittel ebenso rücksichtslos eingesetzt wie Terror und Erpressung: und dabei war der konsequenteste Führer irgendeines Staates in der islamischen Welt — der libysche Staatschef Mohammed Ghaddafi.

Just dieser Ghaddafi war aber nunmehr der Gastgeber einer Konferenz, die er mit der Machtfülle eines Militärdiktators und mit anspruchsvollem Pomp sowie morgenländischer Geste nach Tripolis einlud. Und alle Teilnehmer, einschließlich eines offiziellen Vertreters des Vatikans, des Kardinals Pignedoli, zollten dem Präsidenten ihren Respekt. Eine fragwürdige Geste?

In der islamischen Welt gibt es kein religiöses Oberhaupt, das dem Papst entspricht, es gibt auch keine kirchlichen Hierarchien und nicht einmal Repräsentanten der Kirche im engeren Sinn: weil der Islam nur eine Einheit von Kirche und Staat empfindet und auch kein örtliches Zentrum als Mittelpunkt der islamischen . Welt — wie etwa Rom — kennt.

So konnte ein Staatschef auch legitimerweise einladender und diskutierender Experte — sogar auf theologischem Gebiet — sein: und Ghad-

dafi machte davon auch ausgiebig — und mit der Gestik eines charismatischen Führers — Gebrauch.

Die Absicht von Konferenz und Planung aber war und ist klar: Libyen will sich eine gewisse Vormacht im arabischen Raum erkämpfen und Ghaddafi selbst will sich zum Führer der arabischen Massen machen — im Zeichen einer islamischen Erneuerung.

Deshalb saßen sich also in Tripolis offizielle Vertreter des Vatikans, Bischöfe und Theologen einerseits, von Ghaddafi ausgewählte Persönlichkeiten der islamischen Welt anderseits gegenüber: nur sprachen die letzteren jeweils nur für sich selbst und in eigener Verantwortung.

Schwierig mußte sich bei aller

guten Absicht der Beteiligten der Dialog dort gestalten, wo die Terminologie auseinanderklaffte:

• Für das Christentum zehn Jahre nach dem Vätikanum wurde ein klarer Trennstrich zwischen Kirche und Welt gezogen; die Kirche ist keine politische Formation und verfolgt keine politischen Ziele;-und „Ideoio-

gie“ ist das Feld der Politiker, die Kirche selbst gibt der Welt und den Laien nur Maßstäbe und Richtlinien an.

• Der Islam hingegen versteht sich als totale Einheit von Religion und Politik. Ideologie und Religion sind eins, untrennbar und nicht unterscheidbar. Und der Koran gibt Anleitungen für das ganze Leben der Menschen, der Völker, der Welt.

Theologische Differenzen

Der moderne Islam hat den Abso-lutheitsanspruch nicht aufgegeben, letzte Wahrheiten zu verkünden und die einzige Wahrheit zu sein, obwohl sich der „Heilige Krieg“ nicht mehr gegen die Christen zu richten scheint. Ghaddafi selbst meinte, daß es „keinen Krieg gegen eines der Heiligen Bücher gebe“.

Dabei ist — entgegen weitverbreiteten Vorurteilen — die Distanz zwischen den drei monotheistischen Religionen, dem Judentum, dem Islam und dem Christentum, nicht so groß wie angenommen. Denn wie das Christentum . das Alte Testament, also die Offenbarung der Juden, an-

genommen hat, hat der jüngere Islam auch die christlichen Evangelien gewissermaßen integriert. Theologische Differenzen bestehen vor allem hinsichtlich der Dreifaltigkeit und der Rolle Christi. Für die strenggläubigen Moslems

— voran für Mohammed Ghaddafi

— ist der Urgrund allen Übels in der Welt die Distanz des Judentums von ihrer Thora, die Distanz der Christen zu ihrem Evangelium und der Umstand, daß auch die Moslems nicht auf den originalen Koran zurückgreifen. Erst das habe — so Ghaddafi

— die Konflikte zwischen den drei Konfessionen geschürt; überdies müsse das Gesetz des Staates in jedem Fall dem Gesetz der Heiligen Bücher folgen: weshalb Libyen schon

jetzt „den Koran vollzieht und aus dem Koran lebt“.

Antiisraelische Front?

Der Kongreß in Tripolis könnte allerdings in der Tat ein erster Beginn sein, einander kennenzulernen. Dieser Wunsch stand auch im Mittelpunkt jener Botschaft, die der Papst an die Konferenz richtete.

Voraussetzung müßte freilich sein, daß sich die katholische Kirche nicht exklusiv in das Vormachtstreben eines einzigen islamischen Staates einspannen läßt — und den Dialog auch mit anderen islamischen Staaten pflegt.

In Tripolis stand auch unsichtbar der Konfliktstoff Israel im Saal. Nämlich deshalb, weil sich die Islam-Vertreter nicht an die ursprüngliche Vereinbarung hielten, politische Fragen aus dem Gespräch auszuklammern. Es gab kaum einen islamischen Vertreter, der sich nicht in verbalen Ausfällen gegen Israel erging, und am Ende standen plötzlich zwei Punkte im Abschlußdokument, in denen der Zionismus verurteilt wird. Auch wird die arabische These über Palästina und Jerusalem neuerlich wiederholt. Man konnte nachher hören, diese Punkte Seien „nur durch Zeitdruck“ in das Dokument gelangt, das von je vier Mitgliedern der beiden Delegationen ausgearbeitet worden war und das die meisten Delegierten beider Religionen erst bei der offiziellen Verlesung kennenlernten. Ein Vorkommnis, das Befürchtungen hinsichtlich dier politischen Motive für die libysche Einladung rechtfertigt. Daß dies in keinem Fall Absicht der katholischen Gesprächspartner war, steht außer Frage.

Freilich wäre es bedenklich, sollten verstärkte Kontakte mit dem Islam dazu führen, daß die Kirche zu ihrer jahrhundertelangen Tradition eines religiös motivierten Anti-judaismus zurückkehrt. Zwischen Israel und der katholischen Kirche, zwischen Juden und Christen sollte die so mühsam errungene Normalisierung der Beziehungen nicht neuerlich von außen gestört werden. Denn nach wie vor ist auch eine gewisse

Reserve christlicher Kirchen im orientalischen Raum gegen Israel eine nicht zu übersehende Realität. Auch katholische Institutionen in Israel fühlen sich einem Druck des „theokratischen“ Judenstaates ausgesetzt.

Aber diese Tatsachen sollten doch keineswegs die Ansätze verschütten, die durch die Juden-Erklärung des Konzils in Richtung auf eine — jedenfalls ebenso mögliche — Dia-log^Situation zwischen Juden und Christen möglich wäre.

Gegen den Materialismus

Die Bedeutung der Konferenz in Tripolis könnte fortwirken: wenn zwischen den monotheistischen Religionen wirklich so etwas wie ein

Gefühl der Übereinstimmung wachsen könnte.

Zweifellos ist in einer sich ständig stärker dem Materialismus zuwendenden Welt eine solche Kooperation denkbar. Sie sollte die Besonderheiten von Christen, Juden und Moslems nicht überdecken, aber die Ähnlichkeit vieler Probleme nützlich einsetzen.

Noch ist nicht abzusehen, ob in der islamischen Welt — vor allem im arabischen Raum — ein Nachdenken einsetzen wird. Noch ist es so, daß sich Moslems und Christen ja mit der Waffe in der Hand im Libanon gegenüberstehen; und daß die Araber als Hauptziel ihrer Politik nach wie vor die Zerschlagung des Judenstaates ansehen; Tatsache ist auch, daß gerade der libysche Staatschef terroristische Gruppen finanziert, die weitab von den Schauplätzen der Konflikte unschuldige Menschen töten — zuletzt auch in Österreichs Bundeshauptstadt Wien.

Schöne Worte und diplomatische Freundlichkeiten haben ihren Wert und Sinn. Aber Taten — sichtbar und erkennbar — sollten nicht ausbleiben.

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